Am 5. Dezember 2018 wählt das Schweizerische Parlament zwei Nachfolgerinnen oder Nachfolger von Johann Schneider-Ammann (FDP) resp. Doris Leuthard (CVP) in die Landesregierung. Beide hatten ihren Rücktritt auf Ende Jahr angekündigt. Die Hauptfrage diesmal: Wie viele Frauen zählt der neue Bundesrat. Eine, zwei oder drei?

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Heute lebt jede Bundesratswahl in der Schweiz von ihrem eigenen, besonderen Story Telling. 2015 war es die Rückkehr der SVP zur Doppelvertretung im obersten Führungsgremium (Zu den Parteien siehe Box am Schluss). Guy Parmelin wurde gewählt.

2017 ging es um den Wiedereinzug der italienischen Sprachminderheit in die Landesregierung. Ignazio Cassis wurde gewählt.

2018 nun ist es die Frauenfrage, die am meisten bewegt.

Was für ein Ausgang ist zu erwarten?

Aktuell sitzen zwei Frauen in der Schweizer Regierung. Damit belegt sie in der UNO-Rangliste der Frauenvertretung in Regierungen Platz 33 von total 185 Ländern.

Mit nur einer Bundesrätin läge die Schweiz bloss noch auf dem 115. Platz. Mit drei Frauen in der Regierung wäre sie mit einem Schlag in den Top Ten dieses Länder-Rankings.

Neue Allianz

Zugunsten mehr Frauen im Bundesrat macht sich die überparteiliche Bewegung "Helvetia ruft!" stark. Getragen wird sie von AllianceF und von der Operation Libero. Das verbindet eine gut etablierte Frauenorganisation mit einer starken, prominent progressiven Stimme.

Hauptargument ist der Unterschied der Lebenswelten von Frauen und Männern. Ihre jeweilige Sicht auf politische Dinge differiere wegen anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Erfahrungen.

Bestes Beispiel dafür ist das Ehe- und Erbrecht von 1985. Es brauchte Elisabeth Kopp, die erste Frau in der Schweizer Regierung, um das Vorhaben durch das Parlament zu bringen. In der Volksabstimmung waren die Frauen so klar dafür, dass das mehrheitliche Nein der Männer nicht mehr zog.

Konservative Frauen sehen das anders. Reine Frauenvorschläge seien ein "Gender-Wahn", sagt Natalie Rickli, Kandidatin der SVP für die Zürcher Kantonsregierung.

Wahlrecht und Grosswetterlage entscheiden

Nicht überraschend verlaufen die Unterschiede in der Frauenvertretung im Bundesrat entlang des Links-/Rechtsspektrums:

● Die SVP stellte noch nie eine Bundesrätin.

● Die FDP und die BDP hatte bisher eine.

● Bei der CVP waren es zwei.

● Die SP stellte deren drei.

PolitologInnen nennen zwei Ursachen:

Erstens das Mehrheitswahlrecht: So beträgt der Frauenanteil im Nationalrat (grosse Kammer) 32%, in den Parlamenten der Kantone im Schnitt 28%. Beide Parlamentstypen werden grossmehrheitlich nach dem Verhältniswahlrecht gewählt.

In den kantonalen Regierungen, die fast überall nach dem Majorzverfahren bestellt werden, machen die Frauen demgegenüber nur 21% aus. Noch schlimmer sieht es im Ständerat aus, der kleinen Kammer des Schweizer Parlaments: Hier machen die Frauen gar nur 15% aus.

Zweitens der Zeitgeist: Zwar profitierten die Frauen nach 1971 von einer Öffnung hin zu einer liberaleren Schweizer Gesellschaft. 2003 aber begann der Backlash. Seither schwindet die Frauenvertretung im Ständerat. Nach 2015 beschleunigte sich der Trend auch in den Kantonsregierungen.

Zufall oder nicht: Beide Sinkflüge hängen eng mit der jeweiligen Stärkung der SVP im Bundesrat zusammen.

Geforderte FDP

Mit Blick auf die nächsten Bundesratswahlen erhöht "Helvetia ruft!" den öffentlichen Druck gezielt auf die FDP und CVP. Mit einer Frauenwahl könnten sich beide Parteien für die Schweizer Parlamentswahlen 2019 profilieren.

Zuerst zur FDP: Sie ist deutlich mehr gefordert. Das hat auch ihre Frauenpartei verstanden. Seit 29 Jahren stellte sie keine Bundesrätin mehr. Aktuell steht dafür mit der St. Galler Ständeratspräsidentin Karin Keller-Sutter eine chancenreiche Favoritin im Zentrum des Interesses. Sie hat am Dienstag verkündet, dass sie in den Bundesrat will.

Der FDP bieten sich mehrere Optionen:

● Das Einer-Ticket mit Keller-Sutter. Dies würde jedoch die Wahlfreiheit der Bundesversammlung (National- und Ständerat) einschränken.

● Das Zweier-Ticket mit zwei Kandidatinnen. Damit wäre die Wahl einer Frau praktisch sicher. Aber eventuell wäre es "nur" die Nummer 2 aus FDP-Sicht.

● Das gemischte Ticket. Die FDP wählte diese Option schon 2010 und 2017. Es würde die Möglichkeit beinhalten, dass sich wie bisher der Mann durchsetzt.

CVP mit Fallstricken

Gelassener kann die CVP die Wahl angehen. Ihre Vertretung im Bundesrat war in letzten zwölf Jahren ausschliesslich weiblich. Dennoch weibelten die CVP-Frauen anfänglich für ein Zweier-Ticket mit zwei Frauen. Doch gilt das Wort des Parteipräsidenten, man werde "mindestens eine Frau" portieren.

Am Wahltag geht es zuerst um die Nachfolge der amtsälteren Doris Leuthard. Sollte dabei die Wahl auf einen Mann aus St. Gallen fallen, wäre er unweigerlich der grosse Ladykiller. Dieses Schicksal könnte Benedikt Würth ereilen, Präsident der Konferenz der Kantone und somit höchster aller Regierungsräte. Er würde nicht nur die Hoffnungen der CVP-Frauen beerdigen, sondern auf Seiten der FDP auch die Wahlchancen der St. Galler Ständerätspräsidentin Keller-Sutter versenken.

Entweder schlägt die CVP einen anderen, nicht ganz so starken Mann vor und sichert Keller-Sutter so fast sicher die Wahl. Oder sie propagiert blitzschnell den Slogan "Zwei aus St. Gallen könnten auch in Bern gefallen". Denn taktische Spielchen, die eine angemessene Frauenvertretung verhindern, würden allen Parteien schaden.

Status Quo, nur leicht anders

Persönlich halte ich das bisherige Szenario für am wahrscheinlichsten, also jenes mit zwei Bundesrätinnen. Aber mit der Rochade der Frauenvertretung von der CVP zur FDP. "Helvetia ruft!" würde so teils gehört, teils aber auch überhört.

In der Schweiz ist es das Parlament, das die Regierung wählt und nicht die Bürgerschaft. Im National- und Ständerat sitzen aktuell 69 Frauen. Sie machen 28% aller Parlamentsmitglieder aus – genau so viel wie zwei Bundesrätinnen in der siebenköpfigen Landesregierung.  © swissinfo.ch

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