Friedrich Merz war nie ein Politiker, der es allen recht machen wollte. Jetzt schafft er es höchstwahrscheinlich ins mächtigste Amt der Republik. Wer ist der wohl nächste Bundeskanzler Deutschlands?

Ein Porträt
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"Einen wie Friedrich Merz wählen die Deutschen bei schönem Wetter nicht zum Kanzler." Das soll ein Weggefährte einmal über den CDU-Vorsitzenden gesagt haben. So schreibt es der Journalist Volker Resing in seiner Biografie über Merz. Jetzt haben sie ihn gewählt: Die Kanzlerschaft dürfte Merz nach der Bundestagswahl sicher sein.

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Wenn man dem Weggefährten glaubt, sagt das einerseits etwas über die politische Grosswetterlage aus. Andererseits stellt sich die Frage: Was meint er mit "einem wie Merz"?

Der "brave Rebell" aus dem Sauerland

Joachim-Friedrich Martin Josef Merz, Jahrgang 1955, wächst in Brilon im Sauerland in einem konservativen Elternhaus auf. Der "Spiegel" hat ihn mal als "braven Rebell" beschrieben. Merz trägt die Haare in der Jugend etwas länger, bleibt einmal sitzen, muss sogar die Schule wechseln. Für Politik interessiert er sich zunächst nicht, tritt dann aber schon mit 16 in die CDU ein.

Merz studiert Jura und heiratet 1981 seine Frau Charlotte. Auch sie ist Juristin, heute ist sie Präsidentin des Amtsgerichts Arnsberg. Das Paar bekommt drei Kinder.

Da teilten sie noch Bonbons: Friedrich Merz und Angela Merkel 2000 im Bundestag. © dpa/Wolfgang Kumm

Ein steiler Aufstieg – bis Merkel ihn wegdrängt

Seine politische Laufbahn startet Merz 1989 als Abgeordneter im Europäischen Parlament. 1994 wechselt er in den Bundestag. In seiner Fraktion macht der junge Abgeordnete mit seinem Redetalent auf sich aufmerksam.

2000 öffnet ihm die Krise seiner Partei den Weg in die erste Reihe: Die CDU hat 1998 zuerst die Macht im Bund verloren und kämpft danach wegen einer Spendenaffäre um politisches Vertrauen. Neue Gesichter werden gebraucht. Während Angela Merkel Parteichefin wird, übernimmt Merz den Vorsitz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Zunächst formen beide noch ein Duo. Als Oppositionsführer im Bundestag ist es Merz' Aufgabe, die rot-grüne Bundesregierung hart anzugreifen. Er steht für eine unternehmerfreundliche Wirtschafts- und Finanzpolitik und verordnet Einwanderern die deutsche "Leitkultur".

Merz wird bundesweit bekannt. Schon damals formt sich der Ruf, der ihn noch heute verfolgt: Gescheit und redegewandt ist er. Doch er wirkt auch oberlehrerhaft, ist nicht gerade ein Menschenfänger.

Die Zeit an der Fraktionsspitze fällt eher kurz aus. 2002 verliert die Union mit Edmund Stoiber (CSU) als Kanzlerkandidat knapp die Wahl. Angela Merkel beansprucht danach neben dem Partei- auch den Fraktionsvorsitz für sich. Merz muss ihr weichen – und nimmt das offenbar persönlich. Er erfindet noch die Forderung, die Steuererklärung müsse auf einen Bierdeckel passen. Doch in der Merkel-CDU sieht er keinen Platz für sich. Bei der Bundestagswahl 2009 tritt er nicht mehr an.

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Das umstrittenste Kapitel

Schon vor seinem Abschied aus dem Bundestag arbeitet Merz wieder als Wirtschaftsanwalt, wird Mitglied in mehreren Aufsichtsräten, ist später beruflich viel in den USA unterwegs. Er wird ein Grenzgänger zwischen Politik und Wirtschaft mit einem Millioneneinkommen.

Seine umstrittenste Tätigkeit nimmt er 2016 auf, als Aufsichtsratsvorsitzender und Berater der Deutschlandsparte von Black Rock. Der grösste Vermögensverwalter gilt als Sinnbild eines Turbokapitalismus, der Profit über alles stellt.

