• Die Klimakonferenz im schottischen Glasgow ist vorbei, zwei Wochen lang haben knapp 200 Staaten über die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens verhandelt.
  • Lebt das 1,5 Grad-Ziel noch und bringt eine Klimakonferenz ohne die Anwesenheit von Russland-Chef Putin und dem chinesischen Staatsoberhaupt Xi Jinping überhaupt etwas?
  • Klimaforscher Prof. Dr. Reimund Schwarze war vor Ort. Wir haben ihn interviewt.
Ein Interview

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Zwei Wochen lang haben 197 Nationen auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow über die weitere Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 verhandelt. Herr Schwarze, Sie waren dabei. Welche Erkenntnisse haben Sie mitgenommen?

Prof. Dr. Reimund Schwarze: Eindeutig: Dass die Welt bereit ist, in einen neuen Modus der Ambitionserhöhung einzusteigen. Vieles, was bislang noch ausserhalb des Verhandlungsprozesses war, wird nun zum Verhandlungsgegenstand. Denn die Welt hat anerkannt: Der bisherige Pfad über die UN ist zu langsam, um den Notwendigkeiten des beschleunigten Klimawandels zu entsprechen. Deshalb werden neue Mechanismen eingeführt und ein vorgeschalteter "World Leaders Summit", also ein Staatsoberhäupter-Treffen, zur Routine gemacht.

Das 1,5-Grad-Ziel des Pariser-Klimaabkommens lebt also noch? Davon sind die teilnehmenden Länder doch immer noch ziemlich weit entfernt...

Ja, das Ziel bleibt. Als diplomatische Sonderinitiative wurde von den USA und China auch noch einmal ausdrücklich betont, dass wir das 1,5-Grad-Ziel immer noch in Reichweite haben müssen, was immer wir tun. Das ist ein sehr wichtiges Signal von den zwei grössten Emittenten und Weltmächten.

Die Präsidenten von Russland und China, Wladimir Putin und Xi Jinping waren nicht vor Ort. Damit fehlten Chefs zweier Länder, die zu den grössten Treibhausgas-Emittenten der Welt gehören. Bringt eine Klimakonferenz ohne sie überhaupt etwas?

Ich sehe das nicht so kritisch, schliesslich gab es Sonderinitiativen mit China und es wurden trotzdem hochrangige Verhandlungschefs geschickt. China war also nicht ganz abwesend! Russland hat immer schon eine etwas zurückhaltende Position eingenommen. Es hat beispielsweise acht Jahre gedauert, bis die Vorgaben des Kyoto-Protokolls zum Treibhausgasausstoss in Russland verabschiedet wurden. Russland ist bekannt als Zauderer und Zögerer. Immerhin haben sich aber alle auf der G20-Konferenz zum Netto-Nullziel bis 2050 bekannt, dazu gehört auch Russland, auch wenn Putin nur virtuell dabei war. Manche Länder, wie etwa auch Indien, geben sich zwar bis 2070 noch 20 Jahre länger, aber im Prinzip haben alle das Ziel anerkannt und keiner stellt mehr in Frage, dass es einen Zeitpunkt rund um die Jahrhundertwende geben muss, wo wir alle klimaneutral wirtschaften.

Aber wie soll das funktionieren? Beispielsweise haben sich Dutzende Staaten auf Initiative der EU und der USA nun in Glasgow zu einem geringeren Methanausstoss verpflichtet. Bis 2030 soll er um mindestens 30 Prozent im Vergleich zu 2020 sinken. Indien, China, Russland und Australien stehen allerdings nicht auf der Liste. Wie einflussreich ist eine solche Initiative ohne die genannten Länder?

Die Initiativen, die wir nun auf der Klimakonferenz erlebt haben und die wir mehr und mehr in Zukunft erleben werden, werden längst nicht mehr von 200 Staaten mitgetragen. Ein neuer Modus wird zur Routine: ambitionierte Beschlüsse der Willigen. Es wird dabei immer mehr Vorstösse aus dem vorgeschalteten Staatschef-Gipfel geben – mal mit mehr, mal mit weniger Teilnehmern. Die Initiativen sind dabei unterschiedlich wirkmächtig. Bei der Initiative für ein Enddatum für den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotor haben sich nur 24 Staaten angeschlossen, beim Methan-Pakt sind mehr als 100 dabei. China hat sich immerhin in der "joint declaration" mit den USA zu Massnahmen zur signifikanten Methanreduktion bekannt.

Was bedeutet das?

30 Prozent weniger Methan bis 2030 tut niemandem richtig weh. Hätte man jetzt höhere Ziele verordnet, wie es von der unabhängigen Wissenschaft gefordert wird, wäre es um mehr gegangen als das Stopfen von Lecks in der Gasinfrastruktur. So sind es sogenannte "tiefhängende Früchte" – leicht zu pflücken. Der Preis für 90 Prozent aller jetzt beschlossenen Massnahmen liegt bei 25 US-Dollar pro Tonne. Das ist nur halb so viel, was eine Tonne CO2 heute schon im normalen Emissionshandel in Europa kostet. Selbst, wenn sich jetzt also nicht alle Länder hinter das Ziel gestellt haben, kann man aufgrund der ökonomischen Vorteilhaftigkeit der Aberntung tiefhängender Früchte damit rechnen, dass auch Russland, China und Australien sich irgendwann dahinter stellen.

Klimakonferenz in Glasgow: "Unbeobachtete Geheimdiplomatie"

Konnte man in Glasgow merken, wer die Player sind, die den Klimaschutz wirklich vorantreiben?

Wichtig ist zu wissen: Die Staatsoberhäupter-Initiative funktioniert anders als der UN-Prozess nicht dokumentgetragen, man kann ihn dadurch nicht gut nachvollziehen – diesmal war es fast eine Art unbeobachtete Geheimdiplomatie. Zuletzt trat zum Beispiel Dänemark in Koalition mit anderen Ländern nach vorn und forderte nicht nur einen Kohleausstieg, sondern auch einen Ausstieg aus Öl und Gas. Das hat nicht einmal die britische Präsidentschaft, die jetzt eigentlich als Gastgeber in der Bringschuld ist und Musterschüler sein müsste, unterschrieben. An den Initiativen, bei denen sich wenige anschliessen, kann man ablesen, wer die Länder mit wirklicher Vorreiterrolle sind. Dazu zählen zum Beispiel Dänemark, die Niederlande, aber auch Chile.

Welche Bilanz ziehen Sie insgesamt?

Die Konferenz hat meine Erwartungen definitiv übertroffen. Auf einer Skala von 1 bis 10 sind wir sicher bei einer 7 oder 8. Grund dafür ist vor allem die neue Mechanik zum Voranbringen der Ambitionserhöhungen. Der Weg, bei dem es auch bei Details im Vorfeld eine jahrelange Vorbereitung durch Unterhändler gab, wird endlich verlassen. So kann man aus dem Schneckentempo herauskommen. Denn wir können uns kein Schneckentempo mehr erlauben - nach den Berichten der Wissenschaft brennt es auf der Welt.

Über den Experten: Prof. Dr. Reimund Schwarze arbeitet am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Europäische und internationale Klimapolitik, Ökonomische Fragen der Klimaanpassung, Management von Naturgefahren sowie Umwelthaftung und Versicherung.
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