- Vor mehr als zwei Jahren hat die Schweiz ein Abkommen mit der EU abgehandelt, das die engere Zusammenarbeit erleichtern soll.
- Doch weil Gewerkschafter, rechte Politiker und Staatsrechtler mit dem Vertrag unzufrieden sind, liegt dieser immer noch auf Halde.
- Bringt ein Krisentreffen in Brüssel Fortschritte?
Ein fetter EU-Hintern sitzt auf der kleinen Schweiz und zerquetscht sie: Mit so einem Plakat machte die rechte Schweizer Volkspartei (SVP) vergangenes Jahr Stimmung gegen die EU.
Ihr Versuch, die Personenfreizügigkeit mit der EU zu begrenzen, scheiterte zwar bei der Volksabstimmung. Aber es "harzt", wie die Schweizer sagen, gehörig zwischen den Partnern. So will Bern ein mühsam ausgehandeltes Rahmenabkommen zum bilateralen Verhältnis nicht mehr in der vereinbarten Form annehmen.
An diesem Freitag kommt es nun zu einem Krisentreffen zwischen dem Schweizer Präsidenten Guy Parmelin und EU-Kommissionschefin
Die Beziehungen
EU-Bürger können problemlos auf den lukrativen Schweizer Arbeitsmarkt, denn es herrscht Personenfreizügigkeit. Die Schweiz hat im Gegenzug gewissen Zugang zum EU-Binnenmarkt. Ende 2019 lebten gut 1,4 Millionen Bürger aus der EU sowie Island und Norwegen in der Schweiz - das waren 16 Prozent der Einwohner. Darunter waren gut 300.000 Deutsche.
Die Schweiz wickelt 60 Prozent ihres gesamten Handelsvolumens mit der EU ab. Umgekehrt ist die Schweiz für die EU der viertgrösste Handelspartner, nach den USA, China und Grossbritannien. Die Beziehungen regeln mehrere bilaterale Abkommen.
Das Rahmenabkommen
Die EU will nun alle bilaterale Abkommen unter einen Rahmenvertrag stellen. Der soll etwa die zügigere Übernahme neuer Rechtsvorschriften regeln sowie die Frage, wer in Streitfällen über die Auslegung von Verträgen entscheidet.
Auf das Abkommen einigten sich Unterhändler Ende 2018 nach jahrelangem Ringen. Seitdem schiessen Schweizer Gewerkschafter, rechte Politiker und Staatsrechtler aber so dagegen, dass die Regierung zurückschreckt. Bei einer Unterschrift droht eine Volksabstimmung, bei der der Vertrag scheitern dürfte.
Die Knackpunkte
Erstens: Staatshilfen. Schweizer Kantone fürchten, dass ihnen aus Wettbewerbsgründen Steuervergünstigungen zur Förderung von Firmenansiedlungen verboten werden könnten.
Zweitens: die Unionsbürgerrichtlinie. Sie steht zwar gar nicht im Vertrag, aber die Schweiz will trotzdem die Zusicherung, sie nie übernehmen zu müssen. Dann hätten EU-Bürger schneller Zugang zu Schweizer Sozialhilfe.
Drittens: Lohnschutz. EU-Handwerker müssen Aufträge in der Schweiz acht Tage vorher anmelden. Das soll die heimische Wirtschaft mit ihren hohen Löhnen schützen. Im Rahmenvertrag würde das auf vier Tage verkürzt - die Gewerkschaften sind dagegen.
Viertens: "fremde Richter": Viele Schweizer wollen nicht, dass bei Streit massgeblich der Europäische Gerichtshof entscheidet.
Der Druck
Die Schweiz hat die Eingliederung neuer EU-Mitglieder seit 2006 mit der Kohäsionsmilliarde gefördert, einer Milliarde Franken (rund 900 Millionen Euro) über zehn Jahre. Die geplante neue Milliarde hält sie seitdem zurück, weil keine Einigung da ist.
Die EU droht, keine neuen Marktzugangsabkommen mehr auszuhandeln und die alten nicht zu aktualisieren. So liegt ein Stromabkommen auf Eis, und das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von medizinischen Gütern im Mai soll nicht verlängert werden. Eine Daumenschraube hat die EU schon angezogen: Sie erkennt die Schweizer Börse nicht mehr als ebenbürtig an.
EU-Politiker äussern sich mittlerweile ungeduldig. "Die Schweiz muss endlich sagen, ob sie das Abkommen überhaupt noch möchte, und wenn nicht, wie die bestehenden Grundsatzfragen alternativ geregelt werden können", erklärte der Vorsitzende der Schweiz-Delegation im EU-Parlament, Andreas Schwab (CDU), zu dem Treffen an diesem Freitag. "Schweizer Uhrwerke arbeiten präzise, die Schweizer Hängepartie ist peinlich." (dpa/thp)
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