Jahrzehnte sind inzwischen vergangen, seit in Europa der Nationalsozialismus wütete. Doch viele fragen sich: Darf heute eigentlich über Adolf Hitler lachen? Oder verharmlost man damit die Verbrechen des Dritten Reiches? Experten sagen: Es kommt auf die Absichten an.

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Hitler und Göring stehen auf dem Funkturm in Berlin. Der Krieg wird bald zu Ende sein. Hitler zu Göring: "Ich will etwas tun, das die Leute aufmuntert." "Dann spring doch", schlägt Göring vor.

Sind diese Sätze lustig oder einfach nur deplatziert? Für Erez Israeli ist es nur einer von vielen Witzen, die der Künstler zusammengetragen hat. Nach den Charlie Hebdo-Anschlägen in Paris fragte er sich, wie weit Karikaturen eigentlich gehen dürfen. Er begann Witze über Juden zu sammeln und diese mit kleinen Zeichnungen aus Tinte zu versehen. Unlängst druckte das "Zeit-Magazin" einige seiner Werke ab. Im Interview wurde Israeli gefragt: Dürfen Deutsche über solche Witze lachen? Seine Antwort: "Ich habe immer gesagt: Natürlich! Lacht!"

Dürfen sie? Witze über Adolf Hitler – tatsächlich scheint vielen Deutschen da noch immer das Lachen im Hals stecken zu bleiben. Ist das tatsächlich in Ordnung? Und wann wird es geschmacklos?

Deutsche begannen erst spät, über Hitler zu lachen

Gavriel Rosenfeld kennt diese Fragen. Der Historiker ist Professor an der amerikanischen Fairfield University. Er hat mehrere Bücher über Hitler und den Nationalsozialismus geschrieben. Erst vor wenigen Monaten erschien sein jüngstes Werk "Hi Hitler!". Rosenfeld beschreibt darin, wie sich über Jahrzehnte der Blick auf Hitler in Kultur und Gesellschaft verändert hat. Besonders seit der Jahrtausendwende habe sich einiges getan.

"In der westlichen Gesellschaft sollte es immer zulässig sein, über alles zu lachen", sagt Rosenfeld im Gespräch mit unserem Portal. Bei Hitler war das jedoch nicht immer so. Wegen der Gräuel des Holocausts dauerte es bis zu den 1960ern und 1970er, ehe Amerikaner und Briten die Nazi-Ära als Thema für Satire entdeckten – etwa Mel Brooks oder Monty Python. "Die Deutschen waren bei diesem Trend sehr spät dran, bei ihnen dauerte es bis in die 1990er Jahre", sagt Rosenfeld und nennt als Beispiel die Figur "Adolf, die Nazi-Sau" von Comic-Zeichner Walter Moers.

Moralische Verantwortung nicht aus den Augen verlieren

Wie weit Satire gehen kann, hat vor einigen Jahren besonders Serdar Somuncu ausgetestet. Somuncu ist Kabarettist, in Istanbul geboren, in Deutschland aufgewachsen. Hunderte Male stand er auf der Bühne und las seinem Publikum aus "Mein Kampf" vor. Sein Ziel: rechte Ideologien und Rassenwahn zu entlarven. Vielen Rechtsextremen gefiel das nicht. Immer wieder musste Somuncu mit kugelsicherer Weste und Polizeischutz auftreten. Doch er machte weiter, auch heute baut er Hitler noch häufig in seine Programme ein.

Für eine gesellschaftliche Debatte sorgte zuletzt Timur Vermes’ Roman "Er ist wieder da", in dem Hitler im Jahr 2011 plötzlich wieder in Berlin auftaucht. Als der Roman 2012 erschien, sass in einer der vielen Talkrunden auch Rudolf Dressler, SPD-Politiker und ehemals deutscher Botschafter in Israel. Er fände es unerträglich, "einen Massenmörder als Mittel zum Zweck des Umsatzes zu missbrauchen", sagte Dressler damals. Und: "Engländer oder Griechen können sich Hitler-Witze leisten, wir Deutschen aber nicht."

Dresslers Einwand beruht auf der historischen Verantwortung, die aus dem Holocaust erwächst. Kritiker fürchten, dass mit dem Lachen über Hitler auch die Verbrechen des Dritten Reiches verharmlost würden. Für Historiker Rosenfeld kommt es deshalb vor allem auf ein Abwägen an. Auf die Frage, welche Ziele jemand mit einer Hitler-Parodie oder -Satire verfolge.

"Wenn man versucht, mit Humor den Nationalsozialismus zu kritisieren, ist das in Ordnung", sagt er. "Wenn es jedoch nur um den Selbstzweck geht, die Nazi-Zeit für Lacher auszunutzen, sehe ich das problematischer." Viele Websites würden Hitler heute nur ausbeuten, um damit Aufmerksamkeit zu bekommen. "Aber damit trivialisieren sie einen wichtigen Zeitraum der Geschichte und vernachlässigen die moralische Dimension", sagt Rosenfeld.

Humor als moderne Kritik an Rechtsradikalen

Hitler ausschliesslich mit Lachen und nichts anderem zu begegnen, könne nicht der richtige Ansatz sein, sagt denn auch Klaus Blaudzun im Gespräch mit unserem Portal. "Aber Humor muss eine von vielen Perspektiven sein." Blaudzun leitet das Institut für neue Medien in Rostock und engagiert sich selbst gegen Rechtsextremismus. Er sagt: "Man darf nicht nur über Hitler lachen – man muss sogar." Denn Lachen sei auch eine moderne Form der Kritik an den Rechtsradikalen unserer Zeit. "Es ist unglaublich, welche Wirkung Satire auf Nazis hat. Denn Nazis haben überhaupt keinen Humor."

Das scheinen bereits die Alliierten zu Hitlers Zeiten erkannt zu haben. Schon in den 1940er Jahren wurde Hitler etwa von Charlie Chaplin in "Der grosse Diktator" parodiert. Gavriel Rosenfeld weiss: "Seit den 1920er Jahren gab es immer schon Leute, die über Hitler gelacht haben." Und das aus gutem Grund: "Es bedeutete, ihn in seine Schranken zu weisen und sein Gefühl der Selbstherrlichkeit zu schrumpfen."

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