Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer führt Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Parteitag vor. Doch entgegen erster Vermutungen nimmt er und nicht die Regierungschefin dadurch Schaden. Ein Merkel-Experte erklärt, ob der CSU-Chef nun Konsequenzen fürchten muss.

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Das geht gar nicht, sagen viele Mitglieder der Union und meinen: die öffentliche Belehrung von CSU-Parteichef Horst Seehofer gegenüber Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf dem Parteitag der Christlich Sozialen Union in München. Auf der Bühne versucht Seehofer die Regierungschefin vor versammeltem CSU-Anhang bloss zu stellen. Dabei regieren beide Parteien gemeinsam mit der SPD in Berlin, bilden zusammen eine Fraktion im Bundestag. Doch die Flüchtlingskrise hat nachhaltig Differenzen geschaffen. Die Wiener Zeitung "Der Standard" kommentiert den Umgang Seehofers mit der Kanzlerin: "Auf offener Bühne kanzelte er sie ab wie ein Schulmädchen. Seinem Spitznamen "Crazy Horst" macht er damit einmal mehr alle Ehre. Was Seehofer geritten hat, ist nicht nachvollziehbar.

Bruch zwischen Merkel und Seehofer?

Klar, der bayerische Löwe muss manchmal brüllen, damit alle – von München bis Berlin – auch wirklich mitbekommen, dass es ihn gibt. Aber eine solche Düpierung ist völlig überzogen." Seehofer verteidigt sich prompt für seine scharfe Rede. Merkel habe "keinen einzigen Satz" zum Anliegen der CSU gesagt, die Zahl der Flüchtlinge mit einer Obergrenze zu reduzieren. "Kein Zeichen der Verständigung, obwohl sie meine Position kennt", meint der 66-Jährige im Interview mit der "Bild am Sonntag". Es gebe keinen Bruch, sagt er. Doch ist der bayerische Ministerpräsident nach diesem Affront überhaupt noch in der Position, Forderungen zu stellen? Oder ist der Bruch sogar schon vollzogen und eine entsprechende Retourkutsche der Kanzlerin zu erwarten?

Seehofer hat überzogen

"Vor dem CSU-Parteitag sah es aus, als würde es eng werden für die Kanzlerin", sagt der "FAZ"-Journalist und Merkel-Kenner Ralph Bollmann im Gespräch mit unserer Redaktion. "Das Verhalten Seehofers hat ihr in der innerparteilichen Debatte aber etwas Luft verschafft. Die Kritiker in der CDU waren gezwungen, die Reihen hinter Merkel zu schliessen." Selbst jemand wie Julia Klöckner, die in der Flüchtlingsfrage immer Distanz zu Merkel gehalten habe, musste sich nun wieder hinter die Kanzlerin stellen, erklärt Bollmann. Und weiter: "Eine unmittelbare Reaktion der Bundeskanzlerin ist gar nicht notwendig, weil Seehofers Verhalten dem Druck der CSU die Wirkung genommen hat. Er hat überzogen und sich ein Stück weit so verhalten wie einst die innerparteilichen Kritiker in Merkels Anfangszeit - wenn man an Roland Koch oder an Friedrich Merz denkt."

Druck aus der eigenen Partei

Seehofer habe eigentlich daraus gelernt, schildert Bollmann, aber er stünde nun mal in der eigenen Partei unter Druck. "Seehofer sieht seit seiner Ankündigung, sich in zwei Jahren zurückzuziehen, die Felle davonschwimmen", sagt er. "Es geht jetzt um die Endphase seiner politischen Karriere." Zuerst habe auch er einen Schaden für die Kanzlerin durch die harsche Rhetorik Seehofers erwartet, erzählt Bollmann, der in München dabei war. "Jetzt sind aber die meisten Kommentatoren der Meinung, dass Seehofer übertrieben hat. Das sehen wohl auch viele Leute in der CSU so. Die Brüskierung der Kanzlerin wird nun für Seehofer zu einem Problem." Bollmann ist der Meinung, dass Merkel aus diesem Angriff deutlich gestärkt hervorgehe. Das nehme auch die deutsche Öffentlichkeit zur Kenntnis. "Die Trauerrede, die Merkel am Montag für Helmut Schmidt gehalten hat, war auch ein Selbstporträt: Sie hat ihn dafür gelobt, dass er ein Pragmatiker war, dass er zu diesen pragmatischen Lösungen, zu denen er nach reiflicher Überlegung kam, immer eisern stand, und dass er dafür am Schluss sogar seine Kanzlerschaft riskiert hat", sagt er. Ergo: Es war, als wolle sie ihre Kritiker durch ihre Standhaftigkeit abwatschen, allen voran Seehofer. Bleibt die Frage, wie sich dieser nach seinem politischen Eigentor künftig positioniert.

Seehofer und die taktischen Wendungen

"Seehofers Verhalten ist schwer vorauszusagen. Er pflegte in den vergangenen Jahren einen Zick-Zack-Kurs. Mit Themen wie dem Betreuungsgeld oder der PKW-Maut ist die CSU auf ganzer Linie gescheitert", sagt Bollmann. "Und Seehofers Versuch, Peter Gauweiler als Euro-Skeptiker gegen Merkel zu positionieren, hat der CSU mehr geschadet als genutzt." Auch in der Flüchtlingspolitik habe er die Transitzonen nicht durchsetzen können und die Einreisezentren als Kompromiss akzeptiert. "Taktische Wendungen gehören zu seinem Politikstil dazu – auch wenn sie am Ende, wie man gesehen hat, nicht immer erfolgreich sind." Bleibt als Fazit: Seehofers Vorpreschen hat Merkel gestärkt und nur wegen des Interesses, die Regierung durchzubringen, nicht zum Bruch geführt. So wird Seehofer bis zum Ende seiner politischen Karriere in Berlin mit der Bundestagswahl 2017 weitermachen dürfen, als bayerischer Löwe, der immer mal wieder aus München brüllt.

Ralph Bollmann, Jahrgang 1969, ist seit 2011 wirtschaftspolitischer Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Zuvor war der Absolvent der Deutschen Journalistenschule München 13 Jahre lang Politikredakteur der "taz". Bollmann veröffentlichte im Klett-Cotta-Verlag das viel beachtete Porträt "Die Deutsche - Angela Merkel und wir".
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