Das Konzert in Chemnitz hat alle Erwartungen gesprengt. Zehntausende kamen in die sächsische Stadt und feierten unter dem Motto "#wirsindmehr" zu Bands wie die Toten Hosen oder Kraftklub. Zwei Gegenkundgebungen wurden zuvor untersagt. Die Veranstaltung begann mit einer Schweigeminute.
Bei einem Konzert zahlreicher Musik-Stars haben sich in Chemnitz Zehntausende Besucher gegen Ausländerfeindlichkeit und rechtsextreme Gewalt stark gemacht. Unter dem Motto "#wirsindmehr" spielten am Montagabend Bands wie die Toten Hosen, Kraftklub und die Rapper
Stadt untersagt Demonstrationen
Vor dem Konzert hatte die Stadt Chemnitz zwei Kundgebungen gegen das Konzert untersagt. Die fremden- und islamfeindliche Thügida wollte sich in unmittelbarer Nähe zum Veranstaltungsgelände unter dem Motto "Gegen antideutsche Kommerzhetze" versammeln.
Begründet wurde die Absage damit, dass die Veranstaltungsfläche bereits belegt sei. Mit dem gleichen Argument wurde auch eine Kundgebung von Pro Chemnitz erneut vor dem Karl-Marx-Monument untersagt.
Mobilfunknetz und Nahverkehr überlastet
Die Infrastruktur von Chemnitz hatte angesichts des Ansturms der Konzertbesucher streckenweise schlapp gemacht. Nach Polizeiangaben war das Mobilfunknetz im Bereich der Veranstaltung zum Teil überlastet. "Bitte stellen Sie sich auf die Situation ein", forderte die Polizei via Twitter auf.
Auch der öffentliche Nahverkehr wurde im Stadtzentrum eingestellt. Zudem warnte die Polizei vor überlasteten Zügen. Allein aus Leipzig seien etwa 5000 Menschen per Bahn nach Chemnitz angereist. Für die Rückreise stünden am Abend aber nur drei Züge für jeweils maximal 800 bis 1000 Fahrgäste zur Verfügung.
Bands wollen Zeichen setzen ...
Das Konzert begann mit einer Schweigeminute für den am 26. August bei einer Messerattacke in der sächsischen Stadt getöteten Deutschen.
Kraftklub-Sänger Felix Brummer sagte vor Beginn des Open Airs: "Wir sind nicht naiv. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass man ein Konzert macht und dann ist die Welt gerettet." Aber manchmal sei es "wichtig, zu zeigen, dass man nicht allein ist".
... und kassieren "immense Shitstorms"
Die am "#wirsindmehr"-Konzert am Abend in Chemnitz beteiligten Bands sind laut
"Man muss schon ein dickes Fell haben, um zu sagen: Ich gehe trotzdem nach vorne", sagte Campino. Er freue sich, dass seine Band "kurz vor der Rente" für das Open-Air-Konzert gegen Rassismus und rechte Hetze angefragt worden sei.
Schlimme Erinnerungen kommen hoch
Der Rapper Marteria (35) sagte, er fühle sich durch die Vorkommnisse in Chemnitz an die fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen erinnert. Er habe damals 1992 in Rostock gewohnt und es sei ein unfassbar schlimmer Moment für ihn gewesen. Genau wie damals in Rostock habe sich jetzt in Chemnitz etwas aufgebauscht. Er solidarisiere sich mit den Menschen, die sich dagegenstellen.
Er selbst habe jahrelang damit zu kämpfen gehabt, dass Rostock als "Nazi-Stadt" abgestempelt gewesen sei. "Wir haben ganz, ganz lange in Rostock dafür gekämpft, dass sich das Bild ändert." Deswegen habe er auch für das "#wirsindmehr"-Konzert in Chemnitz zugesagt. "Mir geht es darum, dass die Leute, die aus Sachsen, aus Chemnitz sind, auch sagen können: 'Hey, ich bin aus Chemnitz', ohne dass gesagt wird: 'Ah, musst Du also ein Nazi sein.' "
Steinmeier in der Kritik
Vor dem Open-Air-Konzert kritisierten CDU-Politiker die Unterstützung von Bundespräsident
Denn der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern hatte die teilnehmende Punkband Feine Sahne Fischfilet zeitweise wegen "linksextremistischer Bestrebungen" im Blick, seit längerem jedoch nicht mehr. Sie hatte in einem früheren Lied Gewalt gegen Polizisten verherrlicht. Kramp-Karrenbauer erklärte: "Was wir wollen, ist, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat gegen Rechts zu schützen. Und wenn man das dann mit denen von Links tut, die genau in der gleichen Art und Weise auf Polizeibeamte verbal einprügeln (...), dann halte ich das für mehr als kritisch."
AfD unter Druck
Der gemeinsame Demonstrationszug von AfD und Pegida gibt der Debatte über eine Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz neue Nahrung. Davon unabhängig nehmen der niedersächsische und der Bremer Verfassungsschutz jetzt den AfD-Nachwuchs ins Visier. "Den entsprechenden Antrag habe ich heute früh unterschrieben", sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) am Montag. Der Bremer Senat teilte am Montag mit, die Junge Alternative (JA) werde seit der vergangenen Woche beobachtet.
Pistorius erklärte, die JA sei eine verfassungsfeindliche Organisation mit repressiver, autoritärer und anti-pluralistischer Zielsetzung. Es gebe erhebliche ideologische und personelle Überschneidungen mit der rechtsextremen Identitären Bewegung in Niedersachsen, die seit 2014 beobachtet wird. Die Entscheidung habe aber nichts mit den Ereignissen in Chemnitz zu tun.
JA-Chef will dagegen vorgehen
Der Bundesvorsitzende der Jungen Alternative, Damian Lohr, kündigte rechtliche Mittel dagegen an. Dennoch habe der Bundesvorstand am Montag die Einberufung eines Bundeskongresses beschlossen, der über die Abgliederung der beiden Landesverbände - was einer Auflösung gleichkäme - entscheiden solle. "Folgt die Organisation meinem Antrag auf Abgliederung dieser Landesverbände nicht, stehe ich als Vorsitzender der JA nicht mehr zur Verfügung", kündigte Lohr an.
Parteivizechef Kay Gottschalk sagte: "Rechtsradikale Tendenzen sind in keinster Weise in der JA, noch in der AfD, zu dulden." Er fügte hinzu: "Sollte den Schiedsgerichten es nicht gelingen, solche Personen aus der JA zu entfernen, muss notfalls der JA der Status der offiziellen Jugendorganisation aberkannt werden."
Bislang keine Anzeichen für "Hetzjagden"
Im Zusammenhang mit den Protesten und Demonstrationen in Chemnitz gibt es bisher 51 Ermittlungsverfahren. Meist sind die Täter unbekannt, wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden mitteilte. Es gehe um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wie den Hitlergruss, Körperverletzungsdelikte, Verdacht des Landfriedensbruchs, Beleidigung sowie gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr durch Blendung von Polizeihubschrauber-Piloten.
Für Hetzjagden etwa auf Ausländer, vor denen Politiker gewarnt hatten, hat die Generalstaatsanwaltschaft nach bisherigem Zwischenstand keine Erkenntnisse. "Wir sichten das Material und sind mittendrin. In dem Teil, in dem wir bereits gesichtet haben, wurden keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass es solche Hetzjagden gegeben haben könnte", sagte das Sprecher. Unter anderem hatten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Aussenminister Heiko Maas (SPD) nach den Auseinandersetzungen von Chemnitz vor "Hetzjagden" gewarnt. (sg/dpa)
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