Prominente Unterstützer auf der einen, scharfe Kritiker auf der anderen Seite: Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel spaltet die Nation – und die Bundesregierung. Gefährdet die Kanzlerin mit ihrer Haltung ihr Amt?

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Liebesbriefe und Hassbotschaften - Angela Merkel bekommt derzeit vermutlich beides. Mit ihrem viel beachteten Satz "Wir schaffen das" hat sich die Kanzlerin ungewohnt klar positioniert und wiederholte ihn auch im Interview mit Anne Will noch einmal deutlich.

"Sie wollte die Bevölkerung mitnehmen", glaubt der Politikwissenschaftler Hendrik Träger. Die Botschaft: "Wir in einem so starken Land wie Deutschland haben die Kraft, das zu schaffen." Die Kanzlerin habe sich aber bei Anne Will auch verteidigen müssen: "Sie hat in aller Öffentlichkeit Teile der eigenen Partei gegen sich. Das ist eine Situation, in der sie in den vergangenen zehn, 15 Jahren nie war."

Nach Ansicht des Parteienforschers setzt Merkel ihre Macht aufs Spiel. Ihr müsse es nun gelingen, sich sowohl in der Union als auch bei der Bevölkerung durchzusetzen.

Wenn die Skeptischen noch skeptischer werden

Die weitere Entwicklung hänge auch davon ab, wie viele Flüchtlinge noch kommen. "Das Engagement der Hilfsbereiten kann irgendwann nachlassen und die Willkommensbereitschaft schwinden", warnt der Politikwissenschaftler. Auf der anderen Seite könnten die ohnehin Skeptischen noch skeptischer werden.



Es ist zwar nicht das erste Mal in Merkels Regierungszeit, dass sie von dem klassischen Kurs der Union abweicht. Doch andere kontroverse Themen wie der Atomausstieg oder die Abschaffung der Wehrpflicht waren nur kurzzeitig im Fokus der medialen Aufmerksamkeit.

Die Flüchtlingsfrage wird uns dagegen noch die nächsten Monate und Jahre beschäftigen, weist Träger hin: "Wir stehen jetzt erst ganz am Anfang." Deswegen kann Merkel die Situation auch nicht einfach aussitzen.

Es ist zudem ein Thema, das die Menschen bewegt und sie auch viel stärker betrifft als beispielsweise eine Wehrreform. Vor allem, wenn es um die Aufteilung und langfristige Unterbringung von Asylbewerbern und Asylberechtigten in Wohnungen geht. "Die sozial Schwachen konkurrieren mit ihnen um günstigen Wohnraum", sagt Träger.

Bestrafen die Wähler Angela Merkel bei der Bundestagwahl 2017?



Zudem kennen gerade in Ostdeutschland die Menschen das Zusammenleben mit Migranten noch kaum. Auch deswegen sind Vorbehalte und Ängste noch stärker verbreitet als im Westen. Rechtspopulistische Parteien wie die AfD können das für sich ausschlachten, wenn sie die Ressentiments und Proteste für sich nutzen und noch weiter verstärken. "Für die Union könnte das bei den kommenden Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl 2017 deutliche Verluste zur Folge haben", meint Träger. Merkel gefährdet mit ihrer Flüchtlingspolitik also auch ihre Kanzlerschaft.

Damit zeigen sich Parallelen zu Gerhard Schröders zu Beginn heftig umstrittener Hartz IV-Reform. Die meisten Beobachter sehen die Agenda 2010 als eine wichtige Grundlage für die derzeit niedrige Arbeitslosigkeit in Deutschland, trotz der Wirtschaftskrise in Europa. "Der Erfolg stellte sich jedoch erst spät ein; die politisch Verantwortlichen hatten nichts mehr davon, weil sie zwischenzeitlich abgewählt worden waren", hält Parteienforscher Träger fest. Die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel könne ebenso positive Auswirkungen haben. "Doch das wissen wir wahrscheinlich erst in zehn Jahren. Dann könnte es für die Kanzlerin zu spät sein."

Die Union hat keine Alternative

Einen grossen Trumpf hat Angela Merkel dennoch: Es gibt derzeit keinen geeigneten Kandidaten in der Union, der ihr Nachfolger an der Parteispitze und im Kanzleramt werden könnte. Ihr momentan grösster Gegenspieler, CSU-Chefpolterer Horst Seehofer, interessiert sich vor allem für seine bayerischen Wähler.



Merkels Absturz in den Umfragewerten ist ja nur deswegen bemerkenswert, weil sie zuvor aussergewöhnlich beliebt war. Auch jetzt hat sie noch immer eine Zustimmung von 54 Prozent im ARD-DeutschlandTrend. "Andere Kanzler wie Kohl oder Schröder hätten sich danach die Finger geleckt", meint Träger.

Auch die guten Umfrageergebnisse der Union seien nach wie vor insbesondere auf die Kanzlerin zurückzuführen. Sie hat einen "Riesen-Vertrauensbonus in der Bevölkerung", sagt der Politikwissenschaftler. "Dieses Vertrauen kann Merkel nutzen, um in der Flüchtlingspolitik zu agieren." Ein möglicher Nachfolger müsste sich das erst erarbeiten.

Dr. Hendrik Träger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Politikwissenschaft der Universität Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte sind Parteienforschung und Landespolitik.
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