Während Saudi-Arabien nun Bodentruppen gegen den sogenannten "Islamischen Staat" nach Syrien schicken würde, warnen Experten davor: Die Lage sei inzwischen zu unübersichtlich. Schliesslich ist für viele Konfliktparteien der Kampf gegen den IS nicht mehr das zentrale Motiv. In Syrien droht ein Stellvertreterkrieg.
Immer wieder hatten Experten in den vergangenen Monaten betont, dass der IS nur am Boden zu besiegen sei. Aber gerade europäische Staaten sprachen sich dagegen aus, Bodentruppen nach Syrien zu entsenden. Nun aber bietet sich Saudi-Arabien dafür an.
Das Königreich wäre dabei, wenn die von den USA angeführte Anti-IS-Koalition eine Bodenoffensive starte, sagte ein Sprecher des Militärs vergangene Woche auf dem Sender Al Arabiya.
Anschliessend erklärte sich auch Bahrain dazu bereit, Bodentruppen nach Syrien zu senden – mit Verweis auf die Vereinigten Arabischen Emirate, deren Aussenminister bereits im vergangenen Jahr zugesichert habe, dafür Soldaten zur Verfügung zu stellen.
Die Entscheider in den USA halten sich bislang mit einer aktiven Unterstützung des Angebots aus Saudi-Arabien zurück. Für den Sicherheitsexperten Jörg H. Trauboth, Oberst a.D. der Luftwaffe, ist klar, warum: "Wir befinden uns im Wahlkampf."
Der Schweizer Professor Albert Stahel, Leiter des Institutes für Strategische Studien Wädenswil, schliesst im Gespräch mit unserer Redaktion allerdings nicht aus, dass die Amerikaner die saudische Bereitschaft sogar initiiert haben könnten.
Über 60 Konfliktparteien beteiligt
Die Sicherheitsexperten beschreiben die Lage in Syrien mittlerweile als unübersichtlich: "Das einzig Überschaubare im Moment ist, dass Assad, Russland und der Iran gnadenlos vorangehen, um Syrien wieder im Sinne Assads unter Kontrolle zu bekommen", sagt Jörg H. Trauboth im Gespräch mit diesem Portal. Er betont: "Und zwar auf Kosten der Bevölkerung."
Der Westen stehe machtlos davor. Hinzu komme die verfahrene Situation der türkischen Aussenpolitik, etwa die Feindschaft mit Russland, die ungelösten Konflikte mit den Kurden. "Die Türkei steht zwar mit dem Rücken zur Wand. Sie nutzt aber die Flüchtlingssituation, um den Westen kleinzuhalten."
Unübersichtlich ist die Situation in Syrien auch, weil nach Angaben Trauboths mittlerweile über 60 Konfliktparteien mit unterschiedlichen Zielen an den Kämpfen direkt oder indirekt beteiligt seien, ebenso eine Vielzahl unterschiedlich agierender Terrorgruppen. "Das politisch aufzulösen, bedeutet, einen gordischen Knoten zu entflechten."
Vor wenigen Monaten war Jörg H. Trauboth noch sicher, dass eine Bodenoffensive gegen den IS in Syrien und im Irak die einzige Lösung ist, um die Lage in Syrien zu beruhigen. "Mittlerweile aber ist die Situation so festgefahren, dass eine Intervention in Syrien ein unkalkulierbares Risiko hätte", sagt er heute.
Er sieht jetzt in Syrien die Gefahr eines Stellvertreterkriegs zwischen Russland und den Vereinigten Staaten und dem Iran und Saudi-Arabien.
Auch Albert Stahel warnt mittlerweile vor einer Bodenoffensive – aus denselben Gründen: "Die Lage würde dann noch unübersichtlicher." Zu viele Interessengruppen stünden sich in Syrien gegenüber.
Stahel setzt sich dafür ein, dass die Lage am Verhandlungstisch geklärt werden sollte – auch mit Vertretern des IS. Dennoch hält er einen Bodentruppeneinsatz nicht für unwahrscheinlich:
"Weil die Amerikaner und auch Teile der europäischen Staaten den sogenannten "Islamischen Staat" als Bedrohung Nummer eins wahrnehmen." Sie seien derzeit sehr fokussiert auf die Terrormiliz.
Trauboth rät zu Einsatz im Nord-Irak
Obwohl Jörg Trauboth sich mittlerweile gegen die Bodentruppen in Syrien ausspricht, bleibt er dabei: "Die Lage ist nur noch militärisch aufzulösen, aber mit einem Strategiewechsel."
Er rät dazu, dass Saudi-Arabien mithilfe der arabischen Allianz über eine Bodenoffensive zunächst den Nord-Irak vom IS befreit und Syrien nicht anfasst.
"Mit Unterstützung der westlichen Allianz: durch koordinierte Luftunterstützung, durch personelle Unterstützung in den Hauptquartieren und durch Beratung der Kommandeure von Elitesoldaten an der Front." Die Saudis verfügten über hervorragende Kampfmittel, aber sie hätten kaum Erfahrung mit Auseinandersetzungen am Boden.
Den IS hält Trauboth für besiegbar: "Auf breiter Fläche am Boden kämpfen – das kann er nicht." Der Experte erinnert: "Die Achillesferse des IS ist sein Territorium. Wenn ihm das Gebiet genommen wird, ist er ins Herz getroffen."
Eine Lösung am Verhandlungstisch schliesst Trauboth zwar nicht aus. "Aber dies geht erfahrungsgemäss besser mit militärischen Druckmitteln im Rücken."
Wenn es den Streitkräften im Nord-Irak gelänge, die IS-Kämpfer zu vertreiben, befänden sich auch die Parteien in der Syrien-Krise in einer anderen Verhandlungsposition.
Weitsicht notwendig
Sicherheitsexperte Trauboth mahnt ausserdem zur Weitsicht: Was ist, wenn der IS vertrieben wird? "Dann müssen die Staaten, die im Irak und in Syrien eingegriffen haben, schnellstmöglich für Sicherheit sorgen. Für soziale und wirtschaftliche Infrastruktur."
Darüber dürften sie sich nicht erst Gedanken machen, wenn es so weit sei. Denn ein jahrelanger Einsatz von UN-Truppen, von möglichst vielen arabischen Blauhelm-Soldaten, stünde dann bevor – und sollte seiner Meinung nach gut vorbereitet sein.
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