Das vom ehemaligen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vorangetriebene Projekt der Pkw-Maut bescherte den Steuerzahlenden einen Schaden von 243 Millionen Euro. Doch kann man Andreas Scheuer als damaligen Minister dafür persönlich verantwortlich machen? Ein Staatsrechtler erläutert die Situation.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Freckmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es war das Prestige-Projekt der CSU im Bundestagswahlkampf 2013. Die Partei aus Bayern wollte unbedingt eine Autobahn-Maut für Ausländer durchsetzen. Früh gab es bereits europarechtliche Bedenken. Auch die Schwesterpartei CDU zeigte sich nicht begeistert. Die damalige Opposition ohnehin nicht.

Mehr aktuelle News

Doch die CSU um ihren Verkehrsminister Andreas Scheuer trieb das Verfahren immer weiter voran. Obwohl Österreich beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen das deutsche Projekt eingereicht hatte, unterschrieb Scheuer im Dezember 2018 die Verträge mit den künftigen Betreibern der Maut. Dann kam das Urteil aus Luxemburg: Die geplante deutsche Pkw-Maut ist europarechtswidrig. Schon bald erklärten die Betreiber, dass sie den Bund verklagen würden, um eine Entschädigung zu erhalten. Denn die Verträge waren bereits unterschrieben und die Betreiberunternehmen würden nun nicht an die durch die Maut zu erwartenden Einnahmen gelangen.

Und genau an dieser Stelle könnte man Scheuer einen Vorwurf machen, sagt Alexander Thiele, Staatsrechtler der BSP Business & Law School: "Nicht, weil der Europäische Gerichtshof die Maut am Ende gekippt hat, sondern weil bereits bei der Unterzeichnung des Vertrages – einer doch eher administrativen Tätigkeit – eine erhebliche Unsicherheit in dieser Hinsicht bestand, sodass man dieses Urteil hätte abwarten müssen, um nicht unnötig Steuergeld zu riskieren."

Anfangs beanspruchten die Betreiber vom deutschen Staat eine Summe von 560 Millionen Euro. Später einigte man sich auf 243 Millionen Euro. Der aktuelle Verkehrsminister Wissing will nun in einem Gutachten klären lassen, ob Scheuer für den Schaden verantwortlich gemacht werden kann.

Experte: Scheuers mögliche Haftbarkeit nicht leicht zu klären

Doch wie ist diese Situation juristisch zu bewerten? Einen solchen Fall habe es seines Wissens nach noch nicht gegeben, bemerkt der Berliner Staatsrechtler. Was es für ihn so spannend macht: Eine einfache Sicht auf die Dinge gibt es nicht. Weder sei eine klare Haftung gegeben, noch sei diese offensichtlich ausgeschlossen. Dieser Fall sei juristisches Neuland, erklärt Thiele.

Eine eindeutige Rechtsgrundlage, auf Basis derer ein Minister auf Schadensersatz verklagt werden könne, gebe es derzeit nicht, sagt Thiele. Zwar existiert eine solche Regelung für Beamte. Doch ist Andreas Scheuer als Minister eben kein Beamter gewesen. Auch sprächen sogar einige Aspekte für eine bisher fehlende klar geregelte Haftung von Ministerinnen und Ministern, erklärt Thiele. Der Hintergrund hiervon ist, dass Politiker in ihren Entscheidungen frei sein sollen und nicht bei jeder Unterschrift eine mögliche künftige Verurteilung und Schadensersatzansprüche fürchten sollen. Besonders dann, wenn sich kommende negative Entwicklungen anfangs noch gar nicht haben vorhersehen lassen.

Eine mögliche Haftung Scheuers sei damit jedoch keineswegs ausgeschlossen, sagt Thiele. Er weist bei Ministern auf das "besondere Anstellungsverhältnis" beim Staat hin. Daraus würden "Amtspflichten" erwachsen. Zudem seien die Politiker an Recht und Gesetz gebunden. "Insofern wäre es in der Tat seltsam", sagt Thiele, "wenn selbst eine vorsätzliche Schädigung des 'Dienstherrn', in diesem Fall also der Bundesrepublik Deutschland, keinerlei Haftung nach sich zöge."

Eine solche mögliche Haftung könne nach Ansicht von Thiele möglicherweise auch direkt aus der Verfassung hergeleitet werden. Dort ist in Artikel 34 des Grundgesetzes die Rede davon, dass "Amtswalter", wie es dort heisst, "bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit" zur Verantwortung gezogen werden können. Dies betreffe auch Minister, und ein solcher Schuldvorwurf gegenüber Scheuer sei durchaus denkbar, erläutert Thiele.

Politik könnte eine Haftungsregelung für Minister einführen

Dass es im deutschen Recht für solche Fälle bisher keinerlei klare Regelungen gibt, muss nach Ansicht von Thiele jedoch nicht so bleiben. Auch wenn ein künftiges Gesetz dann das Handeln von Scheuer nicht mehr betreffen würde, weil ein neues Gesetz nicht rückwirkend anwendbar wäre. Doch weist Thiele darauf hin, dass durch eine solche Regelung politisches Handeln nicht unterdrückt werden dürfe, sodass sich Politiker auch künftig trauen können müssen, unpopuläre oder schwierig umzusetzende Reformen anzugehen. "Die Regel muss in einer Demokratie also sein: Auch vermeintlich schlechte Politik wird nicht über den Haftungsweg, sondern an der Wahlurne sanktioniert", sagt Thiele

Für eine solche mögliche künftige Regelung könne auch die immer wieder geforderte Idee einer Haftung wegen "Steuerverschwendung" nicht gelten. Denn es sei immer das Parlament, das darüber entscheide, was mit dem Geld der Steuerzahler geschieht, so Thiele. Auch wenn Projekte aus Sicht einzelner gesellschaftlicher Gruppen unsinnig erscheinen, ginge damit noch "keine objektive Steuerverschwendung einher".

Vielmehr sei es laut Thiele möglich, dort eine Haftung vorzusehen, wo weniger politisch agiert werde, als administrative Handlungen vollzogen würden. Denn dafür könnten schliesslich auch Beamte in Verantwortung genommen werden. "Und dafür lassen sich", so Thiele, "ohne weiteres Kriterien finden – und diese wären bei der Unterzeichnung eines Mautvertrages ziemlich eindeutig zu bejahen."

Zur Person: Prof. Dr. Alexander Thiele ist Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Staats- und Europarecht an der BSP Business & Law School Berlin.
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "So arbeitet die Redaktion" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen. Unsere Berichterstattung findet in Übereinstimmung mit der Journalism Trust Initiative statt.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.