Die Terrortruppen des "Islamischen Staats" (IS) rücken immer weiter auf die kurdische Stadt Kobane an der türkischen Grenze vor. Das Nachbarland hat dort bereits Panzer aufgefahren. Doch warum kommt die Türkei den Menschen nicht zur Hilfe?
Es sind schwere Vorwürfe, die
Mit diesen Anschuldigungen steht Roth nicht alleine da. Experten und Korrespondenten berichteten immer wieder von Menschen, die Zeuge einer türkischen Unterstützung für IS geworden sind. So erzählten Türken, die an der syrischen Grenze wohnen, laut dem amerikanischen Historiker und Publizisten Daniel Pipes von türkischen Krankenwagen, die in syrische Kampfgebiete fuhren und verletzte IS-Leute herausholten. Im Netz kursiert ein Bild eines IS-Kommandanten, das zeigen soll, wie er in einem türkischen Krankenhaus behandelt wird. Und auch das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtet, dass Anfang 2014 ausländische Dschihadisten an den türkischen Grenzübergängen nahe Syrien gesehen worden seien.
Türkei glaubte, die Situation im Griff zu haben
Warum aber sollte die Türkei den Terroristen helfen? Die Unterstützung begann wohl zu einer Zeit, als die Türkei noch glaubte, der syrische Machthaber Assad könne schnell gestürzt werden. Das Land hätte sich gerne an seiner Stelle die Vormacht in der Region gesichert. Isis war zu dem Zeitpunkt noch eine von vielen Rebellengruppen, die gegen das Regime kämpften – und die Türkei meinte, die Situation im Griff zu haben.
Mittlerweile dürfte die Regierung in Ankara erkannt haben, mit wem sie sich da eingelassen hat. Spätestens als Isis Anfang Juni Dutzende türkische Staatsbürger als Geiseln nahm, muss klar gewesen sein, dass die Unterstützung der Terroristen ein Fehler war. Empört weist die Türkei inzwischen jede Verbindung zu ihnen zurück. Nur warum halten sich Präsident Recep Erdogan und Regierungschef Ahmet Davutoglu dann noch immer im Kampf gegen den IS zurück? Seit Tagen rücken die Terrormilizen immer weiter auf die kurdisch-syrische Stadt Kobane nahe der türkischen Grenze vor. Zwar hat die Türkei mehr als 1,5 Millionen syrischer Flüchtlinge aufgenommen. Doch den kurdischen Kämpfern kommt sie nicht zur Hilfe. Es gab sogar Berichte, wonach Kurden aus der Türkei gehindert worden seien, ihren syrischen Kameraden zur Hilfe zu kommen.
Konflikt mit Kurden könnte verheerende Konsequenzen haben
Man werde dann Truppen entsenden, wenn auch "andere ihren Anteil leisten", sagte Regierungschef Davutoglu. Hinter dem zögerlichen Eingreifen steckt wohl aber vor allem ein anderer Grund: der Konflikt mit den Kurden. Das machen die jüngsten Äusserungen Erdogans deutlich, in denen er IS mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK verglich. Beides seien Terrororganisationen, sagte er. Die Türkei fürchtet nach wie vor ein Erstarken der Kurden. Ihre grösste Angst: Die Gründung eines kurdischen Staates, dem sich die türkischen Kurden anschliessen könnten. Die Türkei sieht darin eine Bedrohung ihrer territorialen Integrität.
Dass die türkische Regierung sich offenbar nicht aus den alten Denkmustern befreien kann, könnte verheerende Konsequenzen haben – für das Land und auf internationaler Ebene. Wenn Kobane fällt, hätte IS ein zentrales Ziel erreicht: Die Kontrolle eines langen Grenzstreifens zur Türkei. Von hier könnte sich die Terrororganisation aussuchen, ob sie weiter nach Osten oder Westen expandiert. Es wäre zudem eine weitere Demonstration der Stärke gegenüber ihren Anhängern und potenziellen neuen Rekruten weltweit.
Die Türkei könnte sich mit ihrer jetzigen Politik am Ende vor allem selbst schaden. Die türkischen Kurden würden keinen Unterschied zwischen sich und den syrischen Kurden machen, sagte der Türkei-Experte Günter Seufert von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einem Interview mit der "Deutschen Welle". Einen von der Türkei zugelassenen Fall Kobanes würden sie als einen feindlichen Akt der Türkei ansehen – und dann den Friedensprozess abbrechen.
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