An Karfreitag sind in Deutschland laute Musik, Demonstrationen und Unterhaltungsveranstaltungen verboten. Doch das sogenannte Tanzverbot ist nicht unumstritten. Insbesondere unter jungen Menschen nimmt das Verständnis für die Feiertagseinschränkungen ab. Sind diese heute noch zumutbar?
Nach dem christlichen Dogma ist Jesus an Karfreitag am Kreuz gestorben. Für Gläubige ist das ein Grund zur Trauer. Und in dieser dürfen sie in Deutschland per Gesetz nicht gestört werden: Landesweit gibt es an Karfreitag ein sogenanntes Tanzverbot. Dieses wird zwar von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich streng gehandhabt, doch überall müssen gewisse Einschränkungen hingenommen werden.
Das gefällt nicht allen. Jedes Jahr protestiert die Club-Szene gegen das Tanzverbot und der religionskritische "Bund für Geistesfreiheit" erwirkte vor Gericht eine Abschwächung der in Bayern geltenden Feiertagseinschränkungen. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung? Oder tun wir uns als Gesellschaft keinen Gefallen, wenn wir am Tanzverbot rütteln?
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Pro: Wer am Charakter der "stillen Tage" rüttelt, degradiert sie
von Fabian Hartmann
Alle Jahre wieder: Ostern steht vor der Tür – und damit auch die Diskussion um das Tanzverbot. Es ist natürlich legitim, nach dessen Berechtigung zu fragen. Schliesslich ist das (organisierte) Christentum hierzulande auf dem Rückzug. Weniger als die Hälfte der Deutschen ist noch Mitglied in einer der grossen Kirchen. Darf eine Minderheit darüber entscheiden, wie sich die Mehrheit zu verhalten hat?
Diese Argumentation verkennt eines: den besonderen Charakter der stillen Tage. Nicht nur Teile des Osterfests gehören dazu. Auch Totensonntag und Volkstrauertag sind dem Staat so wichtig, dass er sie gesondert schützt. Und damit, das ist entscheidend, von anderen Feiertagen abgrenzt. Dafür gibt es gute Gründe. All diese Tage – ob religiös unterlegt oder nicht – eint, dass sie auf die Vergänglichkeit des Menschen abzielen. Sie erinnern daran, dass der Tod, den wir so gerne verdrängen, zum Leben dazugehört. Der eigene Tod, der Verlust von Familie und Freunden.
Die stillen Feiertage sind eine Einladung zum Innehalten. Sie stehen damit in gewisser Weise in Widerspruch zu einem Zeitgeist, der immer mehr will. Mehr Tempo, mehr Leistungsbereitschaft, mehr Wachstum, mehr Selbstoptimierung. Und dabei das Schmerzhafte, das Sterben, ausgrenzt oder gar vergisst.
Ja, es stimmt: Auch ein Tanzverbot kann Menschen nicht zwingen, darüber nachzudenken. Das soll es aber auch nicht. Die "stillen Tage" sind vielmehr ein kulturelles Bekenntnis, etwas, worauf wir uns als Gesellschaft einmal geeinigt haben. Der staatliche Schutz dieser Tage unterstreicht ihre Besonderheit.
Wer am stillen Charakter bestimmter Feiertage rüttelt, degradiert sie letztlich. Sie wären dann Tage wie jeder andere. Und was beliebig ist, kann auch irgendwann abgeschafft werden. Wollen wir das wirklich? Zumal der Eingriff in die persönliche Freiheit nicht gross ist. Wer tanzen gehen will, kann das tun – an allen anderen Tagen im Jahr. Der Karfreitag sollte bleiben, wie er ist.
Contra: Das Tanzverbot ist aus der Zeit gefallen
von Joshua Schultheis
Das Verhältnis von Religion und Staat muss immer wieder neu verhandelt werden. Denn wenn sich die Gesellschaft verändert, müssen auch die Regeln angepasst werden, die das Zusammenleben bestimmen. Mit Blick auf die christliche Religion gibt es seit Jahrzehnten einen glasklaren Trend: Ihre Bedeutung nimmt in Deutschland ab.
Während 1950 noch über 95 Prozent der Deutschen Mitglied einer der beiden grossen Kirchen waren, sind es heute nicht einmal mehr die Hälfte. Und von diesen wiederum geht nur ein kleiner Teil regelmässig in die Kirche.
Dennoch wird das öffentliche Leben nach wie vor durch den christlichen Kalender geprägt. Die gesetzlichen Feiertage sind weitgehend deckungsgleich mit christlichen Festen, und am Sonntag, dem christlichen Ruhetag, müssen die Geschäfte geschlossen bleiben. Das ist grundsätzlich auch weiterhin gerechtfertigt. Niemand würde die historische Bedeutung des Christentums für unsere Region in Abrede stellen, und Christen sind nach wie vor die mit Abstand grösste religiöse Gruppe in Deutschland.
Aber eine Regel sollte dringend abgeschafft werden: Das Tanzverbot an Karfreitag.
Denn in einer wichtigen Hinsicht unterscheidet sich das Tanzverbot von anderen Einschränkungen, die man an christlichen Feiertagen hinnehmen muss. An Weihnachten nicht einkaufen gehen zu können, ist eine Sache. Eine ganz andere sind Verbote, die den privaten Bereich sowie die Versammlungsfreiheit betreffen.
Warum sollte jemand seinen Geburtstag nicht mit lauter Musik feiern dürfen, wenn dieser nun mal auf den Karfreitag fällt? Warum sollten Atheisten sich nicht die Nacht in einem Club um die Ohren schlagen dürfen? Warum sollten entschiedene Religionskritiker nicht auch oder gerade an Karfreitag ihre Meinung auf Demonstrationen kundtun dürfen?
Die Antwort auf diese Fragen lautet: Sie sollten nicht gezwungen werden, darauf zu verzichten. Einschränkungen in unmittelbarer Nähe zu Kirchen wären in Ordnung. Eine Störung oder Verhöhnung der Gläubigen an Karfreitag muss nicht erlaubt sein. Alles andere aber schon.
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