Deutschland ist längst ein Einwanderungsland. Doch wer zu seinem Partner in die Bundesrepublik ziehen will, muss vorher einen Sprachtest bestehen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Regelung nun jedoch gekippt.
Bereits seit 1998 lebt Herr Dogan als Unternehmer mit einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland. Seit vier Jahren versucht er seine Frau nachzuholen, die immer noch in der Türkei wohnt. Aber 2012 weigerte sich die Deutsche Botschaft in Ankara ihr ein Visum zu erteilen. Ihre Sprachkenntnisse reichten nicht aus, hiess es.
Gegen die Entscheidung haben die Dogans Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht. Das legte die Klage wiederum dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor mit der Frage, ob die deutsche Regelung mit EU-Recht und insbesondere mit der Stillhalteklausel vereinbar sei. 1970 wurde mit der Türkei nämlich ausgehandelt, dass neue Beschränkungen für die Niederlassungsfreiheit türkischer Staatsbürger in der Bundesrepublik unzulässig sind. Am Donnerstagvormittag kam es deshalb zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Fall Dogan, das die Bundesregierung in Erklärungsnot bringt.
Zweiklassen-Einwanderung?
Auf der Website des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge steht zum Thema Ehegattennachzug: "Ausländer, die zu ihrem Ehepartner nach Deutschland ziehen möchten, müssen grundsätzlich vor der Einreise einfache Deutschkenntnisse nachweisen." Ausgenommen sind neben EU-Bürgern Staatsangehörige aus Norwegen, Liechtenstein und Schweiz sowie aus etwa Japan, Israel, Australien und der USA, für die keine Visumspflicht besteht. Auf den Sprachnachweis wird laut Aufenthaltsgesetz auch verzichtet, wenn der hier lebende oder der "nachzugswillige" Partner als hochqualifiziert gilt, die Ehe bereits vor der Einreise eines Partners bestand oder eine Integration "ohne staatliche Hilfe" möglich ist.
Die bei Kritikern als harsch bezeichneten Einwanderungskriterien wurden 2007 unter der schwarz-roten Koalition verabschiedet. Man wolle die Integration von Migranten erleichtern und Zwangsehen verhindern, lauteten die Argumente der Bundesregierung. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration kam dagegen in seinem Gutachten für das Jahr 2011 zu dem Schluss, dass die Regelung implizit dem Ziel diene, "den Familiennachzug von Unqualifizierten und eine Zuwanderung in die Sozialsysteme im Besonderen zu begrenzen".
2012 hob ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts das Gesetz in Teilen wieder auf. Mittlerweile muss ein Visum auch dann ausgestellt werden, wenn Anstrengungen um den Erwerb einfacher Sprachkenntnisse innerhalb eines Jahres nicht erfolgreich, nicht möglich oder nicht zumutbar waren. Botschaften und Behörden legten das Urteil in der Praxis jedoch derart eng aus, dass es fast nie zur Anwendung kam. In kaum einem Fall wurde ein Visum ohne den Nachweis von Sprachkenntnissen genehmigt. Kam es doch mal zu einem Rechtsstreit, den das Auswärtige Amt zu verlieren drohte, wurde das Visum oft in letzter Minute bewilligt – um einen Präzedenzfall zu vermeiden.
Einwanderungsland Deutschland
Anstatt das Gesetz zum Ehegattennachzug zu einer Art Grenzschutzinstrument zu machen, fordern Kritiker ein positives Einwanderungskonzept. Immerhin ist Deutschland laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2012 nach den USA das zweitbeliebteste Zuwanderungsland. Das Statistische Bundesamt bestätigte im Mai diesen Trend. 2013 zogen demnach 1,22 Millionen Menschen zumindest kurzzeitig in die Bundesrepublik, 13 Prozent oder 146.000 mehr als im Vorjahr. Vor allem aus Polen, Rumänien, und Ungarn. Aber auch bei Spaniern, Portugiesen und Italienern steht Deutschland hoch im Kurs.
Auf dem Papier hat die schwarz-gelbe Bundesregierung gültiges Recht bereits an diesen Umstand angepasst, indem 2012 zwei Gesetze erlassen wurden, die etwa Fachkräften die Einwanderung erleichtern sollte. So wurde die Anerkennung von Berufsabschlüsse vereinfacht und die sogenannte Blaue Karte EU eingeführt, mit der sich Fachkräfte schneller niederlassen und ein Unternehmen gründen können. Bislang kamen trotzdem kaum mehr Fachkräfte ins Land.
Familienzusammenführung ist ein Menschenrecht
Doch wer wandert aus, wenn der Partner zuhause bleiben muss? Etwa ein Drittel aller abgelegten Sprachprüfungen wurden 2013 nicht bestanden. Das entspricht 12.828 Auswanderungswilligen, die nicht zu ihren Ehepartnern nach Deutschland durften. Nur rund 32.000 wurde ein Visum ausgestellt. Vor allem Prüflinge, die das lateinische Alphabet erst noch lernen müssen, haben mit dem Test Probleme. Zudem setzen viele Fragen Hintergrundwissen voraus und sind nur im Kontext verständlich.
Nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts, Paolo Mengozzi, könnten Familienzusammenführungen auf diese Weise unbegrenzt hinausgezögert werden. Damit verstosse die Regelung, Ehegatten nur dann ein Visum zu genehmigen, wenn diese Deutsch sprechen und schreiben können, nicht nur gegen geltendes EU-Recht. Immerhin ist auch im Grundgesetz der Schutz von Ehe und Familie festgeschrieben. Nicht zuletzt könnte die Deutschkurspflicht auch in Deutschland erfüllt werden. Zumal geschätzt wird, dass weltweit nur jeder fünfte Zugang zu einem Goethe-Institut hat. In der Türkei sollen es sogar nur zehn Prozent sein.
Der EuGH folgte weitgehend der Argumentation des Generalanwalts und kippte die bisherige Regelung. Die Niederlande musste bereits 2011 mit einer vergleichbaren Gesetzeslage beim Ehegattennachzug auf Druck des Gerichtshofs die umstrittene Praxis abschaffen. 2012 folgte Österreich.
Wie die deutsche Regierung mit der EuGH-Entscheidung umgeht, ist noch nicht klar. Das CDU-geführte Innenministerium bedauerte in einer ersten Reaktion das Urteil: "Eine erfolgreiche Integration setzt Sprachkenntnisse voraus. Deswegen haben wir darauf bestanden, dass Ehegatten, die zu ihren Familien nach Deutschland kommen, um hier in Deutschland dauerhaft zu leben, zumindest einfache Sprachkenntnisse nachweisen müssen", teilte der Parlamentarische Staatssekretär Günter Krings mit. "Dies halte ich auch nach wie vor für richtig."
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