In Köln hat sich ein 16-jähriger Syrer in nur drei Monaten von einem unscheinbaren Jugendlichen zu einem potenziell gefährlichen Islamisten entwickelt - offenbar nur übers Internet. Der Trend zur virtuellen Radikalisierung bereitet Experten Sorgen. Oliver Malchow von der Gewerkschaft der Polizei spricht von einer "ganz neuen Dimension".
Herr Malchow, der in Köln verhaftete Syrer soll sich innerhalb von nur drei Monaten zu einem gewaltbereiten Islamisten entwickelt haben. Hat Sie diese enorm kurze Zeitspanne überrascht?
Oliver Malchow: Ja, darüber war ich schon etwas erschrocken. Das erschwert die Prävention enorm und macht die Arbeit der Polizei nicht gerade leichter.
Wie lange gibt es schon das Phänomen der "virtuellen Radikalisierung" über das Internet?
Erst seit ein paar Jahren. Das ist eine neue Entwicklung, was das Bekanntwerden durch die Ermittlungsbehörden angeht. Durch den zunehmendem Konsum radikalisierender und gewaltsteigernder Propaganda in Deutschland hat es in den letzten beiden Jahren noch mal eine ganz neue Dimension bekommen.
Läuft die Kommunikation zwischen Anwerbern und auserkorenen Tätern über Facebook, WhatsApp oder das Darknet?
Es wird alles genutzt, was möglich ist, ohne Einschränkung. Jeder hat heute ein Smartphone oder einen Laptop und kann praktisch überall auf soziale Netzwerke zugreifen. Der Islamische Staat nutzt alle diese Kanäle sehr offen, ohne grosse Geheimhaltung.
Wie läuft die Kontaktaufnahme zwischen Anwerber und Terror-Kandidat konkret ab?
Auf entsprechenden Seiten im Netz geht das relativ einfach. Auch im Umfeld von bestimmten Moscheen werden Kontakte vermittelt. In Chatgruppen oder über 1:1-Chats in sozialen Netzwerken findet dann der Austausch statt.
Wo liegt die besondere Gefahr der virtuellen Radikalisierung?
Sie findet im Verborgenen, im stillen Kämmerlein statt, völlig ungestört. Der Zugang zu den entsprechenden Seiten erfolgt zunächst ohne Beobachtung. Das ist ein enormes Problem für die Polizei und birgt eine grosse Gefahr. Daher rufen wir die Bevölkerung dazu auf, Änderungen im Verhalten oder im Kleidungsstil sowie andere Auffälligkeiten, die auf eine Radikalisierung hindeuten, unverzüglich zu melden. Das hat nichts mit Denunziantentum zu tun, das kann Leben retten.
Im aktuellen Fall in Köln gab es mehrfach Hinweise aus dem Umfeld des 16-Jährigen.
Die Hinweisgeber haben absolut vorbildlich gehandelt. Die Polizei ist auf solche Tipps angewiesen, gerade wenn die Radikalisierung so schnell erfolgt.
Der Selbstmordattentäter in Ansbach war 27, der Axtattentäter von Würzburg 17, der Jugendliche aus Köln erst 16 Jahre alt. Sind junge Leute besonders anfällig, sich kurzfristig zu radikalisieren?
Sie sind erstmal sehr affin zu neuen Medien. Zudem haben sie oft noch nicht die Werteorientierung wie ein gestandener Mensch. Sie wollen gern stark sein, Teil einer Gruppe sein, die stark macht. Und wenn ihnen dann ein Anwerber des Islamischen Staats eine Bedeutung gibt, indem er ihnen einen vermeintlich wichtigen Auftrag zuweist, dann kann das aus Sicht einiger Personen sehr verlockend sein. Man muss konstatieren: Es ist auch Teil einer jugendlichen Popkultur.
Was ist über die Hintermänner solcher Operationen bekannt?
Über die Netzwerke wissen wir wenig. Es gibt Kontaktpersonen in Syrien, vermutlich aus dem Umfeld der Propagandaabteilung des IS, aber auch in Deutschland. Wer sind die Leute? Wie viele sind es? Wie arbeiten sie? Das sind Fragen, zu deren Details sich die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen natürlich bedeckt hält.
Wenn die Anwerber in Syrien sind, kann die Polizei doch gar nichts tun, oder?
Straftaten in Syrien entziehen sich unserem Zugriff. Die Ermittlungsstellen bei den Landeskriminalämtern und dem Bundeskriminalamt müssen die Hintermänner in Deutschland ausfindig machen. Das Personal für solche Tätigkeiten wurde in den vergangenen Jahren aufgestockt, allerdings auf Kosten anderer Bereiche.
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