Kaum ein Thema hat Deutschland in diesem Jahr so bewegt wie der Klimaschutz. Von der Strasse und aus dem Netz machen vor allem junge Aktivisten Druck auf die Parteien. Die Umsetzung in konkrete Politik bleibt aber holprig. In unserer Reihe "Das 'Klimajahr' 2019" beleuchten wir das Thema Klima in drei Dimensionen: Gesellschaftlich, ökologisch - und politisch.
Für den Klimaschutz beginnt das Jahr 2019 mit einer guten Nachricht. Die Kohlekommission der Bundesregierung einigt sich Ende Januar auf einen Kompromiss: Bis 2038 soll Deutschland die Stromgewinnung aus Stein- und Braunkohle beenden, betroffene Regionen sollen jährlich zwei Milliarden Euro für den Strukturwandel erhalten.
Wirtschaft und Umweltverbände stellen sich – teils zähneknirschend – hinter den Kompromiss. Dass eine solche Einigung in politisch polarisierten Zeiten möglich ist, wird als gutes Zeichen gedeutet. "Der Kohlezug hat den Bahnhof verlassen und ist nicht mehr aufzuhalten", teilt Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser mit.
Der Klimaschutz bleibt danach ein beherrschendes politisches Thema des Jahres. Besonders deutlich wird das im Frühjahr: Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament fordern junge Menschen die Politik zum Handeln auf – auf der Strasse bei "Fridays for Future"-Demos und im Netz.
Rezos Frontalangriff auf die GroKo
In seinem Video "Die Zerstörung der CDU" kritisiert YouTuber Rezo, dass die Regierungsparteien CDU und SPD ihre eigenen Klimaschutzziele reissen. "Sich selbst Ziele setzen und nicht einhalten – was ist das denn für ein inkompetenter Shit? Wenn das meine Angestellten wären, ich würde die sofort rausschmeissen!", schimpft der Aachener Informatiker. Mit seinem Video wird Rezo in kurzer Zeit zur Berühmtheit – und bringt vor allem die CDU in Bedrängnis.
Von dieser Stimmung profitieren die Grünen: Bei den EU-Wahlen am 26. Mai holen sie in Deutschland 20,5 Prozent der Stimmen und werden damit erstmals bei einer bundesweiten Wahl zweitstärkste Kraft hinter der CDU. Bei den 18- bis 29-Jährigen landen sie mit 31 Prozent sogar auf Platz eins.
Auch in Frankreich, Grossbritannien, den Benelux-Staaten und den nordischen Ländern legen grüne Parteien deutlich zu. Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel: In Ost- und Südeuropa spielen Öko-Parteien politisch kaum eine Rolle.
Grüne diskutieren über Kanzlerkandidaten
Bei den Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen werden die Themen Umwelt und Klima 2019 durchgängig am häufigsten als wichtigstes politisches Problem benannt. Die Grünen liegen bei Umfragen konstant über 20 Prozent und diskutieren sogar, ob sie bei den nächsten Bundestagswahlen einen Kanzlerkandidaten brauchen.
Selbst Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder will sich mit dem Thema profilieren: Den Umwelt- und Naturschutz hätten die Grünen nicht für sich gepachtet, sagt er in einem Interview mit der "Bild am Sonntag".
Der Klimaschutz polarisiert auch bei den Landtagswahlen im Osten. Dort sorgen aber vor allem die Wahlerfolge der AfD für Aufsehen, die den menschlichen Einfluss auf das Weltklima anzweifelt.
In Brandenburg und Sachsen legen sowohl die Öko-Partei als auch die AfD deutlich zu. In Thüringen dagegen müssen sich die Grünen mit 5,2 Prozent in den Landtag zittern.
Kritik an Paket der Bundesregierung
Mehrere deutsche Städte und sogar das EU-Parlament rufen 2019 den "Klimanotstand" aus – Kritiker wie der CDU-Politiker Peter Liese sprechen allerdings von "effekthaschender Symbolpolitik".
Im Kontrast zur grossen Aufmerksamkeit für das Thema steht auf jeden Fall die politische Umsetzung. Am 20. September legt die Grosse Koalition nach einer Nachtsitzung ihr Klimaschutzpaket vor.
Für das Klimagas CO2 soll ein Einstiegspreis von zehn Euro pro Tonne eingeführt werden. Die Reaktionen fallen nicht nur bei Opposition und Umweltschutzverbänden negativ aus – selbst das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft hält die Massnahmen für unzureichend.
Weil die Grünen über den Bundesrat Teilen des Pakets zustimmen müssen, bessert die Bundesregierung im Dezember nach: Der CO2-Preis soll nun 25 statt zehn Euro betragen, die Bürger im Gegenzug bei den Strompreisen entlastet werden.
Enttäuschender Gipfel in Madrid
Auch die Europäische Union ernennt den Klimaschutz zur Priorität. Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will Europa bis zum Jahr 2050 klimaneutral machen.
Allerdings sehen längst nicht alle Politiker auf der Welt Handlungsbedarf: Staaten wie die USA, Australien und Brasilien wollen ihr Wirtschaftswachstum durch Klimaschutz nicht gefährden.
Die Weltklimagipfel in Madrid endet am 15. Dezember mit einem Minimalkompromiss – viele Teilnehmer zeigen sich enttäuscht.
Umweltministerin Svenja Schulze schreibt auf Twitter: "Leider werden die Ergebnisse der Weltklimakonferenz den dringend nötigen Fortschritten beim Klimaschutz nicht gerecht."
Dass sich die Umsetzung schwierig gestaltet, zeigt auch der Kohleausstieg. Den viel gelobten Kompromiss aus dem Januar hat die Politik bisher nicht in Gesetzesform gebracht.
Führende Wirtschaftsverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisieren, die Bundesregierung kümmere sich zu wenig um die Strompreise. Und Greenpeace ärgert sich, dass noch immer kein Gesetz zum Kohleausstieg vorliege: Eigentlich habe die Bundesregierung es für den vergangenen November versprochen.
Quellen:
- Deutsche Presse-Agentur (dpa)
- Europäisches Parlament: 2019 European election results
- Greenpeace.de: Gegenwind bei Kohle
- Handelsblatt.com: "Völlig unambitioniert", "Mogelpackung": Das sind die Reaktionen auf das Klimapaket
- Rezo: Die Zerstörung der CDU
- Twitter-Account des Bundesumweltministeriums
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