Merz lässt sich von dieser Kritik nicht beeindrucken. Seinem Biografen Resing zufolge bezeichnet er die Politik-Auszeit als schönste Erfahrung seines beruflichen Lebens. Das passt ins Bild. Es möglichst vielen anderen recht zu machen, scheint nie Merz' Ziel gewesen zu sein.

Merz kann Flugzeuge steuern - und macht davon gerne Gebrauch. So wie hier auf Sylt. © dpa/Axel Heimken

Comeback mit langem Anlauf

2018 wird deutlich: Die Ära von Angela Merkel nähert sich ihrem Ende. Merz wittert seine Chance für ein Comeback. Er will CDU-Vorsitzender werden und steht dabei für einen Kurswechsel zu konservativeren Positionen.

Es wird ein langer Anlauf zur Macht. 2018 und 2021 scheitert Merz bei der Bewerbung für den CDU-Vorsitz. Auch in der eigenen Partei fliegen dem strengen Sauerländer noch nicht die Herzen zu. 2021 sagt er in seiner Bewerbungsrede zu den Delegierten: "Ich werde es mir nicht leicht machen – Ihnen aber auch nicht!" Das klingt fast wie eine Drohung. Der Parteitag wählt dann lieber Armin Laschet zum Vorsitzenden.

Mit Laschets Scheitern bei der Bundestagswahl 2021 ist aber der Weg frei für Merz. Im Januar 2022 wird er mit grosser Mehrheit zum Parteichef gewählt. In der Opposition versammelt er die CDU hinter sich, setzt sogar eine umstrittene Frauenquote durch. Die CSU mit Markus Söder bringt er auf Linie. Und zweifellos profitiert Merz auch davon, dass sich die Ampelkoalition in Streit und ständigen Krisen aufreibt.

Seine Beliebtheitswerte sind trotzdem eher mässig. Merz hat mit dem Bild zu kämpfen, das politische Gegner von ihm zeichnen – doch er liefert ihnen auch immer wieder Futter dafür. Als Christian Lindner auf Sylt heiratet, reist Merz mit dem Flugzeug an. Ein gewagtes Statement in einem Land, in dem Bodenständigkeit eine Tugend ist. "Sagen wir mal so: Ich bin mit dem Zug nach Sylt gefahren", lästert danach sogar ein FDP-Politiker.

Merz hat viele Gesichter. Er ist in Hintergrundgesprächen oft nachdenklich und differenziert. Er kann in Interviews aber auch patzig werden, wenn ihn Fragen ärgern. Er teilt in Reden gerne hart gegen die andere Seite aus, legt aber Wert auf gute Manieren. Politische Konkurrenten behandelt er höflich – solange sie das mit ihm auch machen.

Hoffnungsträger und Schreckgespenst

Jetzt ist er am Ziel. Mit 69 Jahren, als siebenfacher Grossvater, dürfte Merz die Krönung einer Politik-Karriere mit Höhen und Tiefen kaum noch zu nehmen sein: das Kanzleramt.

Vor rund einem Jahr hatte der sonst so selbstbewusste Merz leise Zweifel angedeutet, ob er sich diese Aufgabe noch zutraut. Merz hat es vor kurzem in der ARD-Dokumentation "Die Vertrauensfrage" selbst als seinen schwachen Punkt bezeichnet: Er wäre bei Amtsantritt der älteste Bundeskanzler seit Konrad Adenauer. Gleichzeitig wäre er auch der erste Kanzler der Nachkriegszeit ohne Regierungserfahrung in Bund, Ländern oder Kommunen.

Es liesse sich noch hinzufügen: Vielleicht hat seit Willy Brandt noch nie ein angehender Bundeskanzler das Land so stark polarisiert wie Merz. Von seinen Anhängern wird er gefeiert für klare Worte und wirtschaftlichen Sachverstand. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sind die Vorbehalte aber gross. Dort ist er für viele ein konservatives Schreckgespenst. Kurz vor der Bundestagswahl teilte Merz noch einmal aus und sagte bei einem Wahlkampfauftritt in München, er werde keine Politik "für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt" machen.

Seine politischen Glanzzeiten hat der CDU-Vorsitzende in der Opposition erlebt. Er war gut, wenn er gegen etwas war: gegen die Regierungspolitik von Rot-Grün, gegen seine innerparteiliche Widersacherin Merkel, gegen die Ampel. Jetzt muss Merz zeigen, wie er es besser macht.

Verwendete Quellen