2004 hat sich die Europäische Union erstmals nach Ost- und Ostmitteleuropa ausgedehnt. Mit der Aufnahme von zehn Ländern, darunter Polen, Tschechien und Ungarn, wuchs der Staatenbund auf 25 Mitglieder an – mit positiven wie negativen Auswirkungen.
Die Menschen feierten mit Festakten, Volksfesten und Feuerwerken: Bei der fünften und bisher grössten Erweiterung in der Geschichte der Europäischen Union traten am 1. Mai 2004 Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern dem Staatenbund bei.
Erstmals dehnte die EU damit ihr Gebiet in den Einflussbereich der ehemaligen Sowjetunion aus, nachdem eine deutliche Mehrheit bei Volksabstimmungen in den zehn Ländern mit Ja stimmte. Aber was ist zehn Jahre später von der Euphorie geblieben? Wurden bei der Erweiterung auch Fehler gemacht oder geht sie als Erfolgsstory in die Geschichte ein?
"Den zehn Staaten geht es heute besser als vor zehn Jahren, ihr Wirtschaftswachstum ist grösser als im EU-Durchschnitt und auch die deutsche Wirtschaft hat von der Erweiterung profitiert", sagt Katrin Böttger vom Institut für Europäische Politik (IEP) in Berlin. Die Erweiterung sei das "erfolgreichste aussenpolitische Instrument der EU", so die Politikwissenschaftlerin. Die These, Brüssel habe sich organisatorisch oder wirtschaftlich übernommen, teilt sie nicht. "Entscheidungen werden heute effektiver als vor zehn Jahren getroffen, auch weil es bei den mittlerweile 28 Mitgliedsstaaten viel mehr Vorabstimmungen gibt", sagt die 37-Jährige. "Und es herrscht eine Tendenz zur Bildung von Meinungsgruppen vor, während früher auch mal 15 Einzelmeinungen aufeinander geprallt sind." Das relative zügige Krisenmanagement in der Euro-Krise habe die wachsende Effizienz gezeigt, ist die Expertin überzeugt. Und auch für den einzelnen EU-Bürger seien die Vorteile der Osterweiterung greifbar: mehr kultureller Austausch, Reisefreiheit, eine gemeinsame Währung.
Kritik am Europrojekt
Der Wirtschaftswissenschaftler Georg Stadtmann von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder bestreitet diese Vorzüge nicht. Dennoch sagt er auch: "Europa ist kein optimaler Währungsraum. Die Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften sind zu gross, um für jedes Land mit einer zentral gesteuerten Politik optimale Lösungen zu finden." Ohne Euro gäbe es keine Eurokrise, lautet sein Fazit. Und für die hafteten letztlich auch die deutschen Steuerzahler.
Stadtmann befürchtet neue Probleme für die Währungsstabilität, sollten die Euro-Zone von derzeit 18 auf möglicherweise 26 Mitglieder anwachsen. Litauen, Polen, Tschechien und Ungarn sind die letzten vier Staaten der Erweiterungsrunde vom 2004, in denen die Währung noch nicht eingeführt wurde. "Der Euro hat angesichts der derzeitigen Probleme enorm an Attraktivität eingebüsst, die Einführung ist keineswegs sicher", sagt Stadtmann. In Deutschland wünschen sich manche gar eine Rückkehr zur D-Mark, etwa die Partei Alternative für Deutschland (AfD). "Ich bin von der AfD etwas enttäuscht, dass sie den öffentlichen Forderungen nach dem Austritt aus der Euro-Zone keine klaren Aussagen folgen liess, wie ein Austritt konkret umgesetzt werden kann", sagt der 44-Jährige.
Keine grossen Erweiterungsrunden geplant
Der Zulauf für eurokritische, rechtspopulistische oder offen fremdenfeindliche Parteien in vielen europäischen Staaten wächst. Bei den Wahlen zum EU-Parlament im Mai werden sie laut Prognosen so viele Sitze gewinnen wie nie zuvor. In Litauen, Polen und Ungarn sind solche Kräfte bereits in den Landesparlamenten vertreten. "Die Zustimmung zu Europa ist in den Beitrittsländern von 2004 nach wie vor sehr gross", sagt Katrin Böttger. Dort gelten Demokratie und Rechtsstaat, hätten sich Lebensstandard, die Sozialsysteme und die Minderheitenrechte in der Regel verbessert. Weitere Erweiterungsrunden – derzeit gibt es Verhandlungen mit Montenegro und Serbien – sieht Böttger daher gelassen, sofern die Rahmenbedingungen stimmen. Der Beitritt der Türkei sei wegen der derzeitigen Beschneidung der Presse- und Meinungsfreiheit der Regierung Erdogan jedoch in weite Ferne gerückt. Eine solch grosse Expansion wie vor zehn Jahren wird es ohnehin nicht mehr geben, sagt sie. "Der Prozess hat sich verlangsamt."
Aber würden wegen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zukünftig nicht noch mehr ausländische Arbeitskräfte auf den deutschen Arbeitsmarkt strömen? Böttger hält solche Befürchtungen für überzogen, da die deutsche Wirtschaft durch Investitionen im und Exporte ins osteuropäische Ausland profitiert habe und Deutschland Fachkräfte dringend benötige.
Auch Georg Stadtmann befürwortet die Zuwanderung von gut ausgebildeten Osteuropäern. Der Wirtschaftswissenschaftler gibt indes zu bedenken, dass "auch schlecht ausgebildete Menschen nach Deutschland kamen, die in zweiter oder dritter Generation für den hiesigen Arbeitsmarkt verloren sind."
Stadtmann hält die Osterweiterung nicht für grundlegend misslungen, seine Kritik zielt vor allem auf das Euro-Projekt. Und er wünscht sich eine transparentere EU, die ihre Bürger "besser mitnimmt". Katrin Böttger sagt: "Die Europäische Union ist kein Schlaraffenland, sie trifft manchmal auch schmerzhafte Entscheidungen, aber sie ist trotz allem ein grosser Erfolg – so wie die Osterweiterung 2004."
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