Eine in der Schweiz erdachte Anti-Rassismus-Kampagne sorgt in Deutschland für Aufsehen: Wer Hass-Videos im Internet sucht, muss sich zunächst von Flüchtlingen einige Fakten erklären lassen. Die Idee entstand im Team mit der Berliner Initiative "Flüchtlinge Willkommen". Aber wirkt sie auch?

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"Search Racism – Find Truth" betiteln die Macher ihre Aktion. Auf Deutsch: Suche nach Rassismus und finde die Wahrheit. In 100 Youtube-Kanälen mit fremdenfeindlichen Inhalten buchte die Zürcher Agentur FCB Werbeplätze für ihre Spots. Statt in der rechtsradikalen Gedankenwelt landete so mancher Internetnutzer im Leben von neun nach Deutschland geflohenen Männern und Frauen.

Wer beispielsweise in den vergangenen Wochen die Videos des islamfeindlichen Pegida-Aushängeschildes Lutz Bachmann konsumieren wollte, schaute des öfteren zunächst in das offene Gesicht von Arif. Der Syrer erklärt in einem vorgeschalteten Spot in aller Ruhe, was er von Bachmanns These hält, alle Flüchtlinge seien kriminell: "Ich war noch nie im Gefängnis – aber Lutz Bachmann schon", sagt Arif. In der Tat wurde der Dresdner wegen Diebstahl und Drogenhandel verurteilt. Wenn Bachmann sich dann in dem auf Arif folgenden Video über kriminelle Flüchtlinge ereifert, besitzt das fast eine komische Note.

Die Kampagne stellt der Hetze Fakten, Menschen und Geschichten entgegen, ruhig, persönlich und direkt. "Drei meiner Cousins wurden getötet", sagt die 23-jährige Najlaa in einem Clip. "Glaubt ihr, es geht mir ums Geld?" Wegklicken lassen sich die Spots nicht. Ein wohlplatzierter digitaler Schlag ins Gesicht jener, die eigentlich die verbreiteten Hassparolen konsumieren wollten.

Auch Hetzvideos finanzieren sich durch Werbung, diesen Mechanismus machten sich die Initiatoren zunutze: Da kaum eine seriöse Firma ihre Spots in den einschlägigen Kanälen schalten will, bot sich der Zürcher Agentur eine grosse Auswahl an Werberaum. Sie liess sich von Google in der Platzierung der Spots beraten und legte los:

Die Kreativen von FCB Zürich konzipierten die Kampagne und drehten die kurzen Filme. Sie steuerten ihre Leistung pro bono bei – also unentgeltlich für die gute Sache. Ihr Lohn ist nun dennoch beachtlich: Bezahlt wird in der begehrten Währung Aufmerksamkeit. PR-Strategen und Journalisten preisen die kühne Idee in den höchsten Tönen und verbreiten die Clips auf ihren Seiten. Zahlreiche Zeitungen und Internet-Portale in Deutschland und im Ausland feiern die Schweizer Kampagne als cleveren Weg, Rechtsradikale auszutricksen. "Wir sitzen gerade mit sehr grossen Augen vor unseren Bildschirmen und sehen, wie Medien in Mexiko, Spanien, Holland, Frankreich und sonst wo darüber berichten", freut sich der Kreativ-Direktor von FCB Zürich, Dennis Lück in einem Interview. "Der clevere Umgang mit Media und Targeting, das kommt, unabhängig von der Idee, sehr gut an", so der PR-Profi.

Kampf im digitalen Raum

Doch kann man mit ein paar Videos tatsächlich Überzeugungen aufbrechen? Selbst die Initiatoren zweifeln daran, dass sich Menschen, die Flüchtlinge als Kriminelle, Störenfriede und Sozialschmarotzer beschimpfen, in 30 Sekunden vom Gegenteil überzeugen lassen. "Wir glauben nicht, dass wir Hardcore-Nazis umstimmen können, aber vielleicht ja die, die noch unentschieden sind", sagt Jonas Kakoschke, Mitgründer von "Flüchtlinge Willkommen" (siehe Infobox).

Der Ort der Kampagne sei in jedem Fall gut gewählt, sagt Sanem Kleff. Die türkischstämmige Leiterin des bundesweiten deutschen Netzwerks "Schulen ohne Rassismus" ist mit vielen Ansätzen und Initiativen in der Anti-Rassismus-Arbeit vertraut. "Menschenfeindliche Positionen werden heute vor allem über das Internet und die Sozialen Medien verbreitet. Genau dort müssen wir uns ihnen auch entgegenstellen", bekräftigt sie gegenüber swissinfo.ch. Die Kampagne erreicht Menschen mit fremdenfeindlichem Gedankengut dort, wo sie sich bevorzugt tummeln: Youtube-Videos, die Vorurteile gegenüber Migranten und Flüchtlingen schüren, werden millionenfach angeklickt. Im geschützten Raum tauschen Gleichgesinnte Hassparolen aus, ohne dass sie mit grosser Gegenwehr rechnen müssen. Hier müsse man ansetzen, so Kleff.

Die Herausforderung sei, Ungleichheitsideologien entgegenzutreten und zugleich die Meinungs- und Pressefreiheit zu verteidigen, betont sie. Die nimmt auch die Gegenseite für sich in Anspruch: In den Kommentaren zu der Kampagne wird dann auch gegen die "aufgezwungene Willkommenskultur" gelästert und das Recht auf die freie Nutzung des Internets eingefordert.

User fühlen sich bevormundet

"Dieses Land kann wohl am wenigsten ertragen, dass es Meinungen (ob wahr oder falsch) gibt, die gegen die staatlich vorgegebene Haltung sind und sich, siehe da, rasant im Netz verbreiten", kommentiert ein User. Andere fühlen sich bevormundet: "Wieso soll man auf Arif aus Syrien treffen wenn man Lutz Bachmann aus Dresden sucht? Wieso muss der User gezwungen werden, sich 'die Argumente der geflüchteten Menschen' anzuhören?" so ein anderer.

Ansonsten scheint es, als ignoriere die Szene die Aktion geflissentlich, um den Initiatoren nicht die Genugtuung zu gönnen, ein Stachel im Fleisch zu sein. Sie schlagen auf anderer Ebene zurück. So wurde die Homepage von "Search Racism – Find Truth", auf der alle Videos versammelt sind, immer wieder gehackt und war zeitweise nicht erreichbar. Die Gegenseite schläft nicht.

Auch darum ist die Aktion zeitlich begrenzt: Je länger sie läuft, desto seltener kommen die Initiatoren mit ihren Clips durch. Häufig sperren die Betreiber der Hetzkanäle einfach die Möglichkeit, Werbung vorzuschalten. Doch auch das bewerten die Berliner als Erfolg, denn damit entgehen rechtsradikalen Kanälen wichtige Einnahmequellen. Auf diesem Umweg könnte die Anti-Rassismus-Kampagne deren Finanzierung massiv behindern. Ob das gelingt, wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen. Solange gilt: Wenn rechtsradikale Meinungen schon schwer zu ändern sind, kann man ihren Vertretern zumindest das Leben schwer machen.  © swissinfo.ch

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