Vor einem Jahr zeigte ein Video, wie sich der österreichische Rechtspopulist um Kopf und Kragen redete. Der Skandal beendete die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Doch Strache selbst plant im Herbst ein Comeback – und seine Chancen stehen gut.

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Der 17. Mai 2019 war in Österreich trüb und windig, bis zur warmen Jahreszeit war es noch etwas hin. Und das war aus Sicht der türkis-blauen Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz kein Fehler.

Gemeinsam mit seinem rechtspopulistischen Vize Heinz-Christian Strache hatte sich der junge konservative Regierungschef bis zur Sommerpause noch allerhand vorgenommen: Gemeinsam wollte man die Steuern senken, Mindestrenten erhöhen und den aus Sicht der Regierung gar zu aufmüpfigen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ORF reformieren.

Kurz und Strache machten kein Geheimnis daraus, dass es sich bei ihrer Mitte-Rechts-Koalition weniger um ein Zwangsbündnis, als um eine Liebesehe handelte. Man verstand einander blendend, keine Rede von den täglichen Scharmützeln die sich frühere Regierungsparteien in Österreich beinahe täglich geliefert hatten. Mindestens zwei Perioden lang wollte man zusammen die politischen Geschicke in der Alpenrepublik bestimmen.

Doch dann platzte die Ibiza-Bombe.

Ibiza-Affäre: Strache redet sich um Kopf und Kragen

Spiegel und Süddeutsche Zeitung veröffentlichten zeitgleich ein mit versteckter Kamera aufgenommenes Video, in dem sich Strache sowie sein Freund, FPÖ-Fraktionschef Johann Gudenus, im Wodkadusel um Kopf und Kragen redeten.

Wenige Wochen vor der Nationalratswahl, im Sommer 2018, waren sie der Einladung einer angeblichen russischen Oligarchin in eine Villa im spanischen Urlauberparadies Ibiza gefolgt.

Stundenlang schwadronierten die beiden über ihre Pläne nach der sich damals bereits abzeichnenden Regierungsbeteiligung: Die vermeintliche russische Unternehmerin könnte Österreichs auflagenstärkste Tageszeitung, die Krone, aufkaufen und diese auf FPÖ-Linie bringen. Strache nannte auch sein Vorbild, den autokratischen ungarischen Premier Viktor Orbán: "Wir wollen eine Medienlandschaft ähnlich wie der Orbán aufbauen."

Im Gegenzug würde man sich als künftige Regierungspartei bei Staatsaufträgen erkenntlich zeigen. Gesprochen wurde auch über mögliche Zuwendungen an die FPÖ – und die Frage, wie diese am Rechnungshof vorbei in die Parteikasse gespült werden könnten.

Wie genau das Video zustande kam, soll noch heuer ein Untersuchungsausschuss des Parlaments klären. Fest steht, dass Strache in eine Falle gelockt wurde, bei der angeblichen Oligarchin handelte es sich um eine bezahlte Schauspielerin.

Politisches Schicksal Straches schien besiegelt

Nach Bekanntwerden des Videos schien Straches politisches Schicksal für die meisten Beobachter besiegelt zu sein. "Jedem deutschen Politiker würde ein solches Video politisch das Genick brechen", sagt Stefan Petzner, Kommunikationsberater und einst Pressesprecher des legendären Rechtspopulisten Jörg Haider.

"Aber Österreich ist nicht Deutschland. Hierzulande sahen und sehen viele dieses Video als allgemeines Sittenbild der Politik. Strache hat demnach bloss ausgesprochen, was alle anderen Parteien auch machen."

Tatsächlich ist Strache noch immer nicht von der politischen Bildfläche verschwunden. Er hat sich von der FPÖ getrennt und will mit einer eigenen Liste im Herbst bei den Wahlen in der Bundeshauptstadt Wien antreten. Letzten Umfragen zufolge könnte seine neue Partei DAÖ ("Die Allianz für Österreich") aus dem Stand heraus mit rund fünf Prozent rechnen. "Strache kann sich tatsächlich gute Chancen ausrechnen", sagt Petzner. Totgesagte leben länger.

Freilich: Mittelfristig hat die Ibiza-Affäre Straches hohen politischen Ambitionen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zwar relativierte Strache die verfänglichen Zitate als "besoffene Geschichte", der man keinen allzu grossen Wert beimessen sollte. Dennoch trat er tags zuvor als Vizekanzler und FPÖ-Chef zurück.

