Die Bombe in der Hand Teherans – das ist die grosse Angst von Israels Premier Benjamin Netanjahu. Auf seiner Reise in die Vereinigten Staaten warnt er: Ein Deal der USA mit dem Iran bedroht die Sicherheit seines Landes. Doch wie begründet ist die Angst Israels vor der iranischen Atombombe?

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"Wir schweigen nicht mehr, wir haben eine Stimme, und ich werde diese Stimme nutzen." Weniger Pathos ist momentan nicht drin, wenn Israels Premier Benjamin Netanjahu spricht. Auf seine Reise in die USA hat er eine Botschaft mitgebracht, die er nicht müde wird, zu verbreiten: Israel wird bedroht. Vom Iran, der die Atombombe bauen will – und von den USA, die mit Teheran über das Atomprogramm verhandeln. Eine Einigung zwischen US-Aussenminister John Kerry und seinem iranischen Amtskollegen Mohammed Jawad Sarif könne "das Überleben Israels gefährden", sagte Netanjahu. In seiner Rede vor dem Kongress heute wiederholt er sich erneut: "Dies ist ein schlechtes Abkommen. Ein sehr schlechtes Abkommen. Wir sind ohne es besser dran". Und er ergänzt: "Das iranische Regime ist so radikal wie eh und je. Die grösste Bedrohung für unsere Welt ist der Bund des Islam mit Atomwaffen". Doch wie bedrohlich ist die Lage wirklich?

1. Wie weit ist das iranische Atomprogramm?

Der Iran ist Stand jetzt nicht in der Lage, eine Atombombe zu bauen. Das ist auch das zukünftige Ziel der Verhandlungspartner USA, Deutschland, Russland, China, Grossbritannien und Frankreich. Bislang hat der Iran Uran auf bis zu 20 Prozent angereichert – das reicht für medizinische Zwecke. Um eine Atombombe zu bauen, muss das radioaktive Material auf 85 Prozent angereichert werden.

In den vorhandenen Gaszentrifugen könnte der Iran das theoretisch bewerkstelligen, allerdings werden die von der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEO kontrolliert. Laut dem aktuellen IAEO-Bericht hält sich Teheran an die wichtigste Abmachung, Teile des vorhandenen Materials wieder auf unter 5 Prozent abzuschwächen. Allerdings verweigert der Iran in anderen Punkten eine Zusammenarbeit: Die Regierung gibt weder Informationen über angebliche Experimente mit Hochexplosivstoffen heraus noch über Modellrechnungen für Atomexplosionen.

Der US-Think-Tank "Center for Strategic and International Studies" warnte jüngst vor der sogenannten "Breakout"-Strategie: Der Iran könnte innerhalb eines Jahres in einem beschleunigten Prozess die Bombe bauen, wenn das Land wolle. Dazu müsste Teheran einen geheimen Reaktor betreiben - Berichte über solche Anlagen gibt es genug. Zuletzt behauptete der Nationale Widerstandsrat, eine Oppositionsgruppe von Exil-Iranern, in der Nähe von Teheran werde heimlich Uran angereichert. Die IAEO sagte, sie könne die Existenz solcher Anlagen nicht explizit ausschliessen.

Wie weit Teheran theoretisch vom Bau der Bombe entfernt liegt, ist schwer zu sagen. Der israelische Geheimdienst Mossad schrieb zumindest noch im Oktober 2012, der Iran scheine nicht bereit, Uran auf ein ausreichendes Niveau anzureichern. Das war übrigens einige Wochen, nachdem Netanjahu vor der UNO-Vollversammlung mit einem Bild einer Bombe herumfuchtelte und behauptete, der Iran sei der Atombombe gefährlich nahe.

2. Was tun die USA?

US-Aussenminister John Kerry ist sich im Klaren darüber, mit wem er gerade verhandelt: Der Iran steuere wahrscheinlich die Terrororganisation Hisbollah und den syrischen Machthaber Baschar al-Assad, sagte er der Nachrichtenagentur AP. Doch bei allem schlechten Einfluss, den Teheran in der Region möglicherweise ausübt – ein Iran mit der Atombombe könnte noch viel mehr Unheil anrichten.

Das ist die Motivation der Amerikaner, sich seit nunmehr über einem Jahrzehnt immer wieder an einen Tisch mit den Iranern zu setzen – und es ist gleichzeitig die Rote Linie. "Unser Standpunkt ist: Der Iran wird keine nuklearen Waffen haben", sagte Kerry.

Die Zugeständnisse, die Teheran bislang gemacht hat, haben sich die Amerikaner und die EU mit einer Lockerung der Sanktionen erkauft. Der Iran wird darauf pochen, dass sie noch weiter aufgeweicht werden, sprich: das Öl soll wieder auf dem freien Markt fliessen. Im Gegenzug verlangen die USA eine Absicherung - nur so ist die Forderung Obamas zu verstehen, der Iran müsse das Atomprogramm für zehn Jahre einfrieren. Das würde die Bedrohung für Israel wohl eher verringern.

3. Wie gross ist die Gefahr für Israel?

"Stellen Sie sich vor, was der Iran mit der Atombombe machen würde." Das Gedankenspiel, das Benjamin Netanjahu dieser Tage immer wieder bemüht, zeichnet tatsächlich ein bedrohliches Szenario: Zwar verfügt auch Israel über Atomwaffen, aber die Logik eines atomaren Konflikts greift nicht. Im Kalten Krieg herrschte zwischen den USA und der Sowjetunion die "Mutual Assured Destruction" – wer einen nuklearen Konflikt beginnt, muss mit mindestens demselben Ausmass an Zerstörung rechnen. Ein Patt war die Folge. Experten sind sich jedoch unsicher, ob Israel einem Angriff mit Atombomben standhalten könnte – das Land ist schlicht zu klein.

Ausserdem fürchtet Israel, dass Teheran Terroristen wie die Hisbollah mit nuklearen Waffen versorgen könnte. Deswegen fordert Netanjahu ein Ende des Atomprogramms, kein Einfrieren. Israel übt laut Medienberichten schon seit Jahren Luftschläge gegen unterirdische Atomanlagen. Der Geheimdienst Mossad steckt wohl hinter dem berühmten "Stuxnet"-Virus, der das iranische Atomkraftwerk Buschehr befallen hat. Und die iranische Regierung behauptet, Israel sei auch für die Ermordung iranischer Atomwissenschaftler verantwortlich.

Allerdings werden in diesen Tagen die gemässigten Stimmen in Israel oft überhört. Das Land steht kurz vor einer Wahl, viele Politiker werfen Netanjahu vor, mit seinem aggressiven Auftreten nur Stimmen fangen zu wollen. Laut Umfragen halten die Wähler andere Probleme ohnehin für wichtiger - die hohen Preise für Wohnungen und Essen zum Beispiel. Dianne Feinstein, eine der bekanntesten pro-israelischen Abgeordneten im Kongress, sagte zur US-Reise des Premiers vielsagend: "Das jüdische Volk hat mehr als eine Stimme."

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