Die irakischen Kurden wollen über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Droht nun ein neuer Flächenbrand in der Region - oder ist eine friedliche Lösung möglich? Wir haben bei einem Experten nachgefragt.

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In der kurdischen Autonomieregion im Irak ist am 25. September eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Kurdistans geplant. Bundesaussenminister Sigmar Gabriel (SPD) warnt ausdrücklich davor, denn er sieht die Stabilität der gesamten Region bedroht.

Dem widerspricht der CDU-Bundestagsabgeordnete Mark Hauptmann vehement. Aussenminister Gabriel erkenne bei seiner Kritik die demokratischen Bestrebungen zur Selbstbestimmung der Kurden nicht an, so Hauptmann. Die irakischen Kurden litten besonders unter dem Zerfall des Staates und ergriffen nun die Initiative.

"Den wenigen demokratischen Kräften in der Region auch noch Steine in den Weg zu legen, halte ich für den falschen Lösungsansatz", sagt Hauptmann.

Er verweist darauf, dass die autonome Region Kurdistan ein zuverlässiger Partner sei, der entschlossen gegen den IS kämpfe und zwei Millionen Flüchtlinge aus benachbarten Regionen aufgenommen habe.

Die Situation in Kurdistan

Die politischen Parteien in der kurdischen Autonomieregion (KRG) im Irak sind seit 2015 zerstritten, das Parlament hat seitdem nicht mehr getagt.

KRG-Präsident Masud Barzani, dessen Amtszeit damals endete, ist zwar nicht mehr wirklich legitimiert, regiert aber de facto weiter. Er plant das Referendum.

Doch trotz des Streits untereinander seien die Parteien in der Frage des Referendums über ein unabhängiges Kurdistan einig. Das berichtet Kurden-Experte Martin Weiss, der als Referent für Aussenpolitik im Bundestag 25 Jahre lang für die Kurden zuständig war. "Selbst die grösste Oppositionspartei Gorran hat sich hinter die Pläne von Barzani gestellt." Sie kritisiere lediglich die mangelnde Legitimation Barzanis.

Was die Unabhängigkeit für den Irak bedeuten würde

Eine Unabhängigkeit Kurdistan bedroht die staatliche Integrität des Irak. Doch in Bagdad seien Ministerpräsident Haider al-Abadi und weitere schiitische Politiker nicht prinzipiell gegen eine Selbständigkeit Kurdistans.

"Allerdings wird betont, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt sei", so Weiss weiter. De facto ist der Irak längst in kurdische, schiitische und sunnitische Gebiete zerfallen.

Strittig ist die Grösse eines kurdischen Staates. Denn im Kampf gegen die Terrormiliz IS haben die Kurden Gebiete ausserhalb ihrer Autonomieregion unter ihre Kontrolle gebracht.

Neben den Gouvernements Erbil, Dahuk, Halabdscha und Sulaymaniya beherrschen sie auch die Gebiete Shingal und Kirkuk. Diese Gebiete sind ölreich und ethnisch stark gemischt, schon deshalb wird Bagdad sie nicht aufgeben.

"Die Lösung dieses Problems dürfte entscheidend für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage sein", schätzt der Kurden-Experte die Lage ein.

Wie stehen Anrainer zu einem unabhängigen Kurdenstaat?

Neben den irakischen Kurden leben auch in den Nachbarstaaten Türkei, Iran und Syrien grosse kurdische Minderheiten.

"Der Iran ist gegen einen kurdischen Staat", so der Experte. Teheran befürchte, dass sich die iranischen Kurden ebenfalls vom Iran abspalten wollten.

Die Haltung der Türkei ist schwierig zu beurteilen. Zum einen sind Präsident Recep Tayyip Erdogan und seiner Kurdenpolitik unberechenbar und irrational. So hat Erdogan aus innenpolitischen Gründen den erfolgreichen Friedensprozess mit der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) aufgekündigt, um Stimmung zu machen.

Andererseits hat die Türkei zur kurdischen Autonomieregion im Irak intensive Kontakte. Sie liefert alle möglichen Güter dorthin, besonders die türkische Bauindustrie profitiert davon.

"Der wirtschaftliche Aufschwung im Südosten der Türkei hängt auch von den guten Geschäften mit Irakisch-Kurdistan ab", berichtet der Kurden-Experte.

Ein weiterer Grund für eine mögliche Unterstützung Kurdistans ist das gespannte Verhältnis zwischen der Regierung Barzani und der PKK.

Während die irakischen Kurden eher kapitalistisch, feudalistisch ausgerichtet seien, so Weiss, sei die PKK stalinistisch geprägt. Eine türkische Akzeptanz eines unabhängigen Kurdistans als eine Art Pufferstaat sei durchaus möglich.

Deutlich unangenehmer für die Türkei sei ein kurdischer Staat im vom Bürgerkrieg zerrissenen Syrien, den die syrischen Kurden aufbauen wollen.

"Die Zusammenarbeit der syrischen Kurden mit der PKK ist für die Türkei ein Problem. Ankara befürchtet eine Sogwirkung auf türkischen Kurden", so der Kurden-Fachmann.

Eine Zusammenarbeit der syrischen mit den irakischen Kurden sei aber wegen ihrer gegensätzlichen politischen Ausrichtung unwahrscheinlich.

Wie könnte eine friedliche Lösung aussehen?

Durch das Referendum am 25. September sei kein grosser Flächenbrand in der Region zu erwarten, glaubt der Experte. Es gebe nur ein Stimmungsbild ab, eine Entscheidung sei damit nicht verbunden.

Er erwarte eine hohe Zustimmung für ein unabhängiges Kurdistan. Die wesentlichen Konfliktpunkte mit Bagdad seien die Gebietsfrage um Kirkuk und die Verteilung der Öleinnahmen.

Wenn beide Seiten kompromissbereit sind, sei eine Verhandlungslösung mit internationaler Beteiligung möglich. "Die Kurden wollen eine friedliche Trennung ähnlich wie in der Tschechoslowakei, das ist ihr Vorbild", sagt Weiss.

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