Die Ampelkoalition endet vorzeitig. Mit einem schweren Zerwürfnis von zwei Architekten und mit einem lauten Knall. Die Reste der Regierung und das ganze Land stehen vor unsicheren Monaten – und die gesamte Politik vor grundlegenden Fragen.
Als dem Anfang noch ein Zauber innewohnte, war der Himmel rot, gelb und grün: In diesen Farben war die Decke der Halle im Berliner Westhafen angestrahlt, in der SPD, Grüne und FDP am 24. November 2021 ihren Koalitionsvertrag vorstellten. Der angehende Finanzminister Christian Lindner (FDP) schwärmte damals vom angehenden SPD-Bundeskanzler: Olaf Scholz habe eine klare innere Haltung und werde eine "starke Führungspersönlichkeit" sein, sagte Lindner.
Keine drei Jahre später ist der Nachthimmel über dem Kanzleramt silbrig braun – und die Ampelkoalition Geschichte. Der Schritt hatte sich angedeutet. Doch überraschend ist, wie laut dieses Bündnis am Mittwochabend zerbricht. Nämlich mit einer Eskalation zwischen dem Kanzler und seinem Finanzminister. "Wahnsinn", sagt eine Journalistin vor dem Kanzleramt.
Scholz über Lindner: "Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen"
Im Inneren waren die Spitzen der Koalition zusammengekommen, um einen allerletzten Ausweg aus der x-ten Koalitionskrise zu finden.
Doch statt
Die FDP war immer schon der Aussenseiter in dieser Koalition, vor allem, weil die Liberalen in der Wirtschafts-, Sozial- und Migrationspolitik Welten von SPD und Grünen trennen. Am Anfang liessen sich Gegensätze noch mit Geld überdecken. Doch der russische Krieg gegen die Ukraine, die daraus folgende Energie- und Wirtschaftskrise haben die Partner immer weiter auseinandergetrieben. Lindner wolle eigentlich raus aus der Koalition, hiess es in Berlin schon länger. Aber er wollte nicht derjenige sein, der geht.
Lindners Gegenschlag: "Scholz hat nicht die Kraft"
Scholz und Lindner galten mal als eingespieltes Duo – der Kanzler hat seinen Finanzminister oft in Schutz genommen. Doch im vergangenen Jahr haben sie sich mehr und mehr auseinanderbewegt. Um das Profil seiner Partei zu schärfen, hat Lindner sich beharrlich gegen höhere Steuern oder neue Schulden gewehrt. Am Freitag legte er dann ein ultimatives Papier vor, in dem er die Koalitionspartner aufforderte, von ihren Grundsätzen in der Renten- und Klimapolitik abzurücken. Damit war der Bruch unüberwindbar.
Scholz sagt am Mittwochabend, er habe immer wieder Kompromissvorschläge gemacht. "Ich muss jedoch abermals feststellen, der Bundesfinanzminister zeigt keinerlei Bereitschaft, dieses Angebot zum Wohle unseres Landes in der Bundesregierung umzusetzen. Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht länger zumuten."
Lindner tritt kurz danach ebenfalls vor die Presse. Auch er holt zu einem letzten heftigen Schlag aus. Scholz habe die "wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost", sagt er. "Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen", so Lindner. "Der Bundeskanzler hat seit heute Nachmittag ultimativ von mir verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen. Dem konnte nicht zustimmen, weil ich sonst meinen Amtseid verletzen würde."
Die Grünen haben in diesem Streit lange auf Durchhalteparolen gesetzt und an die staatspolitische Verantwortung appelliert. Doch die Partei, die nach Darstellung der Opposition den Kurs der ganzen Regierung bestimmt, wirkt an diesem Abend wie ein trauriger Zuschauer, wie die Kinder, die die Scheidung der Eltern verfolgen.
Mit ernsten Minen treten Vizekanzler Robert Habeck und Aussenminister Annalena Baerbock vor das Kanzleramt. Dieser Tag fühle sich geradezu tragisch an, sagt Habeck – vor allem an einem Tag, an dem der Wahlsieg von Donald Trump für viel Verunsicherung in der Welt sorgt. Fast verzweifelt ruft er trotzdem zu Optimismus auf. "Ab morgen geht die Arbeit weiter."
Scholz setzt auf die Union – doch die zeigt wenig Lust mitzuspielen
Nur wie? Der Plan von Scholz lautet: Die Minister von SPD und Grünen sollen vorerst im Amt bleiben. Er will noch Entscheidungen für eine Ankurbelung der Wirtschaft und die militärische Unterstützung der Ukraine treffen – und die dafür notwendige Mehrheit zusammen mit CDU und CSU erreichen. Erst im Januar will Scholz dann im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Sie würde er höchstwahrscheinlich verlieren und damit würde ein Weg zu Neuwahlen im Frühjahr führen.
Am Donnerstag soll CDU-Chef Friedrich Merz zu einem bereits länger geplanten Gespräch beim Bundespräsidenten eingeladen sein. Doch fraglich ist, ob die Union diesen Weg mitgeht. CDU und CSU haben bisher keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, dem Rest einer gescheiterten Koalition noch zu Mehrheiten zu verhelfen. Sie pochen auf schnellere Neuwahlen. Auf das krachende Ende der Ampelkoalition wird ein Kräftemessen zwischen der Rest-Ampel und der Union folgen. Ein letzter Strohhalm für Scholz, sich noch etwas länger an der Macht zu halten.
Am eigenen Anspruch gescheitert
Die Ampel war als "Fortschrittskoalition" gestartet. Sie wollte weltanschauliche Gräben in der Gesellschaft überbrücken. An diesem denkwürdigen Tag ist festzustellen, dass sie an dieser Herausforderung gescheitert ist. Dieses Scheitern hinterlässt Fragen: Wie sollen Koalitionen noch funktionieren, wenn in der Öffentlichkeit jede Diskussion zum Streit, jeder Kompromiss zum Umfallen stilisiert wird? Wenn Parteien bei schlechten Umfragewerten so sehr in Panik geraten wie alle drei Ampelpartner und das Heil nur noch in der eigenen Profilierung suchen?
Als der Bundeskanzler am 26. Februar 2022 nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine seine "Zeitenwende"-Rede vorbereitet hatte, setzte sein Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt beim damaligen Kurznachrichtendienst Twitter ein Foto des nächtlichen Kanzleramts und eine kurze Botschaft ab. Sie passt auch zum 6. November 2024: What a day. Was für ein Tag.
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