Ein Handschlag, der das Land spaltet: Zwei muslimische Schüler weigern sich aus religiösen Gründen, ihrer Lehrerin die Hand zu geben. Die Schulleitung toleriert das – bis der Vorfall der Öffentlichkeit bekannt wird. Noch immer diskutiert die ganze Schweiz über den Islam und ob er überhaupt integrierbar ist.
Ist der Islam in unsere Werteordnung integrierbar? Eine heikle und heiss diskutierte Frage. Seit einigen Wochen hat die Diskussion deutlich an Brisanz gewonnen.
Grund dafür: der Fall der beiden 14- und 16-jährigen muslimischen Brüder aus Therwil im Kanton Basel-Landschaft, die aus religiösen Gründen ihrer Lehrerin den Handschlag verwehrten – und damit durchkamen, sogar mit Genehmigung der Leitung der Sekundarschule Therwil BL.
Man habe aus Rücksicht auf die religiösen Gefühle so entschieden, hiess es zunächst.
Justizministerin widerspricht: "So stelle ich mir Integration nicht vor"
Als der Fall Anfang April der Öffentlichkeit bekannt wurde, war die Aufregung gross. Er schlug Wellen bis zur Justizministerin Simonetta Sommaruga: "Dass ein Kind der Lehrperson die Hand nicht gibt, das geht nicht. So stelle ich mir Integration nicht vor, auch unter dem Titel Religionsfreiheit kann man das nicht akzeptieren", sagte sie Schweizer Medien.
Auch seitens der Lehrervertreter gab es grosses Unverständnis. "Es ist für mich ein Novum, dass Schülern erlaubt wird, den Lehrpersonen den Händedruck zu verweigern. Ich halte das für keine gute Lösung", sagte Beat Zemp, Präsident des Schweizer Lehrerinnen- und Lehrerverbandes in einem Interview.
Und auch Saïda Keller-Messahli, Präsidentin des Forums für Fortschrittlichen Islam, sagte Redaktoren des "Blick": "Diesen Forderungen nachzugeben, bedeutet, dem politischen Islam Tür und Tor zu öffnen. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir leben hier nicht in Saudi Arabien!"
Rückendeckung vom Islamischen Zentralrat: "Gelungene Kommunikation"
Tatsächlich bekamen die Schüler auch Rückendeckung. Diese kam von dem nicht minder umstrittenen Präsidenten des Islamischen Zentralrates der Schweiz (IZRS), Nicolas Blancho. Er veröffentlichte eine Fatwa, durch die er die Entscheidung der beiden mit dem Hinweis auf sunnitische Rechtsgelehrte verteidigte. Für den Zentralrat ist der Fall übrigens ein "Beispiel gelungener interkultureller Kommunikation."
Und auch bei Folge-Interviews mit den beiden Brüdern, war stets ein Medienbeauftragter des IZRS dabei. Warum der IZRS plötzlich die beiden Schüler unterstützt? Laut Sprecher Qaasim Illi, sei sein Verband um Mediationshilfe gebeten worden. Von wem, das will er nicht sagen.
Befolgung islamischer Regeln sei ihre Pflicht
Die beiden Schüler haben sich mittlerweile auf einen gemeinsamen Sprech geeinigt. Sie wollen mit ihrem Handeln lediglich "die Würde der Frau schützen", betonten sie in Interviews. Sie verstünden nicht, wieso man sie als radikal bezeichne, wenn sie doch nur die Regeln des Islam befolgen. Es sei schliesslich ihre Pflicht.
Radikalisierung durch den Vater
Doch wie kann es sein, dass zwei Schweizer Schüler, die in der Region aufgewachsen sind, plötzlich zu islamistischen Hardlinern werden? Hat die Integrationsarbeit versagt? Die Ursache für ihre Radikalisierung dürfte in der rigiden Haltung ihres Vaters liegen.
Denn laut der "BZ Basel", soll er einst Anhänger der Muslim-Brüderschaft gewesen sein. In den 1980er Jahren floh er offenbar vor dem Assad-Regime, flog in die Vereinigten Arabischen Emirate und vor 13 Jahren weiter in die Schweiz, wo er in der König-Faysal-Moschee als Imam predigt.
Seine Hardliner-Einstellung bekam bereits die Tochter der Familie zu spüren. Für sie musste während eines Schullagers ein Ersatzprogramm aufgestellt werden, nachdem der Vater um Dispens bat - mit der Begründung, sie habe den strengen Ramadan einzuhalten. Das berichtet zumindest die "Basellandschaftliche Zeitung".
"Religiöse Haltung verinnerlicht"
Dass man mit der Familie bereits vor dem Handschlag-Zwischenfall zu tun hatte, bestätigte Jürg Lauener, der Rektor der Sekundarschule Therwil in einem Gespräch mit der "BZ Basel".
Man habe bereits früher ähnliche Diskussionen geführt, "als er vor Jahren seinen beiden älteren Töchtern verbot, aus religiösen Gründen ins Lager mitzufahren. Wir haben gemerkt, dass diese Familie in einem Milieu lebt, wo es entscheidend ist, wie die Berührungspunkte mit der westlichen Gesellschaft ausgestaltet werden." Man habe sich schon damals von Fachleuten beraten lassen.
Sein Verhalten verteidigt Lauener auch mit dem Hinweis, dass das Händeschütteln schon innerhalb Europas unterschiedliche Bedeutung habe und auch nicht in der Verfassung verankert sei.
Allerdings würde er, sofern die Weisung komme, die Pflicht zum Händeschütteln durchsetzen, sagte Lauener. Er erwarte dann aber auch, dass ihm die notwendigen Instrumente dazu zur Verfügung gestellt würden.
Wie sich die Schüler derzeit verhalten würden? "Der Klassenlehrer sagt, die beiden Jungen hätten ihre religiöse Haltung verinnerlicht. Es ist nicht so, dass sie frech und arrogant wären. Im Gegenteil sind sie sehr höflich und zuvorkommend."
Mögliche Anklage wegen IS-Propaganda
Während die Sekundarschulleitung also auf eine Weisung aus Liestal wartet, wird übrigens noch diese Woche entschieden, ob sich die beiden Brüder nicht auch wegen eines anderen Delikts strafbar gemacht haben. Der Ältere der beiden soll auf Facebook IS-Propagandamaterial gepostet haben, was mitunter gegen das "Al-Kaida-Gesetz" verstossen könnte – das Bundesgesetz über das Verbot terroristische Gruppierungen. Nachdem Experten allerdings befunden haben, dass das Material kaum im Sinne einer Radikalisierung gesehen werden konnte, könnte es sein, dass die Baselbieter Jugendanwaltschaft die Sache fallen lässt.
Was die Betroffenen dazu sagen? Sie hätten mit dem IS nichts zu tun, behaupten sie. Ihm habe nur die Musik des Videos gefallen, behauptet der Jüngere. Überhaupt könnten sie den IS nicht unterstützen, da der Islam das Töten von Zivilisten ja verbiete.
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