- In Syrien tobt seit zehn Jahren der Krieg.
- Das Assad-Regime sitzt stärker im Sattel als zuvor.
- Das ist auch deshalb der Fall, weil die internationale Staatengemeinschaft das Land anscheinend aufgegeben hat.
Der Krieg in Syrien spielt auf den Prioritätenlisten der internationalen Politik derzeit kaum eine Rolle. Dennoch drangen am vergangenen Montag mal wieder Nachrichten aus dem Land durch:
In der Vergangenheit betraf das zum Beispiel Gerüchte über eine angebliche Herzkrankheit Assads oder ein Burn-out. Dass die staatlichen Medien nun ausführlich über die Selbstisolation der Diktatorenfamilie berichteten, war deshalb durchaus verwunderlich.
Jene syrischen Exilanten, die Assads Erkrankung daraufhin in den sozialen Netzwerken feierten, hatten sich nach Ansicht der Opposition aber zu früh gefreut. Es handele sich um billige Propaganda, die darauf abziele, Sympathien der Bevölkerung zu gewinnen und von der katastrophalen Lage im Land abzulenken, hiess es von der syrischen Opposition. "Beide wurden vor Tagen noch negativ getestet und sind dann geimpft worden", so Firas Tlass, der für gewöhnlich gut informierte Sohn des ehemaligen syrischen Verteidigungsministers, zum "Spiegel".
Ob Assad nun Corona hat oder nicht, ist zwar unklar. Doch sollte er seine medizinisch bedingte Isolation tatsächlich nur inszeniert haben, wäre auch das keine gute Nachricht. Wie gross muss die Not schliesslich sein, wenn ein Diktator, der sonst seine Stärke öffentlich zelebriert, eine Erkrankung vorschiebt, um von der prekären Lage im eigenen Land abzulenken?
Syrien ist ökonomisch wie humanitär zerstört
Klar ist, dass Syrien zehn Jahre nach Ausbruch des verheerenden Bürgerkrieges wirtschaftlich wie humanitär am Boden liegt. Über eine halbe Million Menschen haben in dem Konflikt ihr Leben verloren, rund 6,6 Millionen sind auf der Flucht, fast jeder Zweite der 22 Millionen Syrer heimatlos. Für die Jahre 2010 bis 2020 weisen die Statistiken der Weltbank einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 60 Prozent aus, dazu kommt eine beispiellose Hyperinflation. Ein US-Dollar, der vor dem Krieg für 50 syrische Pfund gehandelt wurde, kostete im Januar offiziell 1.250 syrische Pfund und auf dem Schwarzmarkt das Dreifache. Etwa 12,4 Millionen Menschen zwischen Rakka und Damaskus wissen abends nicht, welche Nahrung sie am nächsten Morgen auf den Tisch stellen sollen.
Paradoxerweise sitzt das Assad-Regime dennoch so fest im Sattel wie zu kaum einer Zeit seit Kriegsbeginn. Dank der Interventionen seiner russischen und iranischen Verbündeten, die eher am Status quo festhalten als die Unsicherheit eines Regimewechsels in Kauf zu nehmen, halten Assad und seine Gefolgsleute rund zwei Drittel des Landes unter ihrer Kontrolle. Das andere Drittel teilt sich auf die Rebellengebiete im Norden des Landes auf, sowie auf Rojava, die kurdischen Autonomiegebiete östlich des Euphrat.
Seinem erklärten Ziel, Syrien "bis zum letzten Fleck zu befreien", ist Assad dabei in den vergangenen Monaten Stadt um Stadt näher gerückt. Erst im Januar sondierte er, ob sich mit einem Militärschlag auch die Provinz Idlib zurückerobern liesse, einen Plan, den die Corona-Pandemie letztlich durchkreuzt hat. Unter dem Druck der Schutzmächte wurde stattdessen eine Waffenruhe zwischen den Kriegsparteien vereinbart, die bis heute hält.
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Die Instabilität der Region verschärft die prekäre Lage
Doch die Abwesenheit von Krieg bedeutet für Syrien noch lange keinen Frieden. Der militärische Erfolg über die Rebellen kam um den Preis des ökonomischen Niedergangs in fast allen Teilen des Landes. Russland scheint wirtschaftlich augenblicklich nicht in der Lage zu sein, Damaskus finanziell unter die Arme zu greifen, selbiges gilt auch für den Iran. Zudem trifft der jüngste Zusammenbruch der Wirtschaft beim Nachbarn Libanon, der Syrien als bedeutender Bank- und Handelsstandort gilt, hart. In Idlib, dem letzten Rückzugsgebiet diverser islamistischer Rebellen, funktionieren unter den misstrauischen Augen der Türkei zwar noch einige grundlegende Institutionen. Doch auch in der einst wohlhabenden Provinz an der Grenze zur Türkei leben rund drei Millionen Menschen unter widrigsten Bedingungen.
Dass sich an diesen Umständen etwas ändert, ist auch deshalb unwahrscheinlich, weil Corona die "ToDo"-Listen der globalen Player durcheinandergewürfelt hat. Wo bis vor einigen Monaten mittels Pendeldiplomatie und Krisengesprächen wenigstens versucht wurde, in Syrien einen politischen Prozess in Gang zu setzen, drehen sich die Task Forces in Washington und Berlin heute um die Beschaffung von Impfstoffen und nicht um die Lösung des Syrien-Krieges. Das Ergebnis: Russland und die Türkei haben das Land unter sich aufgeteilt, während die meisten EU-Staaten nicht einmal bereit sind, Binnenflüchtlinge aufzunehmen. Assad scheint nach zehn Jahren Vernichtungsfeldzug gegen das eigene Volk einfach davonzukommen.
Unter Biden ist neuer Druck vorstellbar
Aktuell klammern sich viele Syrer an die Hoffnung, dass die Wahl von US-Präsident Joe Biden neuen Druck auf das syrische Regime sowie dessen Stellvertreter in Moskau und Teheran ausüben könnte. Vier Jahre Donald Trump, in denen jede Menge markige Worte und einige Marschflugkörper in Richtung Damaskus flogen, haben das Assad-Regime nicht einmal erschüttert. Nun hoffen die Menschen, dass sich mit einer weniger erratischen, dafür konsistenteren Politik etwas ändert, wenn die Weltgemeinschaft nach Corona ihren Fokus wieder auf die anderen Krisenherde der Welt lenkt.
Nicht schwer vorstellbar ist hingegen, dass sich Assad im kommenden Mai wieder zum Präsidenten aller Syrer wählen lassen will. Eine Hoffnung auf eine friedliche Zukunft ist unter diesen Umständen nahezu ausgeschlossen.
Verwendete Quellen:
- Atlantic Council - Syria: "Which way forward under Biden?"
- Welthungerhilfe - Menschen ohne Perspektive: "Zehn Jahre Krieg in Syrien"
- Heise: "Al-Assads Wahnsinn und Bidens Abwarten"
- Spiegel: "Die Assads haben Corona. Oder doch nicht?"
- NYTimes : "Syria’s leader, Bashar al-Assad, and his wife have tested positive for the virus."
- The Conversation: "Biden is already carving out a different Middle East policy from Trump — and even Obama"
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