Die Affäre um die erzwungene Datenzerstörung bei der britischen Zeitung "The Guardian" sorgt weltweit für Empörung. Wolfgang Schulz ist Professor für Medienrecht an der Universität Hamburg. Im Interview vergleicht er die Ereignisse mit der "Spiegel"-Affäre in Deutschland und mahnt in Grossbritannien eine Diskussion darüber an, ob die Pressefreiheit noch hinreichend geschützt sei.
Herr Schulz, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, sprach von einer roten Linie, die in Grossbritannien überschritten worden sei. Wie beurteilen Sie als Experte den Vorgang in Grossbritannien?
Wolfgang Schulz: Die Massnahme stellt einen massiven Eingriff in die Pressefreiheit dar. Es erinnert fatal an die "Spiegel"-Affäre in Deutschland, die in den 60ern die ganze Republik erschütterte, aber auch zur Klarstellung führte, dass der Schutz von Redaktionsräumen einen hohen verfassungsrechtlichen Wert geniesst.
Ist in Grossbritannien die Pressefreiheit gefährdet?
Schulz: In Grossbritannien sollte definitiv eine Diskussion folgen, ob die Pressefreiheit hinreichend geschützt ist. So wie ich die Faktenlage deute, läuft die britische Regierung Gefahr, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt zu werden, wenn der "Guardian" klagen sollte. Aber auch hierzulande sollte das Bewusstsein für die Bedeutung der Pressefreiheit geschärft werden, gerade in Bedrohungslagen zeigt sich, welche Kraft die Freiheitsrechte haben.
Blicken wir auf Deutschland. Lassen unsere Gesetze ein ähnliches Vorgehen gegen ein Presseorgan zu?
Schulz: Grundsätzlich nein, Geheimdienste haben in diesen Fällen hierzulande keine Sonderrechte. Ausserdem legt das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften für Strafverfolgung und Gefahrenabwehr so aus, dass nicht einfach ein Verdacht zur Beihilfe zum Geheimnisverrat konstruiert werden kann. Bei der Strafverfolgung muss zudem immer ein Richter die Durchsuchung anordnen, wenn es um Redaktionsräume geht. Für eine Vernichtung von Informationen kann ich gar keine Rechtsgrundlage entdecken.
Sind Ihnen ähnliche Vorfälle in Deutschland in jüngster Zeit bekannt, die Spiegel-Affäre liegt ja schon lange zurück?
Schulz: Im April 2005 veröffentlichte "Cicero" einen Artikel über den Terroristen Abu Mousab al Zarqawi. In diesem Beitrag wurde aus einem internen, als Verschlusssache gekennzeichneten Bericht des Bundeskriminalamtes ausführlich zitiert. Hier ordnete ein Gericht eine Durchsuchung an, dennoch sah das Bundesverfassungsgericht darin einen schweren Eingriff in die Pressefreiheit, der nicht gerechtfertigt war.
Müssen Geheimdienste überhaupt die Pressefreiheit akzeptieren oder ist es ihr Recht und ihre Aufgabe, wichtige Informationen zu schützen?
Schulz: Ja, das müssen Sie. Alle Staatsgewalt ist an die Grundrechte gebunden. Gerade in Zeiten mit Bedrohungslagen muss sich der Rechtsstaat bewähren.
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