In Berg-Karabach stehen sich Armenien und Aserbaidschan unversöhnlich gegenüber. Die Druck auf die Konfliktparteien im Südkaukasus wächst, die Zahl der Toten steigt. Für ein Ende der Gewalt ist auch der Einfluss der Türkei notwendig.
Bei den Kämpfen im Südkaukasus zwischen den verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan ist die Zahl der Toten in der Unruheregion Berg-Karabach nach offiziellen Angaben auf mehr als 150 gestiegen.
Bei Gefechten gegen die aserbaidschanische Armee seien zuletzt 54 Soldaten aus den eigenen Reihen gestorben, teilten die Behörden in Berg-Karabach der armenischen Agentur Armenpress zufolge am Freitag mit. Zudem sollen viele Menschen verletzt worden sein. Zuvor hatte das Militär in Berg-Karabach bereits rund 100 Toten gesprochen. Es ist die schwerste Gewalteskalation in der Region seit Jahrzehnten.
Das Militär in Aserbaidschan sprach am Freitag von schwerem Artilleriefeuer in einigen Dörfern auf seinem Staatsgebiet. Dabei sollen Zivilisten getötet und verletzt worden sein. Genaue Angaben dazu gab es zunächst nicht.
Zuvor hatten die armenischen Behörden von 120 Toten gesprochen, die meisten davon Soldaten. Aserbaidschan zählte zuletzt nach eigenen Angaben 19 tote Zivilisten und 55 Verletzte.
Seit Sonntag liefern sich die beiden verfeindeten Staaten schwere Gefechte entlang der Demarkationslinie. Diese gehen weit über die Scharmützel hinaus, die es immer wieder in der Region gab.
Nach dem Aufruf Russlands, Frankreichs und der USA zu einem Ende der Waffengewalt in der Unruheregion Berg-Karabach hatten die Vermittler eigentlich auf eine Stabilisierung der Lage gehofft. Es müsse jetzt alles unternommen werden, um die beiden verfeindeten Nachbarn Armenien und Aserbaidschan politisch und diplomatisch zu unterstützen, teilte das Aussenministerium in Moskau mit.
Dazu seien "äussert überlegte Schritte" notwendig. Russland wolle sich deshalb mit der Türkei abstimmen, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Dazu sprach der russische Chefdiplomat Sergej Lawrow am Donnerstagabend auch mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu. Unterdessen hiess es aus Armenien, dass es weiter Angriffe auf Zivilisten in Berg-Karbach gebe.
Der Konflikt um Berg-Karabach schwelt schon seit Jahrzehnten
Russland, Frankreich und die USA stehen der sogenannten OSZE-Minsk-Gruppe vor, die im jahrzehntealten Konflikt zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken vermittelt. Die drei Länder hatten in einer ungewöhnlichen gemeinsamen Erklärung die militärische Gewalt im Südkaukasus verurteilt. Sie forderten Baku und Eriwan auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren - ohne Vorbedingungen dafür zu stellen.
Dies scheint jedoch angesichts der Unterstützung Aserbaidschans durch die Türkei schwierig zu werden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte nämlich gerade diese Forderung als "nicht akzeptabel". Armenien sei ein "Banditenstaat", der sich aus Berg-Karabach zurückziehen müsse.
Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev hatte zuvor bereits erklärt, dass ein Dialog deshalb sinnlos sei. Er wolle seine Militäroperation bis zu einem Rückzug Armeniens aus Berg-Karabach fortzusetzen.
EU fordert sofortiges Ende der Gewalt, USA befürchten Internationalisierung
Die Staats- und Regierungschef der EU forderte ein sofortiges Ende der Gewalt. Der Verlust von Menschenleben und die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung seien nicht hinnehmbar, heisst es in einer in der Nacht zum Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel veröffentlichten Erklärung.
Aserbaidschan und Armenien sollten ohne Vorbedingungen Verhandlungen beginnen. Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell solle prüfen, wie eine Unterstützung der Europäer aussehen kann.
US-Aussenminister Mike Pompeo warnte vor einer Internationalisierung des Konflikts. "Wir sind der Meinung, dass sich Aussenstehende heraushalten sollten", sagte Pompeo am Donnerstag dem Sender Fox News. "Wir mahnen einen Waffenstillstand an."
Washington hoffe, dass die Regierungen beider Länder in den kommenden Ländern einsehen würden, dass Gewalt die bestehenden ethnischen und politischen Konflikte nicht lösen werde.
Berg-Karabach wird von Armenien kontrolliert, gehört aber völkerrechtlich zu Aserbaidschan
Der Konflikt zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken gibt es bereits seit Jahrzehnten. Berg-Karabach, wo rund 145.000 Menschen leben, wird zwar von Armenien kontrolliert, gehört aber völkerrechtlich zum islamisch geprägten Aserbaidschan.
In einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor rund 30 Jahren verlor Aserbaidschan die Kontrolle über das Gebiet. Es wird heute von christlichen Karabach-Armeniern bewohnt. Seit 1994 gilt eigentlich eine Waffenruhe.
Bei den jüngsten Kämpfen sollen auch tausende ausländische Söldner und Kämpfer dschihadistischer Gruppen aus den Kriegsgebieten in Syrien und Libyen aktiv beteiligt sein. Russland betonte, dass dies unzulässig sei und diese sofort abgezogen werden müssten.
Kriegsrhetorik und die Beteiligung anderer Akteure sei absolut kontraproduktiv und unverantwortlich, sagte Maria Sacharowa, Sprecherin des russischen Aussenamtes. Dies sorge nur dafür, dass sich die Lage weiter zuspitze. "Das kann unvorhersehbare Folgen haben."
Armeniens Regierung berichtete am Donnerstagabend auf Twitter, dass über dem Landesinneren vier Drohnen des Gegners gesichtet worden seien. Alle unbemannten Fluggeräte seien von der Luftabwehr abgeschossen worden. (dpa/ank)
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