Um die Freiheit der Presse war es in Belarus noch nie gut bestellt. Im Zuge der Proteste gegen seine Wiederwahl geht Staatschef Alexander Lukaschenko gezielt gegen unabhängige Medien vor. Wie sehr das ihre Arbeit beeinflusst, schildert die belarussische Journalistin Nasta Reźnikava im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ein Interview

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Mehr aktuelle News

Seit nunmehr 45 Tagen wird in Belarus landesweit gegen Staatschef Alexander Lukaschenko protestiert. Nie zuvor wankte die Diktatur in dem EU-Nachbarstaat so stark wie dieser Tage. Hatten Sie überhaupt einen freien Tag seit der manipulierten Präsidentschaftswahl am 9. August?

Nasta Reźnikava: Ich habe mir diese Woche frei genommen, um zu studieren. Ich war aber immer wieder bei den Demonstrationen, ich habe über die Frauenproteste an den Samstagen, die Märsche an den Sonntagen oder Versammlungen in den Innenhöfen berichtet.

Wie geht es Ihnen dabei?

Alle sind müde. Wir wissen gar nicht, wie und wann wir arbeiten sollen. Und ob wir überhaupt am Abend nach Hause kommen. Seit Anfang August gehen die meisten Kollegen, die ich kenne, nur noch vorbereitet raus: mit Zahnbürste, frischen Socken und Unterwäsche.

Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?

Es ist viel mehr Arbeit geworden. Allein dadurch, dass die Behörden so viele Menschen einsperren und verhaften. Wir versuchen deren Familienmitglieder zu treffen, mit ihnen zu reden und natürlich zu zeigen, was passiert ist. Doch es sind so viele Fälle – das schaffen wir alles gar nicht. Es gibt politische Gefangene, über die wird fast gar nicht berichtet. Zugleich sind viel weniger internationale Medienvertreter vor Ort, das Interesse hat im Vergleich zum August merklich abgenommen.

"Meine Berichterstattung ist viel politischer geworden"

Laut der belarussischen Menschenrechtsorganisation Wjasna haben die Sicherheitskräfte bisher etwa 12.000 Menschen verhaftet. Wjasna zählt zudem 71 politische Gefangene – so viel wie nie zuvor.

Es ist ziemlich viel los, jeden Tag wird jemand verhaftet. Und wir versuchen das zu zeigen. Dazu kommt noch die normale Arbeit, beispielsweise Entscheidungen von Behörden und Verwaltungsangelegenheiten. Meine Berichterstattung ist dadurch viel politischer geworden, ich mache noch mehr Sendungen zu Menschenrechtsverletzungen. Auf der anderen Seite kommen ökologische und Umweltthemen zu kurz. Dazu mache ich derzeit gar nichts.

Immer wieder werden auch Journalisten verhaftet …

Ja, ich auch. Zweimal, aber nur kurz. Andere bleiben drei Tage und noch länger in Haft. Das ist tatsächlich ein neues Level: Kollegen von mir sind gerade zehn oder sogar 15 Tage in Haft – ohne Grund!

Wie begründen die Polizisten die Festnahmen?

Laut Gesetz kann jeder Bürger für drei Stunden festgenommen werden. Offiziell, um die Dokumente zu prüfen. Den Journalisten, die nun länger in Haft sitzen, wird vorgeworfen Polizisten angegriffen oder an einer unangemeldeten Massenaktion teilgenommen zu haben. In Belarus müssen alle Veranstaltungen, also auch Demonstrationen, von den Behörden genehmigt werden. Die Proteste finden natürlich ohne offizielle Erlaubnis statt. Alle Teilnehmer können deshalb bis zu 15 Tage inhaftiert werden.

"Es gibt Tage, an denen Journalisten gezielt verhaftet werden"

In den ersten Tagen nach der Wahl gab es zahlreiche Videos, die gezielte Attacken von Sicherheitskräften auf Journalisten zeigen. Wie ist die Situation jetzt?

Das ändert sich fortwährend. Es gibt Tage, an denen Journalisten gezielt verhaftet werden. So war es bei mir Ende August bei einer Protestkundgebung. Alle anwesenden Journalisten wurden festgenommen und zur Polizeiwache gebracht. Das ist schon fast normal für belarussische Verhältnisse. Die Polizisten haben unsere Dokumente und Akkreditierungen überprüft. Und wir wurden gebeten – besser gesagt es wurde verlangt –, unsere Aufnahmen auf den Kameras und Handys zu zeigen. Die, die das machten, wurden freigelassen.

Und die Journalisten, die sich weigerten?

Sie wurden länger festgehalten. Eine Fotografin sollte ein Foto löschen. Ihr wurde gedroht, dass sonst etwas mit ihrer Kamera passiere würde. Sie gab dann nach. Aber mehrere Fotografen grosser Agenturen lehnten es ab, ihre Fotos zu zeigen. Nach sechs Stunden durften sie gehen, ihre Kameras und Handys mussten sie aber bei der Polizei lassen. Als sie ihre Sachen am nächsten Abend abholen wollten, war eine der Kameras kaputt.

Wie stark sind die Redaktionen selbst von Repressionen betroffen?

Mehrere Nachrichten-Webseiten sind in Belarus blockiert, auch die Seite von Belsat. Wir sind jetzt bei Telegram, wie fast alle anderen auch. Dort sind wir der populärste Kanal mit Meldungen auf Belarussisch. Telegram ist derzeit tatsächlich die einzige Möglichkeit Informationen sicher zu verbreiten.

"Die Menschen unterstützen uns, wo sie können"

Wenn ich mir die Livestreams von vor Ort anschaue, dann reden die meisten Demonstranten sehr gerne mit den Journalisten. Kommt es nur mir so vor oder begegnen Ihnen die Menschen nun viel offener als früher?

Das war schon immer so, aber jetzt wird uns noch mehr geholfen. Die meisten Leute verstehen, dass wir Journalisten leiden. Und sie unterstützen uns, wo sie können: Sie lassen uns in ihre Wohnungen, damit wir von den Balkonen filmen können, oder sie verraten uns ihr W-LAN-Passwort, damit wir ihr Internet nutzen können.

Ist es angesichts dessen schwierig, neutral zu bleiben?

Ja, natürlich. Es gibt Journalisten unabhängiger Medien, die am Sonntag zu den grossen Protesten gehen, wenn sie frei haben. Als Teilnehmer und nicht als Berichterstatter.

Nasta Reźnikava lebt in Minsk und arbeitet beim polnisch-belarussischen TV-Sender Belsat. Über die Proteste hat sie unter anderen auch für den RBB, den MDR und "Zeit Online" berichtet. Reźnikavas Themenschwerpunkte sind Menschenrechte und Umweltschutz. Der belarussische Journalistenverband verlieh ihr 2019 die Auszeichnung "Freies Wort".
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.