Der deutsche IS-Heimkehrer Harry S. war im Juli vom Oberlandesgericht Hamburg zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Die Strafe wurde abgemildert, da sich der 28-Jährige kooperativ gezeigt hatte und nach eigenen Angaben nicht direkt an Gräueltaten der Terrormiliz "Islamischer Staat" beteiligt war. Eine Lüge, wie nun Szenen eines bislang geheimen Videos belegen.
Der Bremer Harry S. musste sich nach seiner Rückkehr aus Syrien in Deutschland vor Gericht wegen der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland" verantworten. In den Vernehmungen gab er sich auskunftsfreudig und gewährte Einblicke ins vermeintliche Innenleben der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).
Harry S. in Propaganda-Video des IS
Im Fokus der Ermittlungen gegen Harry S. stand auch damals schon ein grausames Propaganda-Video des IS aus der syrischen Stadt Palmyra. Darin werden sieben Gefangene vor laufender Kamera hingerichtet. Harry S. ist ebenfalls auf dem Video zu sehen. Bewaffnet und eine Fahne des IS haltend.
Bislang lautete die Version des 28-Jährigen, dass er bei dieser Erschiessung nur Augenzeuge, nicht aber Täter gewesen sei. Das Ereignis selbst habe ihn schockiert und die Augen für die menschenverachtende Brutalität des IS geöffnet. Die Erschiessung und der Video-Dreh seien Hauptgründe gewesen, dem IS in Syrien den Rücken zu kehren und nach Deutschland zu fliehen.
Nur Augenzeuge, nicht Täter? Nur passiver Beobachter statt aktiv Beteiligter? - Eine Lüge, meint das ZDF nun. Dies belege ein neues Video, das der Sendung "Frontal 21" und der "Washington Post" aus IS-Kreisen zugespielt worden sein soll.
Darauf sei zu sehen, dass sich die Rolle von Harry S. bei der Ermordung der sieben Gefangenen auf dem Marktplatz von Palmyra eben nicht nur auf die des Statisten beschränkte.
Harry S. könnte in Palmyra selbst geschossen haben
Auf dem Video sei zu sehen, dass Harry S. einen der Gefangenen in die Reihe der zum Tode Verurteilten zwingt. Wenig später sterben die Männer im Kugelhagel. Die meisten Schützen sind nicht klar zu erkennen, berichtet Spiegel Online.
Zu sehen sei aber Harry S., wie er im Hintergrund seine Pistole zieht, durchlädt und auf die am Boden liegenden Opfer richtet. Die nächsten Sekunden werden auf dem Video von einer anderen Person verdeckt, erklärt das ZDF. Doch gingen Waffenexperten davon aus, dass Harry S. tatsächlich geschossen habe. Das Video zeige, wie der Deutsche seine Waffe danach wieder in das Schulterholster schiebt.
Noch im Juni 2016 hatte der Bremer in einem Interview mit dem ZDF die Situation bei der Gräueltat von Palmyra anders geschildert: "Ich stand an der Seite am Bordstein, wie soll ich das sagen, es geht einem schlecht. Psychisch, man merkt, man realisiert erst, worauf man sich eingelassen hat. Und du kannst die Situation nicht ändern. Du bist jetzt da, denkst du dir. Was jetzt? Ich habe jeden Einzelnen beobachtet, der geschossen hat. [...] Das war schon brutal und das war auch ein einschneidendes, grosses Erlebnis für mich, was auch einen grossen Beitrag dafür hatte, dass ich gesagt habe: Ich bin raus aus dieser Nummer. Ich möchte kein Blut an meinen Händen haben, ich möchte nicht hier sterben mit Blut an meinen Händen. Als Mörder bekannt sein oder dass meine Familie in Deutschland oder in England mich als Terroristen oder Täter in Erinnerung hat."
"Ich habe mich geweigert, habe meine Hand nicht gehoben"
Der österreichische IS-Anführer hätte damals gefragt, wer bereit sei, die sieben Gefangenen zu erschiessen, erzählte Harry S. in dem Interview weiter. "Ich habe mich geweigert, habe meine Hand nicht gehoben. Mein Freund hat seine Hand gehoben, ein anderer Junge ebenfalls. Ich habe noch versucht, die beiden davon abzuhalten."
Ob Harry S. nun tatsächlich Gefangene erschossen hat oder nicht - seine Aussage, er sei nur Unbeteiligter eines Propaganda-Videos gewesen, kann mit dem neuen Video als falsch entlarvt werden. Udo Würz, der Anwalt von Harry S., hatte seinen Mandanten mit dem Foto der entsprechenden Szene konfrontiert. Er sei jedoch nicht autorisiert, nähere Auskünfte zu geben, erklärte er dem ZDF.
Die Bundesanwaltschaft erklärte gegenüber Spiegel Online, man habe das neue Video zur Kenntnis genommen und prüfe nun, ob sich daraus neue Tatvorwürfe gegen Harry S. ableiten lassen.
Darüber hinaus soll auch das FBI Interesse an einer Vernehmung des deutschen IS-Rückkehrers geäussert haben, berichtet die "Washington Post".
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