Die Bundesregierung will militärisch stärker in den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat eingreifen. Die Terrorgefahr in Deutschland werde sich dadurch nicht wesentlich erhöhen, erklärt der Friedensforscher Jochen Hippler im Interview.

Ein Interview

Deutschland will sich intensiver am Kampf gegen den IS beteiligen. Was bedeutet das für die Terrorgefahr hierzulande?

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Jochen Hippler: Das stärkere militärische Engagement Deutschlands wird keine grossen Auswirkungen auf die Terrorgefahr haben. Es wird sie weder reduzieren noch wesentlich verstärken. Die Bundeswehr befindet sich schon länger in Afghanistan und in Mali, das ist also kein qualitativ neuer Schritt in der deutschen Politik. Einigen jungen Menschen aus der Dschihadistenszene, die schon weitgehend radikalisiert sind, könnte das einen kleinen Push geben, sich noch konsequenter gegen deutsche Politik zu stellen. Aber ich kann keinen wirklichen Bruch sehen.


Werden sich die deutschen Sicherheitsbehörden dennoch darauf einstellen?

Das haben sie schon längst getan. Vor vier oder fünf Jahren waren die Sicherheitsbehörden noch relativ schlecht vorbereitet. Damals gab es häufiger Koordinationsprobleme und Fehler bei Fahndungen und Überwachungen. Seitdem hat sich viel geändert und nach den Anschlägen in Paris hat die Aufmerksamkeit der Behörden noch einmal zugenommen. Sie sind gut aufgestellt, soweit das eben geht.

Von wem geht die grössere Gefahr für Europa aus: von den von Ihnen erwähnten, radikalisierten Franzosen, Belgiern, Deutschen oder vom IS in Syrien und im Irak?

Von beiden, wobei die ersteren wohl wichtiger sind. Die Hauptinteressen des IS liegen in erster Linie in der Region. Dort wollen sie ein Machtgebiet aufbauen. Wenn andere Länder wie die USA und Frankreich dem entgegentreten, hat der IS aber auch das Interesse, diesen Staaten zu schaden, um die Kosten für deren Politik zu erhöhen.


Bisher hatten aber fast alle potenziellen und tatsächlichen Attentäter in Europa hausgemachte "Karrieren": das sind überwiegend gescheiterte Persönlichkeiten mit kleinkriminellen oder Drogenkarrieren, die das Gefühl haben, ihrem Leben plötzlich einen neuen Dreh geben zu können, ernst genommen und gefürchtet zu werden. Solche Personen sind für den Kampf in Syrien nur mässig relevant, sie können ja oft nicht einmal Arabisch. Also benutzt der IS sie, um in Europa Angst zu verbreiten. Es ist nicht so, dass beim IS Strategen jede Aktion in Europa durchplanen. Fast alle hiesigen Gewalttäter sind bei uns hausgemacht.

Sie haben gesagt, dass die jetzigen Beschlüsse der Koalition keinen Bruch darstellen, der die Terrorgefahr signifikant erhöhen würde. Was wäre denn so ein Bruch?

Wenn sich Deutschland systematisch in die erste Reihe der Bombardierungen stellen würde, wenn es Bodentruppen schicken würde. Die Massnahmen, die jetzt beschlossen wurden, dienen erkennbar dazu, sich symbolisch an die Seite Frankreichs zu stellen. Ich glaube nicht, dass sich die Bundesregierung davon einen grossen Effekt auf den Anti-Terror-Kampf verspricht. Der muss ja vor allem in Europa stattfinden. Sie zeigt, dass sie Frankreich den Rücken stärkt, ohne sich zu stark in den Krieg hineinziehen zu lassen. Und der Dschihadistenszene zeigt man damit: Man ist auf der Seite Frankreichs, aber nicht in der ersten Reihe der Kriegsmächte.

Wird die Anti-Terror-Koalition nach Ihrer Einschätzung ihr Ziel erreichen: den Terror zu beenden?

Nein, diese Erwartung ist unrealistisch. Und ich denke, dass die Bundesregierung das weiss und dass deswegen ihr Engagement so begrenzt ausfällt.


Wenn Luftangriffe den Terror nicht beenden werden, was wird denn helfen?

Wir müssen etwas gegen die Radikalisierung im eigenen Land tun. Selbst wenn es den IS in Syrien und im Irak nicht gäbe, gäbe es mit Sicherheit trotzdem radikalisierte junge Männer, die in Frankreich, Belgien oder Deutschland aufgewachsen sind und dort Gewalttaten verüben könnten. Genauso wie es den NSU gegeben hat und es Rechtsradikale gibt, die in Deutschland Asylbewerberheime abbrennen. Die Arbeit der Sicherheitsbehörden sollte weiter verbessert werden, langfristig ist aber entscheidend, dass gefährdete junge Leute eine Lebensperspektive bekommen, die verhindert, dass sie in den Extremismus abdriften.

Der andere wichtige Punkt ist die Situation in Syrien und im Irak: Der IS konnte sich dort nur so schnell ausbreiten, weil er in ein politisches Vakuum vorstossen konnte. Wenn Syrien und der Irak funktionierende Staatsapparate hätten, wäre das Problem des IS nur eine kleine Polizeiaufgabe. Viele Menschen im Irak und in Syrien halten den IS aber für das kleinere Übel im Vergleich zu ihren eigenen Regierungen. Dieses Problem des politischen Vakuums muss gelöst werden, mit Bombardierungen gewinnt man nur Zeit, löst dieses Problem aber nicht.

Jochen Hippler ist Politikwissenschaftler und Friedensforscher an der Universität Duisburg-Essen. Er beschäftigt sich vor allem mit dem Nahen und Mittleren Osten.
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