Der Islamische Staat scheint grosse Teile der syrischen Stadt Kobane zu verlieren. Die Terrormiliz gerät immer mehr in Bedrängnis. Doch nicht zuletzt die Vorfälle in Paris zeigen: Der Kampf gegen die Dschihadisten dürfte lange dauern.
Nach dem ungebremsten Vormarsch des Islamischen Staates (IS) im vergangenen Jahr waren es gute Nachrichten, welche die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte vergangene Woche verkündete: Die Dschihadisten verlieren in der umkämpften Kurdenstadt Kobane weiter an Boden. Demnach seien nur noch rund 20 Prozent der syrischen Stadt an der Grenze zur Türkei in IS-Hand. Zudem würden die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) alle Verwaltungsbezirke der Stadt kontrollieren, so die Beobachtungsstelle.
Treffen die Meldungen zu, dann wäre es ein grosser Erfolg im Kampf gegen die Terrormiliz. Noch im Oktober vergangenen Jahres hatte der IS etwa die Hälfte der Grenzstadt unter seiner Kontrolle. Auch das US-Verteidigungsministerium zog am Dienstag eine positive Bilanz. Der IS sei nicht mehr länger auf dem Vormarsch, sondern habe in den vergangenen drei bis vier Wochen auf Verteidigung umschalten müssen, sagte Pentagonsprecher John Kirby. Konkrete Zahlen zu Verletzten oder Toten nannte er nicht, nur dass "mehrere Hundert IS-Kämpfer getötet" worden seien.
Luftangriffe machen IS unattraktiver für Dschihadisten
Die Nachricht kommt in einer Zeit, in der die Attentate von Paris den Terror für viele Menschen näher an den Westen gerückt haben. Von Amedy Coulibaly, dem Attentäter im koscheren Supermarkt, tauchte ein Video auf, in dem er sich zum IS bekennt – seine Freundin soll nach Syrien ausgereist sein. Sicherheitsbehörden fürchten, dass die Gefahr von Nachahmern steigen könnte. Doch sie alle stehen vor den gleichen schwierigen Fragen: Wie können wir mögliche Gefahren früh genug erkennen und welche Rückkehrer sind besonders gefährlich?
Nicht einfacher ist es, in Syrien und Irak an Informationen zu kommen. Denn die ungenauen Angaben von Pentagonsprecher Kirby stehen stellvertretend für die verworrene Situation dort. Allein die Statistiken zu der Anzahl an IS-Kämpfern unterscheiden sich teilweise um ein vielfaches. Beobachter und verlässliche Informationen aus den umkämpften Gebieten sind rar – von IS-Territorium ganz zu schweigen. Auch die Syrische Beobachtungsstelle arbeitet von Grossbritannien aus und stützt sich auf Informanten im Nahen Osten.
Dennoch sind immer mehr Forscher wie Stephan Rosiny vom GIGA Institut für Nahost-Studien überzeugt: "Der IS zerfällt, er hat mit massiven Legitimitätsproblemen zu kämpfen." Denn der Erfolg der Miliz gründet sich nicht zuletzt auf seinem rasenden Vormarsch. Kommt die Expansion ins Stocken – etwa aufgrund der Luftangriffe –, schwindet auch die Attraktivität der Dschihadisten für ihre Kämpfer. Den Propagandisten bleiben dann vor allem Durchhalteparolen.
Wie angespannt die Lage in den Reihen des Islamischen Staates zu sein scheint, zeigte zuletzt das Beispiel Sindschar. Als Mitte Dezember die kurdischen Peschmerga Teile der Stadt im nördlichen Irak eroberten, ging der IS brutal gegen die eigenen Krieger vor: Weil sie Sindschar nicht halten konnten, sollen Duzende von ihnen hingerichtet worden sein.
Auch in Syrien sollen die Extremisten laut der britischen Zeitung "Financial Times" im Dezember rund hundert eigene Kämpfer ermordet haben, als diese das IS-Hauptquartier in Rakka verlassen wollten. Eine eigene Militärpolizei kümmere sich inzwischen um alle Ausländer, die zu desertieren versuchten.
Kampf gegen IS ist in Syrien schwieriger
Sindschar, Kobane, Luftangriffe – sie sind Zeichen des erfolgreichen Kampfes gegen den Islamischen Staat. Aber sie sollten nicht den Eindruck erwecken, dass der IS in kurzer Zeit zu besiegen wäre. Es hat Monate gedauert, um den IS in die Defensive zu drängen, wie von Pentagonsprecher Kirby berichtet. Und es dürfte noch länger dauern, um das IS-Gebiet deutlich zu verkleinern. Nach wie vor kontrolliert die Miliz wichtige Punkte wie zum Beispiel Mossul, die zweitgrösste Stadt des Irak mit fast drei Millionen Einwohnern.
Ungleich schwieriger als im Irak ist überdies die Situation in Syrien, wo der IS im Nordosten rund ein Drittel des Landes beherrscht. Zwar hat die von den USA geführte Allianz auch dort zahlreiche Luftangriffe geflogen. Anders als im Fall der irakischen Regierung kooperiert Washington jedoch nicht mit dem autokratischen Regime von Baschar al-Assad. Somit bleiben Angriffe aus der Luft oft Einzelschläge ohne eine gleichzeitige Offensive am Boden, die den Effekt verstärken könnte.
Anfang des Jahres legten drei Wissenschaftler im Fachblatt "Foreign Affairs" eine mögliche Strategie für das weitere Vorgehen gegen den IS dar. Für Syrien aber fiel viel ihre Prognose düster aus: "Für die nächsten zwei Jahre dürfte Syrien unlösbar bleiben."
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