Die Situation in Spanien und das Verhältnis zwischen Madrid und Barcelona ist so angespannt wie schon lange nicht mehr. Aber warum ist die katalanische Nationalbewegung eigentlich so stark ?
Am spanischen Nationalfeiertag feierte Madrid am Donnerstag die spanische Einheit. Auf dem Paseo de la Castellana führte das Militär vor den Augen von König Felipe VI eine Parade auf. Das Motto in diesem Jahr: "Stolz, Spanier zu sein".
In Katalonien feiern viele nicht mit. In manchen Gemeinden wird vielleicht sogar gearbeitet, aus Protest über die Ereignisse rund um das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober oder weil ihnen der spanische Nationalfeiertag ohnehin nichts bedeutet.
Doch wenn sie arbeiten, müssen sie damit rechnen, dafür Geldbussen zahlen zu müssen. So war es im vergangenen Jahr - eines der vielen Beispiele für Madrids Umgang mit den Katalanen, das die Separatisten empört.
Doch warum ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung gerade im vergangenen Jahrzehnt so mächtig geworden?
Politische Bevormundung von Madrid
Klaus-Jürgen Nagel hält den Streit um das Autonomiestatut für Katalonien für den Ursprung der Unabhängigkeitsbewegung. Der deutsche Politikwissenschaftler lebt und arbeitet seit 20 Jahren in Barcelona.
Das katalanische Parlament hat 2005 eine neue Fassung für das Statut, das die Rechtsordnung in Katalonien regelt, ausgearbeitet. Es sollte der Region mehr Rechte und eine grössere Unabhängigkeit von Madrid sichern.
Auch die Bevölkerung stimmte dafür. Doch die spanische Zentralregierung stellte sich dem entgegen und reichte Klage beim Verfassungsgericht ein.
"Madrid hat alles beanstandet, was Katalonien in die Nähe einer Anerkennung als Nation gerückt hätte", sagt der Experte Nagel. Auch bilaterale Verhandlungen oder Änderungen beim Finanzausgleich wurden abgelehnt.
Hintergrund ist das politische System in Spanien. Im Gegensatz zum deutschen Bundesstaat ist Spanien ein Zentralstaat. "Die 17 autonomen Gemeinschaften in Spanien haben zwar viele Kompetenzen, aber fast nie die letzte Entscheidungsgewalt", erklärt Nagel.
Anders als in Deutschland, wo die Bundesländer beispielsweise über den Bundesrat Einfluss auf die Gesetzgebung haben: "Die Bundesländer sind überall vertreten, selbst im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. Die Kultusminister können im Bildungsbereich eigene Entscheidungen treffen. In Spanien dagegen sitzt immer die Zentralgewalt mit am Tisch - und hat das letzte Wort", führt Nagel aus.
Die Separatisten sind jung, vernetzt und gebildet
Trotz des Systems, das es in dieser Form schon fast seit 40 Jahren gibt, war eine katalanische Unabhängigkeit lange Zeit kein ernsthaftes Thema.
"Vor 2006 hat die Zustimmung zu einem eigenen Staat in Katalonien unter zehn Prozent gelegen", gibt Politikwissenschaftler Nagel zu bedenken. "Heute sind es fast 50 Prozent, in manchen Umfragen auch darüber."
Der "entscheidende Knick" in den Umfragestatistiken sei in den Jahren zwischen 2006 und 2010 entstanden. Während der vierjährigen Verhandlungen am Verfassungsgericht über das Autonomiestatut sickerten immer wieder Details aus den Beratungen durch.
Besonders die Art, wie das Statut gescheitert ist, habe Empörung ausgelöst. "Nach der Abstimmung heisst es: Nein, euer Wille zählt nicht. Was zählt, ist unsere Zentralregierung", erklärt Nagel. "Da ist die Haltung entstanden: Ihr habt gesagt, es geht im spanischen Staat nicht, also gehen wir aus dem spanischen Staat raus."
Eine richtige Welle habe sich da aufgetürmt. Im März 2012 wurde die ausserparlamentarische Opposition ANC gegründet. Die Organisatoren sind jung, gut vernetzt und gebildet. Viele aus dieser Graswurzelbewegung sitzen nun im katalanischen Parlament.
"Bei den katalanischen Parteien hat ein Generationswechsel stattgefunden", so Nagel. "Anders als die ältere Bevölkerung haben die jungen Leute keine Erinnerungen mehr an den Bürgerkrieg oder das Franco-Regime. Sie haben keine Angst davor, dass Panzer durch die Strassen rollen."
Wirtschaftliche Gründe: "Spanien bestiehlt uns"
Neben dem Gefühl der politischen Bevormundung halten viele Katalanen auch den Finanzausgleich für ungerecht. "Madrid ens roba" (Katalanisch für "Spanien bestiehlt uns") gehört zu den Schlagworten der aktuellen Unabhängigkeitsbewegung.
Katalonien gehört zu den finanziell stärksten Regionen in Spanien. Doch fast die gesamten Einnahmen müssen die Verwaltungen an Madrid abführen, wo die Gelder wieder neu verteilt werden.
Katalonien stellt 16 Prozent der spanischen Gesamtbevölkerung, erhält aber oft nur um die 8 Prozent der spanischen Staatsausgaben. Viele Katalanen haben daher das Gefühl, sie werden um ihr Geld betrogen.
Gerade bei den Linken sei die Überumverteilung Thema. Die öffentlichen Schulen in Katalonien sind vergleichsweise unterfinanziert.
"Wer es sich nicht leisten kann, sein Kind auf eine Privatschule zu schicken, findet teilweise schlechtere Bedingungen vor als die Schüler in der ärmeren Region Extremadura", sagt Nagel.
Unter den Katalanisten wird auch immer wieder auf die Korruption in Madrid verwiesen. Die regierende konservative "Partido Popular" steht im Zentrum eines Korruptionsskandals.
Doch Nagel hält dies nicht für eine entscheidende Ursache. Schliesslich unterstütze gerade die mit am stärksten betroffene Region Valencia die katalanische Bewegung kaum.
Die jungen Katalanen sind stolz auf ihre Identität
Ob Madrid mit seinem harten Kurs den katalanischen Separatismus eindämmen kann, ist fraglich. Gerade die jungen Leute in Barcelona sind stolz auf ihre katalanische Identität.
Die Sprache hat ein hohes Prestige, vor allem die gebildeten Schichten verwenden sie. Auch die Erfolge des Fussballvereins FC Barcelona, der "més que un club" (deutsch: "mehr als nur ein Klub") sein will, trugen sicherlich ihren Teil dazu bei.
Weil die Bewegung über Jahre hinweg gegen den Widerstand aus Madrid aufgebaut wurde, hält es Nagel für sehr schwer, alles auf Anfang zu setzen: "Es ist nicht möglich, die Zeit zurückzudrehen und wieder von vorne anzufangen."
Prof. Dr. Klaus-Jürgen Nagel lehrt seit 1997 Politikwissenschaften an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona. Zuvor war er in Bielefeld und Frankfurt am Main beschäftigt.
Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Föderalismus, Nationalismus, Regionen und der Europäische Integrationsprozess. Nagel hat Sozialwissenschaften und Geschichte in Münster und Bielefeld studiert.
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