Mehr als ein Jahrzehnt, nachdem Syriens Machthaber Bashar Al-Assad Proteste gegen ihn und seine Regierung blutig niedergeschlagen hat, versinkt das Land im Drogensumpf. Einer der grössten Profiteure: der Diktator selbst.
"Ich wollte einfach nur vergessen. All das Elend und alles, was ich verloren habe", sagt der Syrer Ahmad, dessen Name redaktionell geändert wurde. Er wünscht Anonymität. Denn um zu vergessen, griff er zu verbotenen Mitteln. Jahrelang war er abhängig von der synthetischen Droge Captagon. Wie ihm geht es vielen im kriegsgebeutelten Syrien. Es ist eine der zahllosen Folgen des Krieges, der am 15. März seit nunmehr 13 Jahren wütet.
Der Konflikt in Syrien hatte im Frühjahr 2011 mit Protesten gegen die Regierung von Machthaber Bashar Al-Assad begonnen. Die Regierung ging mit Gewalt dagegen vor. Heute ist das Land gesplittet. Assad kontrolliert inzwischen wieder zwei Drittel des Landes. Der Nordwesten ist unter Kontrolle von Oppositionskräften. Eine politische Lösung für den Konflikt ist bis heute nicht in Sicht.
Drogenkonsum fast verdreifacht
"Die illegale Drogenproduktion und der Handel damit waren schon immer Teile des "Syrienkonflikts"", sagt Saher Sahlul, Direktor der in den USA ansässigen Nichtregierungsorganisation MedGlobal, die Menschen in Katastrophenregionen Zugang zur Gesundheitsversorgung ermöglicht. Während lange Zeit vor allem der Drogenhandel aus Syrien heraus international an Aufmerksamkeit gewonnen habe, sei der Drogenkonsum unter Syrern oft ausser Acht gelassen worden. Laut einer Studie von MedGlobal hat sich dieser seit Ausbruch des Krieges fast verdreifacht.
Mehr als 80 Prozent der drogenabhängigen Syrer seien männlich. Ein Grossteil davon sei nicht einmal 30 Jahre alt. Verbreitet sei der Konsum in allen Gebieten: Rund 50 Prozent der Konsumenten lebten in den Oppositionsgebieten im Nordwesten des Bürgerkriegslands, rund 20 Prozent in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, und 30 Prozent lebten im Asyl im Ausland. Syrien selbst gelte der Studie zufolge als das Land mit der höchsten Zahl an Drogenabhängigen in der arabischen Region.
Drogenkonsum gegen die Schmerzen
Die Gründe für den Drogenmissbrauch unter Syrern sind vielfältig: Viele der Kämpfer und Soldaten Assads nutzen sie laut Sahlul als Stimulanzien. Besonders unter hochrangigen Offizieren sei der Konsum weit verbreitet. Verwundete im Krieg nutzen die Drogen vor allem, um Schmerzen zu unterdrücken. Der generelle Mangel an Medikamenten im Land lasse den Menschen oft keine andere Wahl. Hinzu komme der einfache Zugang: "Das Aufblühen des Drogenhandels und seiner lokalen Herstellung hat dazu geführt, dass Drogen ausreichend verfügbar und günstig zu erwerben sind", so Sahlul. Viele wollten der Realität entfliehen.
Auch die verheerende wirtschaftliche Lage trage zur Verbreitung bei. "Armut ist ein Faktor, der den Drogenkonsum begünstigt", sagt der MedGobal-Direktor. Besonders arme Viertel mit schutzbedürftigen Gruppen seien zum Ziel von Drogenhändlern geworden. Insbesondere Teenager und Witwen würden auf diese Weise ausgenutzt.
Assads Drogenimperium: Milliardengeschäft und Kriegswaffe
Wie aus dem Weltdrogenbericht 2023 hervorgeht, ist Captagon die meistgenutzte stimulierende Droge im Bürgerkriegsland. Laut MedGlobal sind auch der Konsum von Cannabis und Drogen wie Kokain weit verbreitet. Captagon ist die Droge, die das Regime in Damaskus aufrechterhält, wie es heisst. Der weltweite Handel mit den Amphetamin-Tabletten zählt den Angaben nach zu den Haupteinnahmequellen der syrischen Regierung.
Internationale Ermittler halten Syrien mittlerweile für einen der weltweit grössten Hersteller der Droge. 80 Prozent des weltweiten Captagon-Angebots werden demnach in Syrien hergestellt. Beteiligt am Schmuggel sind den Angaben zufolge Menschen aus dem engsten Kreise Assads und Anführer der libanesischen Hisbollah. Deren Miliz kämpft im syrischen Bürgerkrieg an der Seite der Regierungstruppen.
Die syrische Regierung nutzt die Drogen und den Handel damit laut Oppositionskräften im Nordwesten Syriens auch als Kriegswaffe. "Das syrische Regime und seine verbündeten Länder wie der Iran und seine Milizen, die Drogen in den Nordwesten Syriens schmuggeln, versuchen systematisch, die Gesellschaft zu zerstören", sagt Chaled Al-Asaad, der Direktor der von der Opposition kontrollierten Militärpolizeibehörde in Nordwestsyrien. "Ich glaube, dass der Grund dafür darin liegt, dass das Regime nicht in der Lage war, die Gebiete ausserhalb seiner Kontrolle mit Waffengewalt zu erobern."
Im Nordwesten Syriens gibt es nur eine Klinik, die Drogenabhängige beim Entzug unterstützt. Hier ist auch der Captagon-Abhängige Ahmad gelandet. Seit einem Jahr lässt er sich hier behandeln. "Ich bin froh, dass ich hier hergekommen bin. Ich empfehle anderen Abhängigen, sich behandeln zu lassen." (dpa/lag)
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