Am Tag eins nach der amerikanischen Kündigung des Iran-Deals schlagen die Wellen hoch. Einer der wenigen Staaten, die US-Präsident Donald Trumps Entscheidung positiv bewerten, ist Israel. Über Israels Rolle in Syrien und im Konflikt mit dem Iran haben wir mit Professor Hajo Funke gesprochen. Der Politikwissenschaftler und Nahost-Experte lehrte bis 2010 an der Freien Universität Berlin.

Ein Interview

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Herr Funke, Israel hat in letzter Zeit vermutete iranische Stellungen in Syrien bombardiert und damit eine weitere Eskalation in diesem komplexen Krieg ausgelöst. Welche Strategie verfolgt das Land?

Prof. Hajo Funke: Israels Ministerpräsident Netanjahu sieht ein Sicherheitsproblem für Israel, weil mit Iran verbundene Kräfte in Syrien das Assad-Regime verteidigen. In der Tat kann man das als Bedrohung für Israel wahrnehmen. Doch Israel provoziert mit seinen Reaktionen ein Anwachsen der Gefahr.

"Safety first" und unter allen Umständen – diese Sicht hat durchaus ihren Sinn angesichts der Geschichte Israels. Aber wenn sie zur einzigen Option wird, versetzt sich Israel in eine ultraradikale ideologische Position. Das Leben der Menschen in Tel Aviv wird damit nicht sicherer, sondern deren Sicherheit wird geschmälert.

Mitunter wird der Verdacht geäussert, Benjamin Netanjahu wolle mit der Eskalation in Syrien von seinen eigenen Problemen ablenken – er ist wegen Korruption angeklagt.

Das mag sein. Aber Netanjahu ist ein radikaler Überzeugungstäter. Das ist das Entscheidende. Nebenbei mag für ihn auch die Korruptionsaffäre eine gewisse Rolle spielen – aber das ist zweitrangig.

"Der Iran will keinen Krieg mit Israel"

Netanjahu argumentiert, der Iran drohe Israel mit der Vernichtung…

…, aber zu dieser Befürchtung besteht kein Anlass. Der derzeitige iranische Präsident Rohani will keinen Krieg mit Israel – schon die Drohungen seines Vorgängers Ahmadinedschad waren doch nur Rhetorik. Aber Netanjahu möchte ausschliessen, dass irgendjemand im Iran noch militärische Optionen hat, und dazu braucht es enorm viel Druck.

Diesen Druck muss der Iran als Provokation verstehen, und so führt Netanjahus Politik zur permanenten Eskalation des Konflikts. Der Iran hat es bisher vermieden, die Bedrohung der israelischen Bevölkerung umzusetzen. Aber irgendwann ist die Eskalationstaktik von Trump und Netanjahu so erniedrigend, dass die iranische Regierung reagieren wird.

Sie befürchten, dass der Iran sich zu militärischen Reaktionen gedrängt sieht?

Netanjahu drängt die iranische Politik geradezu in eine Falle, weil er nicht mehr politisch, sondern nur noch militärisch agiert. Da liegt ein Vergleich mit der Kuba-Krise 1962 nahe, wie ihn die israelische Tageszeitung Haaretz gestern gezogen hat.

An deren Höhepunkt hat der amerikanische Präsident John F. Kennedy den Russen einen Ausweg angeboten: Die USA zogen ihre Raketen aus der Türkei ab, die Russen diejenigen auf Kuba, beide Seiten konnten ihr Gesicht wahren, ein Atomkrieg wurde vermieden.

Welches Angebot könnte die Politik dem Iran machen, um einen Krieg zu verhindern?

Das Problem ist, dass derzeit niemand da ist, der ein solches Angebot mit Erfolg macht. Es dominiert Kriegsrhetorik, Verhandlungen sind für Netanjahu und Trump keine Option. Bisher war Russland in Syrien ein gewisser Beruhigungsfaktor: Präsident Putin war sowohl mit dem Iran als auch mit Israel in Kontakt.

Doch auf solche Vermittlungsmöglichkeiten geht Netanjahu nicht mehr ein. Er ist ein Radikaler vom ganz rechten Rand der politischen Klasse in Israel. Und er hat sich laut Haaretz von der Knesset autorisieren lassen, ohne Kabinettsbeschluss einen Krieg beginnen zu können.

"Die Situation ist extrem aufgeladen und äusserst gefährlich"

Auch Donald Trump will nicht mehr verhandeln. Fühlt sich Netanjahu von ihm unterstützt?

Auch Trump ist ein Radikaler, kein guter Politiker und nicht an internationaler Diplomatie interessiert. Er lässt sich inzwischen von einem Sicherheitsberater "beraten", der schon für den mit Lügen begonnenen, desaströsen Irakkrieg vor 15 Jahren mitverantwortlich war, von John Bolton. Trump denkt in ideologischen Kategorien von Freund und Feind, auch in seiner Aufkündigung des Iran-Atomvertrags vom 8. Mai 2018.

Begriffe wie Rache beherrschen seine Rhetorik. Die Situation ist inzwischen extrem aufgeladen und äusserst gefährlich. Wenn Trump an der Seite Israels bleibt und Israel Putins Vermittlungsoptionen nicht mehr annimmt, kann ich das Szenario nicht ausschliessen, dass es innerhalb der nächsten Wochen oder Monate zum Krieg kommt.

Was würde ein neuer Nahost-Krieg bedeuten?

Das wäre nicht nur ein Nahost-Konflikt. Das wäre ein Grosskonflikt. Und dies vor dem Hintergrund eines ausser Kontrolle geratenen Kriegs um Syrien. Man muss ihn bremsen!

Ihr Szenario ist beängstigend, weil die Beteiligten gar nicht willens scheinen, etwas für die Deeskalation zu tun.

In Vorraum von solchen ultimativen Entscheidungen mit solch enormen Auswirkungen gibt es immer einen Spielraum. Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, hat ein Spitzentreffen der sieben Signatarmächte des Iran-Atomvertrags vorgeschlagen. Stellen Sie sich vor, es käme zu einer deutlichen mehrheitlichen Stellungnahme gegen die USA…

"Jede Chance zur Deeskalation nutzen"

Dazu müsste sich auch die EU einig sein …

Sogar der britische Aussenminister Boris Johnson hat sich ja mittlerweile zum Iran-Deal bekannt. Wenn daraus alsbald eine gemeinsame europäische Haltung entstünde, wenn man zusammen mit Russland und den Chinesen an die amerikanische Verhandlungsfähigkeit, gar an Vertragstreue appellieren würde, wenn man die Bedeutung auch für die Lösung des Korea-Konflikts betonen würde – dann hätten wir eine Situation, in der Trump ein Stück weit eingehegt beziehungsweise isoliert werden kann.

Das würde die weitere Eskalation – und Netanjahu – bremsen können. Und zugleich wäre der Iran als Signatarstaat eingebunden und innenpolitisch gestärkt für deeskalierendes Verhalten.

Sie glauben also noch an die Chance für eine friedliche Lösung?

Jede noch so geringe Chance zur Deeskalation muss politisch und diplomatisch klug und unerschrocken genutzt werden. Unter Hintanstellung von Wut und ideologischen Überzeugungen. Es gibt neben der militärischen immer auch eine politische Option.

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