Die "Staatsaffäre" Jan Böhmermann polarisiert die Bundesrepublik. Nicht zum ersten Mal klagen Prominente vor einem deutschen Gericht gegen Satire. Unsere Redaktion nennt Beispiele und fragt beim Experten für Medienrecht Prof. Dr. Ernst Fricke nach, welche Rückschlüsse sich auf den Fall Böhmermann ziehen lassen.

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Beispiele prominenter Fälle von Satire, die vor deutschen Gerichten landeten:

Fall 1: Im Dezember 1964 veröffentlichte der "Kölner Stadt-Anzeiger" eine satirische Fotomontage von Reza Pahlavi, damals Schah von Persien.

Darum ging es: Sie zeigte den Schah mit dem saudischen Ex-König Saud und einem Bündel Geldscheine. Bildunterschrift: "Also gut, gib mir die 30.000, und du kannst Farah Diba haben!" Der persische Hof liess sich die Satire über den Schah und seine Frau Farah Diba nicht gefallen - und bat um Strafverfolgung nach Paragraph 103 Strafgesetzbuch (StGB).

So ging der Fall aus: Bundespräsident Heinrich Lübke liess ermitteln. Das Amtsgericht Köln verurteilte den Ressortleiter der Zeitung und den Grafiker zu mehreren Tausend Mark Geldstrafe.

Fall 2: Das Satiremagazin "Titanic" nannte im März 1988 unter seiner Rubrik "Die sieben peinlichsten Persönlichkeiten" einen durch einen Verkehrsunfall querschnittsgelähmten Reserveoffizier und schrieb mit einem Klammerzusatz "geb. Mörder".

Darum ging es: Im Begleittext hiess es unter anderem: "Noch obszöner ist freilich die Vorstellung, dass ein Querschnittsgelähmter im Rollstuhl zu einer Wehrübung einrückt. Nicht, weil er müsste – nein, er wollte unbedingt." Der Betroffene hatte durchgesetzt, trotz seiner Behinderung an einer eben solchen Wehrübung teilnehmen zu dürfen.

So ging der Fall aus: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) war der Ansicht, dass der Beitrag, in dem unter anderem der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker mit dem Zusatz "geb. Bürger" genannt wurde, durch satirische Verfremdungen geprägt sei. Weiter hiess es im Urteil des BVerfG von 1992: "Ziel war es ersichtlich auch, zum Lachen zu reizen, was ein typisches Ziel der Satire ist." Eine Schmähkritik sei damit nicht verbunden.

Fall 3: Das Satiremagazin "Titanic" zeigte den ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Björn Engholm in einer Fotomontage auf der Titelseite in der Pose des tot in einer Badewanne aufgefundenen Uwe Barschel.

Darum ging es: Der frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsident Barschel verstarb in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 1987 unmittelbar nach der sogenannten Barschel-Affäre in einem Genfer Hotel. Die Todesumstände sind bis heute ungeklärt. Die Behörden gehen von einem Suizid aus, es gibt jedoch auch Spekulationen um ein Fremdverschulden. Die "Titanic" zeigte in der Fotomontage statt des Kopfes von Barschel ein Portraitfoto von Engholm, das ihn mit offenen Augen und lächelnd zeigte. Darunter stand: "Sehr komisch, Herr Engholm."

So ging der Fall aus: Das Landgericht Hamburg attestierte der Fotomontage Kunstcharakter, bewertete diese aber ebenso als schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers. Die Kunstfreiheit musste hinter das Recht der Menschenwürde rücken. Der Klage Engholms wurde stattgegeben.

Fall 4: Kurz vor Ostern 2009 zeigte die "taz" den damaligen Trainer des FC Bayern, Jürgen Klinsmann, "am Kreuz".

Darum ging es: Der Weltmeister wurde nach dem Scheitern im DFB-Pokal (Viertelfinale), in der Champions League (Viertelfinale) und einer 1:5-Pleite gegen den späteren Meister VfL Wolfsburg in der Bundesliga am 27. April 2009 entlassen. Schon um Ostern deutete sich seine Suspendierung an, der damalige Manager Uli Hoeness hatte den einstigen Bundestrainer bereits öffentlich angezählt.

So ging der Fall aus: Das Landgericht München stufte die Fotomontage als Satire ein und wertete sie als rechtlich zulässig.

Fall 5: Kaum eine Ausgabe des Satiremagazins "Titanic" verkaufte sich so gut wie die mit dem Papst-Cover im Juli 2012. "Die undichte Stelle ist gefunden", titelte die Zeitschrift und zeigte Papst Benedikt XVI. mit befleckter Soutane, vorne gelb und hinten braun.

Darum ging es: Hintergrund war eine Affäre um ein Informationsleck im Vatikan, später Vatileaks genannt, wonach pikante Informationen aus dem Heiligen Stuhl in Rom an die Öffentlichkeit gelangten. Es ging um Vorwürfe der Korruption, Misswirtschaft und der angeblichen Günstlingswirtschaft.

So ging der Fall aus: Der Heilige Stuhl erwirkte eine einstweilige Verfügung, der Verkauf wurde gestoppt. "Titanic" legte Widerspruch ein. Einen Tag vor dem Prozess vor dem Landgericht Hamburg zog der Vatikan den Antrag zurück.

Erlauben die Urteile Rückschlüsse auf den Fall Böhmermann?
Rückschlüsse zu ziehen ist ungemein schwierig. Wie die Beispiele zeigen, wird Satire teils sehr unterschiedlich bewertet. Der Medienrechtsexperte Prof. Dr. Ernst Fricke erwartet keine Verurteilung Böhmermanns.

Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Fricke, es gebe verfassungsrechtliche Schutzschranken für Satire. Und im Fall Böhmermann sei eine "verfassungsrechtliche Gesamtbetrachtung" geboten. "Aus meiner Sicht ist eine Verurteilung nach Paragraph 103 Strafgesetzbuch (StGB) zur sogenannten Majestätsbeleidigung wegen Verfassungswidrigkeit der Strafvorschrift nicht zu erwarten", meint der Landshuter Jurist. "Bei einem Ermittlungsverfahren nach § 185 StGB (Beleidigung, d. Red.) ist die Gesamtdarstellung wesentlich. In einer 'Satiresendung' kann auch derbe Satire dargeboten werden."

Prof. Dr. Ernst Fricke ist seit 1989 Lehrbeauftragter für Medienrecht und Gerichtsberichterstattung an der Katholischen Universität Eichstätt und Autor des Standardwerks „Recht für Journalisten“, Konstanzer Universitätsverlag, 2. Auflage. Rechtsanwalt Fricke hat eine Kanzlei mit Stammsitz in Landshut und befasst sich unter anderem als Experte verschiedener Online-Medien ausführlich mit dem Prozess gegen die mutmasslich rechtsterroristische Vereinigung NSU.
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