Wie verbreitet sind antisemitische Einstellungen an Hochschulen, und wie haben sich diese verändert? Eine aktuelle Studie liefert Einblicke.
Rund ein Sechstel der Studentinnen und Studenten in Deutschland tendiert zu antisemitischen Einstellungen oder ist antisemitisch eingestellt. Das ergab eine erneute Befragung im Auftrag des Bundesforschungsministeriums im Nachgang zum Terrorangriff der Hamas auf Israel im Herbst 2023. Viele Hochschulen haben seitdem antisemitische Vorfälle registriert, wie die Studie ebenfalls ergab.
Grosse Mehrheit nicht antisemitisch
Bei 17 Prozent der Befragten zeigten sich demnach entsprechende Einstellungen, das ist in etwa das Niveau der Vorgängerbefragung vor einem Jahr (18 Prozent). Bei 6 Prozent davon sehen die für die Studie verantwortlichen Forscher der Universität Konstanz Antisemitismus, bei 11 Prozent zumindest eine Tendenz dazu. In der Gesamtbevölkerung liegen die Anteile demnach deutlich höher (20 Prozent antisemitisch, 19 Prozent tendenziell antisemitisch).
Bei einer unverändert grossen Mehrheit der Studierenden (83 Prozent) wurden keine antisemitischen Tendenzen festgestellt. In dem Bericht, der im Bundesforschungsministerium im Berlin vorgestellt wurde, heisst es dennoch: "Es ist weiterhin hohe Wachsamkeit angezeigt – insbesondere gegenüber israelbezogenem Antisemitismus". In absoluten Studierendenzahlen dominiere der linke Antisemitismus den rechten Antisemitismus an Hochschulen.
Um zu messen, wie sehr antisemitische Einstellungen verbreitet sind, wurden den Befragten Aussagen zur Ablehnung oder Zustimmung vorlegt, die in der Antisemitismusforschung zum Einsatz kommen, etwa: "Viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren Vorteil zu ziehen" oder "Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben."
Israels Militäreinsatz deutlich kritischer bewertet
Unverändert sind rund 70 Prozent der Befragten der Ansicht, der Überfall der Hamas sei ein verabscheuungswürdiger Terrorakt gewesen. Deutlich kritischer wird inzwischen aber der israelische Militäreinsatz in Reaktion auf den Angriff gesehen. 65 Prozent stimmen jetzt der Aussage zu, dieser führe "vor allem zu unermesslichem Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung" (2024: 58 Prozent). Gestiegen ist laut Studie auch der Anteil derer, die einen über die militärische Zusammenarbeit hinausgehenden, breiteren Boykott Israels zumindest tendenziell unterstützen.
Antisemitische Vorfälle an vielen Hochschulen
Befragt wurden dieses Mal auch Hochschulleitungen. Von den 271 der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) angehörenden Einrichtungen nahmen 94 teil. An mehr als jeder dritten davon kam es demnach seit dem Hamas-Überfall zu antisemitischen Vorfällen, etwa in Form von Graffitis, Aufklebern, Plakaten oder antisemitischen Parolen auf Demonstrationen, vereinzelt aber auch in Form verbaler und sogar körperlicher Angriffe auf jüdische Studierende.
"Gerade auch an unseren Hochschulen muss klar sein: Antisemitismus und Israelfeindlichkeit dürfen hier nicht toleriert werden", sagte der geschäftsführende Bundesforschungsminister Cem Özdemir. "Jüdische Studierende und Lehrende müssen sich jederzeit an allen unseren Hochschulen sicher fühlen." Diese Selbstverständlichkeit sei ein bleibender Auftrag. (dpa/bearbeitet von lla)