Traumziel für Touristen, Hort von Terroristen. Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung schliessen sich auf den Malediven weltweit die meisten Menschen der Terrormiliz des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) an. Wie kommt es zu diesem extrem Kontrast? Einblicke in ein widersprüchliches Urlauberparadies.
Sie sind für viele Deutsche der Inbegriff von Urlaubsidylle: Traumhafte Sandstrände, Palmen so weit das Auge reicht und türkisblaues Wasser locken jährlich mehr als eine Million Touristen auf die Malediven, darunter rund 100.000 Deutsche (Stand: 2014). Doch die aus mehr als 1.000 Inseln bestehende Republik im Südwesten des indischen Subkontinents hat auch eine dunkle Seite.
Aus keinem Land der Erde reisen relativ gesehen so viele Menschen nach Syrien, um sich dem sogenannten "Islamischen Staat" anzuschliessen. Mehr als 200 sollen es bei einer Gesamtbevölkerung von 345.000 bisher gewesen sein, aus Deutschland (80 Mio. Einwohner) kamen im Vergleich rund 800 IS-Anhänger.
Auf den Malediven gilt die Scharia
Schon die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes verdeutlichen, dass das paradiesische Image der Realität auf den Malediven nicht stand hält. So wird angesichts der "anhaltenden politischen Instabilität" vor Menschenansammlungen gewarnt.
Insbesondere in der Hauptstadt Malé, wo rivalisierende Banden ihr Unwesen treiben, sei Vorsicht geboten. Mit Verweis auf die Staatsreligion des sunnitischen Islam wird darüber hinaus vor jeglicher christlicher Missionstätigkeit, der Einfuhr von Alkohol und Götterabbildungen und dem Tragen "unangemessener Badebekleidung" wie Bikinis ausserhalb der touristisch erschlossenen Ressorts abgeraten.
Grundsätzlich verboten sind auch homosexuelle Aktivitäten, andernfalls drohen harte Strafen. Im diesjährigen offiziellen Partnerland der deutschen Touristikmesse ITB gelten die Gesetze der Scharia.
Präsident Abdulla Yameen regiert das Land seit 2013 mit eiserner Hand. Kritiker werden mundtot gemacht, die Opposition unterdrückt.
"Manche sympathisieren mit dem Islamischen Staat, weil sie frustriert sind über die Unterdrückung im eigenen Land", erklärte eine Regierungskritikerin kürzlich einem ARD-Kamerateam. Auch einige islamische Prediger würden den IS mit ihren Reden fördern, behauptete die Frau weiter.
Grosse Einkommensunterschiede, hohe Jugendarbeitslosigkeit
Ende 2014 demonstrierten erstmals IS-Sympathisanten in Malé, zwei Jahre später haben sich schon mehr als 200 Einheimische dem bewaffneten Kampf angeschlossen.
Auch wenn es bisher nicht zu terroristischen Übergriffen im Land selbst kam, sind Recherchen nicht erwünscht: Die ARD-Journalisten wurde des Landes verwiesen. Begründung: Sie hätten die Regierung verärgert. Aber warum?
Die Wirtschaft der Malediven ist vom Tourismus abhängig und will ihn weiter ausbauen. Mehr als 60 Prozent der Deviseneinnahmen sowie über 38 Prozent der Einnahmen aus Steuern und Abgaben erbringen ausländische Besucher.
Die Gäste entspannen sich abgeschottet auf den luxuriösen Atollen, die dortige Belegschaft stammt überwiegend aus Südostasien.
"Allerdings könnte es einigen Touristen durchaus die Urlaubslaune verderben, wenn sie wissen, welche Zustände im Rest des Landes – Unterdrückung von Meinungsfreiheit, Einschüchterung der Opposition, Verbot jeder anderen Religion – herrschen", berichtet der ARD-Korrespondent Markus Spieker. Negativschlagzeilen sind schlecht fürs Geschäft.
Auffällig: Trotz der enormen Bedeutung des Tourismussektors arbeiten kaum Einheimische in diesem Wirtschaftszweig. Obwohl das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung in den letzten Jahren stets gestiegen ist, herrschen beträchtliche Verdienstunterschiede vor.
Laut Auswärtigem Amt ist die Arbeitslosenquote, besonders unter Jugendlichen, "vergleichsweise hoch". Bei den Frustrierten, bei den Abgehängten haben radikale Prediger mit ihren einfachen Botschaften leichteres Spiel – das zeigt die Erfahrung aus anderen Staaten.
Die Sorgen des Ex-Präsidenten
Mohamed Nasheed kennt die Sorgen seiner Landsleute nur zu gut. Er war von 2008 bis 2012 der erste demokratisch gewählte Regierungschef der Malediven.
In seiner Amtszeit kam es zu Protesten gegen "anti-islamische Aktivitäten", woraufhin Wellness-Center in hunderten Luxushotels geschlossen wurden. Nach Protesten und einem Putsch trat er 2012 zurück. Man warf Nasheed vor, "unislamisch" zu sein.
Später wurde er zeitweise inhaftiert. 2015 erklärte der Politiker dem Deutschlandfunk: "Schon kurz nach meinem Sturz war uns klar, dass es sich um Extremisten handelt. Innerhalb kürzester Zeit ist es ihnen gelungen, strategisch wichtige Positionen innerhalb der Polizei und des Militärs zu besetzen."
Konservative, islamistische Gruppierungen haben auf den Malediven einen beträchtlichen Einfluss. Präsident Yameen, ein Halbbruder des langjährigen Diktators Maumoon Abdul Gayoom, regiert das Land autoritär. Unterdrückung, Ungleichheit, radikale Prediger: eine Mischung, von der die Dschihadisten profitieren.
Dabei gibt es auf den Malediven viel dringendere Probleme als die Religion: Die möglichen Auswirkungen des Klimawandels stellen bei weitem die grösste Herausforderung für die Zukunft des Inselstaats dar.
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