Deutschland macht mit der Klimapolitik ernst. Indien und China spielen dagegen auf Zeit und setzen massiv auf billige, schmutzige Kohle. Dahinter steckt ein Wettbewerbskalkül. Europa soll mit teurer Energie bei Stahl, Papier, Chemie und der Auto-Industrie vom Weltmarkt verdrängt werden. Hinter den Kulissen grüner Lippenbekenntnisse wird mit harten Bandagen gekämpft.
Chinas Präsident
60 Prozent des Stroms kommen aus schmutzigen Kohlekraftwerken. Mehr als 200 neue sind sogar im Bau, und 150 Kohleminen werden nun neu eröffnet. Peking will keine wirkliche Wende, Klimaprotest wird brutal unterdrückt. Klimaneutralität will China erst 2060 erreichen.
Auch Indien folgt zwar einer Rhetorik des Klimaschutzes, doch die Kohleverstromung wird auch dort massiv ausgebaut. Indiens Kohlekraftwerke generieren zwei Drittel des Stroms. Im Rahmen des Corona-Wiederaufbauprogramms hat die Regierung gerade die Erschliessung von 40 neuen Kohlegruben beschlossen. Der staatliche Konzern Coal India baut im ganzen Land neue Kohlekraftwerke, schon jetzt sind 280 davon im Vollbetrieb. Erneuerbare Energien würden Indiens wirtschaftliche Zukunft nicht ermöglichen, heisst es in Delhi.
Alleine das BASF-Werk in Ludwigshafen braucht so viel Strom wie ganz Dänemark
China will offiziell erst 2060 klimaneutral werden, Indien sogar erst 2070. Anders als in Europa geniesst Klimapolitik keine obere Priorität. Im Gegenteil. Im globalen Wettbewerb der Volkswirtschaften sehen chinesische und indische Strategen sogar einen Vorteil ihrer Länder darin, dass Europa durch einen teuren Umstieg auf grüne Energiequellen geschwächt wird. Mit steigenden Energiekosten werde die Industrie Europas in Probleme geraten, davon könnten Indien und China profitieren.
Insbesondere energieintensive Unternehmen könnten gezielt angegriffen werden. Das trifft insbesondere die Branchen Baustoffe, Chemie, Glas, Nichteisen-Metalle, Papier und Stahl. Um Aluminium, Kupfer und Zink, Dämm- und Kunststoffe sowie Grundchemikalien, Papier und Karton, Glas, Glasfasern, Stahl, Zement, Kalk, Gips und Keramik herzustellen, wird besonders viel Energie benötigt. Alleine das BASF-Werk in Ludwigshafen braucht so viel Strom wie ganz Dänemark. Wenn der in Deutschland klimapolitisch teurer wird, sind Produktionsverlagerungen absehbar. Ein chinesischer Chemie-Unternehmer bringt es auf den Punkt: "Wir machen die Deutschen mit ihrer grünen Klimanaivität jetzt fertig."
Die Strompreise sind in Deutschland inzwischen viermal so teuer wie in China. 39 Dollar-Cent müssen Deutsche pro Kilowattstunde zahlen, Chinesen nur 8 Cent. Das Institut der deutschen Wirtschaft warnt. "Eine solche Mehrbelastung der Stromverbraucher wirkt sich negativ auf die Wirtschaftlichkeit von energieintensiver Produktion in Deutschland aus. Denn in vielen konkurrierenden Industrienationen ist ein derartiges Ausmass an staatlichen Strompreiskomponenten nicht zu verzeichnen. So weist die deutsche Industrie im internationalen Vergleich mit die höchsten Strompreise auf."
In China sind derzeit mehr als 200 neue Kohlekraftwerke im Bau
Die Sorge in der energieintensiven Industrie ist gross. Die erwirtschaftet in Deutschland jährlich einen Umsatz von rund 330 Milliarden Euro – oder 18 Prozent des Umsatzes des gesamten Verarbeitenden Gewerbes. Sie investierten jährlich über 10 Milliarden Euro am Standort Deutschland und geben jedes Jahr über 17 Milliarden Euro für Energie aus. Der Branchenverband warnt: "Der frühzeitige Kohleausstieg wird zu Mehrbelastungen für die Industrie führen, denn er wird zu einem Anstieg des Strompreises führen.