Neuwahlen in Österreich wegen Ibiza-Affäre

Dennoch entschloss sich Kanzler Kurz nach kurzer Bedenkzeit, in Anbetracht des Skandals Neuwahlen auszurufen. Durchaus schweren Herzens, wie ein Regierungs-Insider gegenüber dieser Redaktion berichtet: "Kurz wollte mit der FPÖ weiterregieren." Aber der Druck aus seiner eigenen Partei sowie von Seiten des grün-liberalen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen sei schliesslich zu gross geworden.

Bis zur Wahl im September regierte in Österreich erstmals eine Expertenregierung unter der Führung der unabhängigen Ex-Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein. Rasch zeigte sich in Umfragen, dass die Ausrufung Neuwahlen vor allem der ÖVP unter Sebastian Kurz zugute kamen.

Doch wer mit einem Totalabsturz der FPÖ gerechnet hatte, wurde eines Bessere belehrt: Obwohl sich die Freiheitlichen lange nicht von Strache trennen wollten wurde ihnen von den Umfrageinstituten bis kurz vor der Wahl ein Ergebnis von mehr als 20 Prozent prognostiziert – ein moderater Verlust von wenigen Prozentpunkten.

Der in den sozialen Netzwerken weiterhin sehr aktive Ex-Vizekanzler Strache stellte sich – für viele seine Wählerinnen und Wähler durchaus erfolgreich – als Opfer eines Komplotts dar. Das Video sei das Ergebnis einer "miesen kriminellen Intrige", erklärte er. "Jeder Mittäter und die Auftraggeber werden hoffentlich auffliegen und ihre gerechte Strafe bekommen!"

"Ibiza" nicht der einzige Skandal, in den Strache verwickelt war

Tatsächlich ist bis heute unklar, wer wirklich hinter der Videofalle steckt. Strache habe die Opferrolle geschickt gespielt, meint Petzner. Zugute kämen dem Rechtspopulisten seine grosse Bekanntheit und langjährige Erfahrung als Spitzenpolitiker. "Strache ist eine Marke. Seine Fans haben sich für Ibiza nie besonders interessiert."

Schmerzhafter verlief hingegen sein Abschied von der FPÖ, die er als Parteichef in den vergangenen 15 Jahren gross gemacht hatte.

Kurz vor der Nationalratswahl eskalierten Konflikte mit den beiden neuen Parteichefs Norbert Hofer und Herbert Kickl. Berichte über überzogene Spesenabrechnungen von Strache machten die Runde, er soll jahrelang monatlich 2.500 Euro Wohnkostenzuschuss für seine noble Privatresidenz in der Nähe von Wien kassiert haben.

Schliesslich veranlasste die Staatsanwaltschaft eine Razzia bei Strache: Es ging um Unregelmässigkeiten bei der Bestellung eines Vorstandsmitgliedes der staatsnahen Casinos Austria. Noch ist unklar, ob und wann es zu einer Anklage kommt.

Die "Schlammschlacht" (Petzner) zwischen Strache und der FPÖ führte dazu, dass die Rechtspopulisten bei der Wahl auf 16 Prozent abstürzten. Grosser Sieger war die ÖVP unter Kurz, seit Jahresbeginn führt der junge Kanzler eine Koalition mit den Grünen an.

Strache wurde im Dezember aus der FPÖ ausgeschlossen und sinnt seither auf Rache. Gemeinsam mit einigen FPÖ-Abtrünnigen will bei der Wien-Wahl am 11. Oktober antreten. Vor fünf Jahren schaffte die FPÖ in der Bundeshauptstadt mit Strache als Spitzenkandidaten mehr als 30 Prozent.

Davon können heute weder Straches Liste noch seine ehemalige Partei träumen. Doch abschreiben sollte man den einstigen Strahlemann des rechten Lagers in Österreich nicht – Ibiza hin oder her.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Stefan Petzner
  • Falter.at: Die wichtigsten Zitate aus dem Strache-Video
  • Spiegel.de: War Österreichs Vizekanzler käuflich?
  • Sueddeutsche.de: Heimliche Aufnahmen belasten Österreichs Vizekanzler schwer
  • KleineZeitung.at: 7000 Euro Gage für Lockvogel - Verein soll 600.000 Euro für Ibiza-Video gezahlt haben
  • Vienna.at: Wien-Wahl-Umfrage: Starkes Plus für ÖVP, Totalabsturz für FPÖ
  • Die Presse: "B'soffene G'schichte": Straches Rücktritt im Wortlaut
  • Vienna.at: 2.500 Euro Mietzuschuss für Strache von FPÖ bestätigt
  • Der Standard: Razzia wegen Postenschacher-Vorwurfs: Strache spricht von "politischem Angriff"
  • ORF.at: Strache aus FPÖ ausgeschlossen
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