In der Katar-Krise geht es vorrangig um einen der wichtigsten Rohstoffe der Neuzeit: um Information. Im Zentrum steht ein Fernsehsender: Al Jazeera, der Nachrichtenkanal aus Katar. Er war Saudi-Arabien von Anfang an suspekt - nun sehen ihn manche im Königreich als Bedrohung ihrer Macht und beschuldigen ihn der Unterstützung des Terrors.

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Seit Anfang Juni boykottieren Saudi-Arabien und seine Verbündeten den Nachbarn Katar. Vordergründig geht es um den Vorwurf der Terrorunterstützung. Doch auch die Nähe Katars zum saudischen Erzfeind Iran soll eine gewichtige Rolle spielen.

Von dem Boykott will die Anti-Katar-Allianz erst ablassen, wenn das Emirat die 13 von ihnen gestellten Forderungen erfüllt hat. Eine davon: Katar soll den Nachrichtensender Al Jazeera dichtmachen.

Welche Roller spielt der Sender in der Krise am Golf? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist Al Jazeera?

1996 gründete die katarische Herrscherfamilie den Sender, dessen Name schlicht "Arabische Halbinsel" bedeutet.

Al Jazeera sendet aus Funkhäusern in Katar, Kuala Lumpur, London und Washington, seit 2006 auch in englischer Sprache. Der Kanal wird angeblich täglich von 40 bis 50 Millionen Zuschauern gesehen - und wäre damit das Medium mit der weltweit grössten Reichweite.

Der Erfolg kam nicht von ungefähr: Der Sender machte anfangs durch hochprofessionelle Arbeit von sich reden; viele Journalisten der Gründungsgeneration kamen von der britischen BBC.

Mit der Berichterstattung über den 11. September 2001 und die anschliessenden Kriege in Afghanistan und im Irak wurde Al Jazeera auf der ganzen Welt populär.

Ist der Kampf gegen Al Jazeera nur ein Vorwand für die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen?

Nein, meint Sebastian Sons, Nahost-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Natürlich gehe es im Nahen Osten immer auch um wirtschaftliche Macht, um Geld, Öl, Gas.

Doch sei die Auseinandersetzung zwischen Katar und den anderen arabischen Staaten "kein Kampf um wirtschaftliche Vormachtstellung. Soweit wir das hier erkennen können, ist Katar nicht Saudi-Arabien in die Quere gekommen."

Wogegen richtet sich die Kritik an Al Jazeera?

Mit Beginn des Arabischen Frühlings im Jahr 2010 wuchs die Popularität von Al Jazeera - doch gleichzeitig war dieses Datum auch eine Zäsur für den Sender.

Der Vorwurf: Während der Revolution 2011 in Ägypten und des anschliessenden Militärputsches gegen die Muslimbrüder um Präsident Mohammed Mursi habe es der Sender deutlich an Objektivität mangeln lassen, habe sich gar zum Sprachrohr der Islamisten gemacht.

Über die Demonstrationen gegen Mursi wurde nicht oder verspätet und verkürzt berichtet, Mursis Anhänger kamen deutlich öfter zu Wort als seine Gegner.

In der Folge kündigten Mitarbeiter, der Ex-Korrespondent Aktham Suliman konstatierte im Deutschlandfunk, "dass Al-Dschasira in einem inländischen Konflikt Partei ergreift".

Erklärt das die Wut der Herrscher auf Al Jazeera?

Ja und nein, sagt Sebastian Sons, Nahost-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Er sieht in den Angriffen auf den Sender auch einen "Angriff auf die Pressefreiheit" in der Region.

Al Jazeera habe in den Anfangszeiten "für einen Pluralismus gesorgt, den es dort vorher nicht gab" - und sei auch aus diesem Grund schon damals den Herrschern ausserhalb von Katar "ein Dorn im Auge" gewesen.

Dabei ging es zunächst nicht um Islamismus, sondern einfach darum, dass der junge Sender "über Dinge berichtet hat, die die Menschen in den Wüstenstaaten nicht wissen sollten".

Auch jetzt noch informiere Al Jazeera zum Beispiel über die Kriege in Syrien und im Jemen "engagiert und investigativ" - genau das passe manchen Herrschern nicht.

Und die Situation für kritischen Journalismus wird schwieriger, je mehr Saudi-Arabien und andere Staaten in diesen Kriegen eigene Machtziele verfolgen und andere Stimmen ausschalten wollen.

Im Gegenzug habe Saudi-Arabien mittlerweile ebenfalls eigene, staatlich gelenkte Sender aufgebaut, deren Ziel es sei, so professionell, schnell und modern wie Al Jazeera zu sein.

Dabei gehe es kaum um wirtschaftliche Interessen - Katar wie Saudi-Arabien subventionieren ihre Medienunternehmen mit hohen Summen - "sondern vor allem um die Medien- und Informationshoheit."

Wie wird Al Jazeera derzeit bedroht?

Die Forderung der Anti-Katar-Koalition um Saudi-Arabien, den Sender zu schliessen, hält Experte Sons für durchaus realistisch: "Die Frage ist, wie lange es den Sender noch geben wird", auch wenn die Zehn-Tage-Frist nicht einzuhalten sei.

Katars Herrscherhaus werde zunächst davor zurückschrecken, sich die politische Autorität nehmen zu lassen. "Das würde die Bevölkerung so nicht mitmachen", gibt Sons zu bedenken, schränkt aber ein: "Wir müssen schon sehen, dass es dabei nicht um Millionen, sondern um gerade mal 200.000 Einwohner geht."

Trotzdem sei der Emir auf deren Zustimmung angewiesen, gelte als "Sicherheitsgarant und Schutzpatron". Wie er sich entscheiden werde, sei deshalb ungewiss.

Hackerangriffe, Journalisten in Haft

Doch Al Jazeera bekommt auch von anderen Seiten Gegenwind: Nicht nur haben Hacker seit Beginn der Katar-Krise Webseiten und Übertragungswege des Sender lahmgelegt, haben Ägypten und einige Golfstaaten die Internetzugänge zum Sender gesperrt.

Auch politisch sieht sich Al Jazeera zunehmend in der Defensive: In Deutschland etwa wurde der Al-Jazeera-Reporter Ahmed Mansour auf Antrag der ägyptischen Regierung in Berlin verhaftet. Er ist als Sympathisant der Muslimbrüder in Ägypten bereits zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, weitere Al-Jazeera-Kollegen warten auf ihre Prozesse.

Beobachter fürchten, dass politische Schauprozesse drohen, die in Wahrheit dazu dienen, Journalisten einzuschüchtern und die Pressefreiheit einzuschränken.

Wie wird der Konflikt um Al Jazeera enden?

Al Jazeera hat sich einen grossen Teil der gegenwärtigen Krise selbst zuzuschreiben.

Den anfänglichen Ruf als "Stimme der Massen" hat der Sender mit seinem Überengagement in Ägypten verspielt, ebenso ist es ihm nicht gelungen, sich von Katar unabhängig zu machen - gegenüber seinem Besitzer und Finanzier ist Al Jazeera unkritisch und angepasst, Kritik am katarischen Königshaus kommt nicht vor.

Deshalb haben nun Anhänger von Al Jazeera und Verteidiger der Pressefreiheit schlechte Karten - der Nachrichtenkanal kann längst nicht mehr nur allein als positives Symbol für Meinungsfreiheit im Nahen Osten dienen.

Sein Schicksal wird davon abhängen, wie der Konflikt insgesamt gelöst wird. Al Jazeera ist in diesem Machtspiel zu einer der Schachfiguren geworden.

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