Während Deutschland sich von der günstigen Kohle verabschiedet, steigt China massiv ein. Nach Angaben des Global Energy Monitors brachte China 2020 neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 38,4 Gigawatt ans Netz – das ist dreimal so viel wie der gesamte Rest der Welt zusammen. Derzeit sind mehr als 200 neue Kohlekraftwerke im Bau. Die Expertengruppe Carbon Tracker beziffert Pekings Planungsvorhaben auf 368 neue Kraftwerke. Greenpeace berichtet, dass allein im laufenden Jahr weitere 24 neue Steinkohlekraftwerke genehmigt worden seien.
US-Präsident Joe Biden beklagte auf dem Weltklimagipfel Pekings Klimapolitik als enttäuschend. Bei allen Fortschritten der Weltstaatengemeinschaft müsse man enttäuscht zur Kenntnis nehmen, "was China nicht macht, was Russland nicht macht und was Saudi-Arabien nicht macht". Sein Sicherheitsberater Jack Sullivan spricht gar von einem "verblüffenden" Versagen. China sei verantwortlich für den "bedeutenden Ausreisser" im Kampf gegen der globalen Klimawandel. Auch zahlreiche Umweltschutzgruppen wie Greenpeace kritisieren Chinas Energiepolitik scharf.
Die offizielle Seite von Fridays for Future China war nur wenige Tage online
China wird sich von der Kohle nicht verabschieden, weil schon jetzt die Versorgungssicherheit des Landes labil ist. Zuletzt musste in rund 20 Landesteilen sogar immer wieder der Strom abgeschaltet und für bestimmte Zeiten rationiert werden - weil schlicht zu wenig verfügbar war. Die staatliche Planungskommission hat die kohlereichen Landesteile Innere Mongolei, Shanxi und Shaanxi direkt aufgefordert, die Kohleförderung noch zu verstärken. Für Chinas Staats- und Parteiführung hat Versorgungssicherheit eindeutig Vorrang vor Klimaschutz. In einem Jahr will sich Xi auf dem 20. Parteikongress eine dritte Amtszeit verschaffen und verspricht Wohlstand für alle. Kohle soll ihm dabei helfen.
Nach offiziellen Daten der Pekinger Regierung wird China seine Kohleförderung im Jahr 2021 um knapp sechs Prozent steigern. Man nähert sich dem Wert von 4 Milliarden Tonnen. China erreiche Förderrekorde, meldet Peking stolz. Die Planungsbehörde hat seit Anfang August die Inbetriebnahme von 153 zuvor stilgelegten Kohleminen genehmigt. Sie würden die Produktionskapazität um 220 Millionen Tonnen pro Jahr steigern.
Dass dabei in China in gewaltigem Ausmass klimaschädliches CO2 freigesetzt wird, nimmt Peking offenbar in Kauf. Kritik an dieser Politik wird systematisch unterdrückt. Umweltprotest lässt das Regime - etwa im Internet - weiträumig löschen. Kritische Kommentare werden getilgt oder von Staatstrollen überwältigt, selbst in privaten Nachrichtenchats regiert Zensur. Umweltschützer und Klimaaktivisten werden immer wieder festgenommen, so auch die Greta Thunberg Chinas, die Schülerin Howey Ou.
Die offizielle Seite von Fridays for Future China war nur wenige Tage online, dann wurde sie gesperrt. Wenn man in China in sozialen Medien auch nur Begriffe wie "Klimakrise" oder "FridaysforFuture" erwähnt, wird man sofort erfasst und ins Visier der Staatsbehörden genommen. Der Umweltschützer Fu Xiancai, der der ARD ein Interview gegeben hatte, wurde nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights in China von "Mitgliedern einer Schläger-Brigade" brutal zusammengeschlagen.
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