Mehr als 30 Jahre lang hatte Ali Abdullah Saleh den Jemen regiert, bis er 2012 zum Rücktritt gezwungen wurde. Als er nun überraschend die Seiten wechselte, wurden Verbündete zu Feinden: Huthi-Rebellen ermordeten Saleh. Eine fatale Kettenreaktion ist nun denkbar: ein heisser Krieg zwischen Iran und Saudi-Arabien.

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1962 wurde im Jemen die Monarchie gestürzt, lange war das Land geteilt. 1978 übernahm Ali Abdullah Saleh die Regierung und erreichte 1990 die Wiedervereinigung.

Erst im Rahmen des "Arabischen Frühlings" wurde er 2012 zum Rücktritt gezwungen. Aber Saleh gab die Macht nie ganz aus der Hand: "Er hat im Hintergrund immer noch die Fäden gezogen", sagt Sebastian Sons, Nah-Ost-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin.

"Saleh", so drückt es Sons aus, "hat in erster Linie seine eigenen Interessen vertreten. Er war immer schon ein Wendehals."

Der Opportunismus fiel dem Ex-Präsidenten nicht schwer, da er sich in seiner Regierungszeit viel Loyalität innerhalb des jemenitischen Machtzirkels gesichert hatte.

Eine "bunte Mischung aus unterschiedlichen Akteuren" sei das gewesen, bestehend aus Teilen des Militärs, der jemenitischen Wirtschaft und Stämmen, die er in seiner langen Regierungszeit an sich gebunden hatte.

Fehleinschätzungen auf allen Seiten

Die Allianz mit den vom Iran unterstützten Huthis, sagt Sons, sei allein das Ergebnis von Salehs machtpolitischer Taktik gewesen, "eine ideologische Bewegung steckte nie dahinter".

Auch die religiöse Bindung der Huthis an Iran sei nur oberflächlich. Zwar bezeichnen sich die Rebellen ebenfalls als Schiiten.

Doch die Huthis, ursprünglich im Norden des Jemen beheimatet, hatten "nie besondere Probleme, sich mit anderen Richtungen des Islam zusammenzutun", so Sons. "In dieser Hinsicht haben sie mit den iranischen Schiiten nicht viel gemeinsam."

Als es Saleh nun also opportun erschien, die Seiten zu wechseln, scheint er die Stärke der Huthis unterschätzt zu haben. Und mit dieser Fehleinschätzung war er nicht allein: "Auch die Saudis haben die Schlagkraft der Huthis falsch beurteilt", sagt Sons.

Sie hätten wohl nicht damit gerechnet, dass es den Huthis gelingen würde, Saleh kurz nach seinem Seitenwechsel zu ermorden. "Ebenso war es wohl für alle Beteiligten überraschend, wie schnell die Huthis den Vormarsch der verbliebenen Saleh-Anhänger stoppen konnten."

Vor allem für Saudi-Arabien sind die Geschehnisse ein herber Rückschlag.

Vermutungen, die Saudis selbst hätten Saleh zum Seitenwechsel gedrängt, hält Sebastian Sons für nicht zu beweisen, aber auch nicht für unwahrscheinlich.

"Natürlich war es im Interesse der Saudis, die Allianz zwischen Huthis und Saleh zu zerstören und damit den Einfluss des Iran zurückzudrängen." Doch mit dem Tod Salehs sei diese Option dramatisch fehlgeschlagen.

Die Huthis werden sich mehr an den Iran binden

Es sei völlig unklar, wie sich nun jene Gruppen positionieren, die bisher mit den Saudis loyal waren. "Werden sie für die Saudis kämpfen? Oder werden sie erst einmal versuchen, sich herauszuhalten?"

Die Entwicklung sei schwer vorauszusehen, für Saudi-Arabien sei die Situation deutlich komplizierter geworden: "Die Huthis haben im Jemen ausserhalb ihres Stammes wenig Unterstützung - sie werden sich deshalb noch mehr an den Iran binden. Die Saudis dagegen stehen möglicherweise alleine da."

Auch internationaler Unterstützung kann sich Saudi-Arabien nicht sicher sein. Zwar sehen sie sich an der Seite der USA, weil sie im Jemen auch gegen den amerikanischen Erzfeind Iran kämpfen.

Doch erst kürzlich hatte der amerikanische Präsident Donald Trump Saudi-Arabien aufgefordert, die Seeblockade gegen den Jemen aufzuheben.

Diese bewirkt, dass internationale Hilfslieferungen das Land und die hungernde Bevölkerung kaum erreichen. "Es sieht nicht danach aus", so Sons, "dass die USA sich im Jemen verstärkt engagieren wollen."

Einzige realistische Möglichkeit, den Krieg und das Leiden der Zivilbevölkerung zu beenden, sei nun die Aushandlung eines Waffenstillstandes.

"Aber den wird es in dieser Situation nicht geben", fürchtet Sons. Saudi-Arabien könne zwar den Krieg im Jemen nicht gewinnen. Trotzdem werde sich das Land möglicherweise noch stärker in die Kämpfe hineinziehen lassen.

Der saudische Prinz Mohammed bin Salman hat es zwar bisher abgelehnt, das Leben von Hunderter oder gar Tausender saudischer Infanteristen im Jemen-Krieg aufs Spiel zu setzen. Stattdessen setzt er bisher auf Luftschläge, um Abed Rabbo Mansur Hadi zu unterstützen, der seit Salehs Rücktritt im Jahr 2012 Präsident des Jemen ist.

Krieg zwischen Iran und Saudi-Arabien als Worst Case

"Das kann sich jetzt ändern", fürchtet Nahost-Experte Sons. Prinz Salman, der mit erheblichen Anstrengungen daran arbeitet, Saudi-Arabien zu reformieren und gleichzeitig die Machtstellung des Landes zu festigen, werde nach Salehs Ermordung den Einsatz eigener Bodentruppen zumindest erwägen.

Leidtragende wären bei diesem Strategiewechsel im Jemen vor allem die Zivilisten. Intensivieren die Saudis ihr Engagement, würde das zudem wohl zwangsläufig zu einer verstärkten Unterstützung der Huthis durch Iran führen.

Nicht wenige Beobachter rechnen dann mit einem GAU für die Region und einem neuen brandgefährlichen, weltpolitischen Beben: ein Krieg zwischen Iran und Saudi-Arabien.

"Wenn es eine Steigerung von katastrophal gibt", meint Sons, "dann ist das jetzt der Fall: die Situation wird noch katastrophaler."

Statt mit einer Aufhebung der Seeblockade müssen die Jemeniten nun damit rechnen, dass die Kämpfe sich verschärfen und die Versorgungslage sich weiter verschlechtert.

Am Mittwoch berichtete die "Süddeutsche Zeitung", die Einwohner der Hauptstadt Saana erlebten "Tage und Nächte des Horrors".

Schon am Tag zuvor hatte das Internationale Rote Kreuz 234 Tote und mehr als 400 Verletzte seit der Ermordung Ali Abdullah Salehs gezählt.

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