Sie steigen und steigen: Die Prämien für die Krankenversicherung. Dies wird auch 2019 nicht anders. Zwar fällt der Anstieg mit 1,2 Prozent moderater aus als in den letzten drei Jahren. Trotzdem: Die Explosion der Gesundheitskosten in der Schweiz ist dadurch keineswegs gebremst.

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Sie kommen wie das Amen in der Kirche: Die bad news jedes Jahr Ende September betreffend Entwicklung der Gesundheitskosten. Überbringer ist das Bundesamt für Gesundheit (BAG).

Denn daran gekoppelt sind die Prämien für die obligatorische Grundversicherung, die alle Bewohnerinnen und Bewohner in der Schweiz bei einer Krankenkasse abschliessen müssen.

Die Jahresprämien steigen im nächsten Jahr im Schnitt um 1,2 Prozent. Damit hat sich der Anstieg gegenüber den Vorjahren etwas abgebremst. Nur: das Abbremsen ist zum Teil auf ein neues Kalkulationssystem zurückzuführen. Dieses stellt auf das durchschnittliche Wachstum aller Prämien ab.

Nach der bisherigen Methode hätte der Anstieg 2,7 Prozent betragen. Damit wäre die tiefe Inflationsrate gleich weg gewesen.

Entlastung der Jungen

Eine gute Nachricht aber gibt es doch noch: Für junge Menschen zwischen 18 und 26 Jahren sinken die Prämien 2019. Der Grund dafür ist aber ein schlicht politischer: Das Parlament entschied, spezifisch die Jungen zu entlasten.

Unter dem Strich belastet auch der abgeschwächte Anstieg die meisten Versicherten. Seit Einführung der obligatorischen Krankenversicherung sind die Prämien im Schnitt um rund 4,5 Prozent jährlich gestiegen. Im Jahr 1996 betrug eine Standardversicherung – mit einer ordentlichen Franchise sowie Unfalldeckung – im Mittel 170 Franken pro Monat für einen Versicherten über 26 Jahren.

Heute hingegen kostet das Gleiche mehr als 450 Franken. Mehr als ein Viertel der Versicherten erhält Prämienverbilligungen.

Löhne halten nicht Schritt

Die rasant steigenden Krankenkassenprämien widerspiegeln die Explosion der Gesundheitskosten in der Schweiz. In den letzten 20 Jahren haben sich die Gesundheitsausgaben verdoppelt, von 37,5 Milliarden Franken im Jahr 1996 auf über 80 Milliarden im Jahr 2016.

Dieser Anstieg ist deutlich überproportional zur Entwicklung des Bruttoinlandprodukts (BIP) sowie der Löhne im gleichen Zeitraum, wie der folgenden Grafik zu entnehmen ist.

Die Explosion der Gesundheitskosten ist zu einem guten Teil der demographischen Entwicklung geschuldet. Noch vor 20 Jahren betrug die Lebenserwartung 82 Jahre für Frauen und 75 Jahre für Männer, während sie heute auf über 85 Jahre für Frauen und 81 Jahre für Männer gestiegen ist.

Die Alterung der Bevölkerung hat erhebliche Auswirkungen auf die Kosten, da ältere Versicherte verstärkt medizinische Leistungen in Anspruch nehmen.

Viele Faktoren am Drehen der Schraube beteiligt

Das starke Wachstum der Gesundheitsausgaben ist aber auch auf eine Reihe anderer Faktoren zurückzuführen. Dazu gehört das hohe Niveau der medizinischen Versorgung, die weltweit zu den besten gehört.

Aber auch der hohe Lebensstandard in der Schweiz, der Pharmaunternehmen und andere Anbieter von Gesundheitsleistungen dazu verleitet, in der Schweiz höhere Preise zu verlangen als anderswo.

Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat die Schweiz nach den USA weltweit die zweithöchsten Gesundheitsausgaben im Verhältnis zum BIP.

Der Kostenanstieg betrifft praktisch alle Bereiche. Zum Beispiel stiegen die Kosten für Arztbesuche zwischen 2010 und 2015 um 31,6 Prozent - obwohl die Zahl der Konsultationen in diesem Zeitraum nahezu gleichgeblieben ist. Bei den stationären Behandlungen in Spitälern stiegen die Kosten um 23 Prozent, was vor allem auf den Anstieg von Patienten über 70 Jahren zurückzuführen ist.

Die Kosten für ambulante Behandlungen in Spitälern stiegen um 30 Prozent. Im Jahr 2016 (neuste Daten) verteilten sich die Kosten im Gesundheitswesen folgendermassen:

Der Anstieg der Kosten ist auch auf die Unfähigkeit der Politik zurückzuführen, eine Reform des Gesundheitssystems auszuarbeiten, die im Parlament und beim Volk eine Mehrheit finden würde.

Marktmacht vs. Konsumenten

Die Suche nach einem Kompromiss wird durch die Vielzahl der Interessengruppen und den starken Einfluss der verschiedenen Lobbys im Parlament behindert. Bei keiner anderen Branche gibt es so viele Parlamentarier und Parlamentarierinnen mit Verbindungen zu Unternehmen, Versicherungen, Verbänden etc., wie im Gesundheitswesen…

Seit Jahren – und auch in dieser Herbstsession – beschränken sich die Parlamentarier darauf, marginale Änderungsvorschläge zu unterbreiten, welche die Grundprobleme im Gesundheitswesen nicht lösen können.

Ein Fall für die Volksrechte

Hingegen nehmen Volksinitiativen zu diesem Thema zu: Zwei wurden bereits vergangenes Jahr lanciert, darunter die Volksinitiative "Für ein von den Krankenkassen unabhängiges Parlament". Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP, mitte-rechts) und die Sozialdemokratische Partei (SP, links) haben weitere Volksinitiativen angekündigt.

Die Regierung ihrerseits hat vor wenigen Tagen ein neues Massnahmenpaket zur Eindämmung der Gesundheitskosten in die Konsultation geschickt. Sie verlangt insbesondere eine Senkung der Arzneimittelkosten, indem Referenzpreise für Medikamente mit abgelaufenen Patenten eingeführt und die Leistungserbringer verpflichtet werden, den Versicherten zur besseren Kontrolle eine Kopie jeder Rechnung zu schicken.

Es bleibt jedoch fraglich, ob diese Vorschläge und Initiativen die Zustimmung von Parlament und Stimmvolk finden. In den letzten 20 Jahren hat die Stimmbevölkerung fünf Initiativen über das Gesundheitswesen abgelehnt, ebenso einen Gegenvorschlag sowie eine Änderung des Gesetzes über die obligatorische Krankenversicherung.

Übertragung aus dem Italienischen: Sibilla Bondolfi

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