In den letzten Tagen überrollte die Schweiz ein Medienhype zum Thema Händedruck, der sich in die sozialen Netzwerke und bis ins Ausland ausweitete. Was ist passiert? Eine Sekundarschule hatte mit zwei muslimischen Jugendlichen vereinbart, dass sie den Lehrpersonen die Hand nicht reichen müssen.
Eine Auslegungsart des Islams besagt, dass Männer und Frauen einander nicht berühren sollten, wenn sie nicht verwandt oder verheiratet sind. Dazu gehört gemäss einer Mindermeinung auch der Händedruck.
Zwei syrische Jugendliche an der Sekundarschule Therwil im Kanton Basel-Landschaft weigerten sich deshalb, ihrer Klassenlehrerin zur Begrüssung oder Verabschiedung die Hand zu reichen.
Als die Elterngespräche nichts brachten, einigte sich die Schule mit den Schülern darauf, dass sie künftig weder Lehrerinnen noch Lehrern die Hand geben müssen.
Diese Vereinbarung wurde jedoch nicht als gutschweizerischer Kompromiss begrüsst, sondern von Lehrervereinigungen, Medien, Politikern und in den sozialen Netzwerken regelrecht verrissen.
Der Tenor: Der Händedruck gehöre zur schweizerischen Kultur und sei eine wichtige Höflichkeitsgeste. Wer in der Schweiz lebe, müsse sich diesen Gepflogenheiten anpassen. Der "Handschlag-Dispens" an der Sekundarschule Therwil sei frauenverachtend und diskriminierend.
Sogar Justizministerin Simonetta Sommaruga mischte sich in die Debatte ein. Sie fand in der Fernsehsendung 10vor10 vom 4. April 2016 deutliche Worte: "Dass ein Kind sich weigert, der Lehrperson die Hand zu geben, das geht überhaupt nicht. Das hat auch unter dem Titel Religionsfreiheit nichts zu suchen."
Laut Sommaruga gehört der Händedruck zur schweizerischen Kultur. "So stelle ich mir Integration nicht vor", sagte sie dezidiert.
Geschlechtergetrennte Schulen
Das Thema ist eigentlich nicht neu. Auch streng orthodoxe Juden vermeiden den Körperkontakt zwischen den Geschlechtern. Laut Herbert Winter, Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), gab es bisher keine Probleme mit jüdischen Schülern. "Die allermeisten Schweizer Juden haben mit dem Händeschütteln überhaupt kein Problem."
Jene Jugendlichen, die einer Frau lieber nicht die Hand gäben, gingen an streng orthodoxe jüdische Privatschulen. "Dort stellt sich das Problem nicht", sagt Winter. Streng orthodoxe jüdische Schulen sind geschlechtergetrennt.
Muslimische Privatschulen gibt es in der Schweiz jedoch kaum. Muslimische Jugendliche besuchen in der Regel die öffentliche Schule oder eine nicht-religiöse Privatschule. Kommt es dabei regelmässig zu Diskussionen über den Handschlag?
Mitnichten, sagt Jasmin El-Sonbati, Schweizer Muslimin und Autorin des Buches "Moscheen ohne Minarett". Der Medienhype stehe in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Phänomen. "Es handelt sich um absolute Einzelfälle, die man an einer Hand abzählen kann."
El-Sonbati weiss, wovon sie spricht, denn sie ist Gymnasiallehrerin. Zugeständnisse der öffentlichen Schulen an gläubige Muslime würden zwar gemacht, aber vielmehr dahingehend, dass Mädchen im Schwimmunterricht einen Burkini tragen dürften.
Dass ein muslimischer Jugendlicher einer Frau die Hand nicht reichen wolle, sei vollkommen untypisch. "Im arabisch-muslimischen Kulturraum ist der Lehrer oder die Lehrerin eine Respektsperson."
Die Hand nicht zu reichen, sei eine "neo-islamische" Gewohnheit. El-Sonbati findet das inakzeptabel und bedauert den Vorfall. Sie befürchtet, dass mit solchen Medienhypes das bereits ramponierte Image des Islams weiter verschlechtert wird.
Zweifelhafte Berühmtheit
Dass die Berichterstattung derart disproportional ausgefallen ist, führt El-Sonbati darauf zurück, dass das Thema enorm irritiere. Sie kennt den konkreten Fall nicht, hält es aber durchaus für denkbar, dass Jugendliche sich mit der Weigerung des Händedrucks auch abgrenzen und abheben wollen. Eine zweifelhafte Berühmtheit hätten die beiden nun jedenfalls erreicht.
Auch das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) ist skeptisch gegenüber dem Medienhype: Es teilt gegenüber swissinfo.ch lediglich mit, dass es die Position von Bundesrätin Simonetta Sommaruga voll und ganz teile.
Sylvie Durrer, Direktorin des EBG möchte dem nichts mehr weiter hinzufügen. "In dieser Sache wurde bereits alles gesagt. Wir wollen diese Diskussion nicht weiter aufheizen."
Bildungsdirektion befasst sich mit dem Fall
Wie geht es aber weiter an der Sekundarschule in Therwil? Über den Dispens richten soll die Bildungsdirektion.
Die Bildungsdirektorin des Kantons Basel-Landschaft liess gegenüber Medien bereits durchblicken, dass der Dispens keine dauerhafte Lösung sei. Der Kanton will die Frage zunächst – ganz nach Schweizer Art – mit einem Rechtsgutachten klären. © swissinfo.ch
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