Am vergangenen Wochenende eroberten Rebellen die syrische Hauptstadt Damaskus. Innerhalb weniger Tage war aus einer lokal begrenzten Offensive von Dschihadisten ein Aufstand geworden, der das gesamte Land erfasst hat. In der Folge ist der syrische Machthaber Assad mit seiner Familie nach Moskau geflüchtet, wo ihm mit Wladimir Putin ein Verbündeter Asyl gewährt.

Ein Interview

Über die Auswirkungen des Sturzes von Baschar Al-Assad hat unsere Redaktion mit Russland-Expertin Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik gesprochen.

Mehr aktuelle News

Baschar Al-Assad ist nun mit Familie nach Moskau geflüchtet. Wie eng ist das Verhältnis zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Ex-Machthaber Assad?

Margarete Klein: Sie haben sich öfter getroffen, aber die persönlichen Beziehungen sind hier nicht ausschlaggebend, sondern es geht um Interessen, Reputation und Image. Für Russland ist das Image einer verlässlichen Schutzmacht für seine Verbündeten, die man nicht in die Hände von Gegnern fallen lässt, entscheidend. Das war bereits beim ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch der Fall. Und man zeigt damit auch gegenüber anderen autoritären Herrschern, mit denen Russland verbündet ist, dass man ihnen in Zukunft Zuflucht gewährt gegen mögliche sogenannte farbige Revolutionen.

Über die Gesprächspartnerin:

  • Dr. Margarete Klein leitet die Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Aussen-, Sicherheits- und Militärpolitik Russlands, Russlands Nahost- und Asienpolitik sowie Moskaus Verhältnis zur Nato.

Die russische Luftwaffe ist nur wenig gegen die Rebellen vorgegangen. Hat Putin Assad fallen lassen?

Es ist so, dass die russische Militärpräsenz in Syrien seit der Vollinvasion in der Ukraine reduziert worden ist. Sie beruhte ohnehin primär auf der Luftunterstützung für die Assad-Truppen und pro-iranischen Proxies, während russische Bodentruppen nur sehr begrenzt im Einsatz waren. Bis zum 6. Dezember hat Russlands Luftwaffe noch HTS-Stellungen angegriffen. Als dann aber die syrischen Regierungstruppen de facto kollabierten, war für den Kreml klar, dass Russland Assad nicht mehr militärisch halten kann.

Welche Rolle spielte Assad für Putin?

Er ist der wichtigste Verbündete in der Region gewesen. In den 1990er-Jahren hat sich Russland selbst aus der Region zurückgezogen. Seit Ende der 2000er-Jahre versucht Moskau, in die Region zurückzukehren, als regionale Grossmacht, um über diese Position global ein Pol in der angestrebten multipolaren Weltordnung zu werden. Und da ist der wichtigste Brückenkopf Assad in Syrien gewesen.

Ist es denkbar, dass Putin Assad dabei helfen wird, aus dem Exil eine neue Opposition aufzubauen?

Militärisch wird sich Russland kaum in Syrien so stark engagieren können – schon gar nicht mit Bodentruppen -, um die Entwicklungen der letzten Tage zurückzudrängen. Auch politisch scheint Russland bemüht, ein Übereinkommen mit der HTS zu erreichen. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass Russlands Einschätzung und Einordnung der dschihadistischen HTS sich verändert hat. Bis zum 6. Dezember hat man die HTS als "Terroristen" bezeichnet und jetzt ist von der "Opposition" die Rede. Dahinter steht die pragmatische Einsicht, dass man mit der HTS zu einer Übereinkunft kommen muss, will man die russischen Stützpunkte in Syrien behalten – was momentan Priorität für Russland hat.

Wie wichtig war beziehungsweise ist Syrien als Stützpunkt für Putin und die russische Armee?

Sehr wichtig. Wir haben zum einen die Marinebasis in Tartus und den grossen Militärflughafen in Hmeimim. Für die Marinebasis besteht ein 49 Jahre lang geltender Leasingvertrag von 2015. Die Basis beherbergt sechs Schiffe, darunter auch ein U-Boot. In der Basis befinden sich Reparatureinrichtungen, Logistik- und Nachschubeinrichtungen und ein Spezialkran, um Kalibr-Raketen verlegen zu können. Das ist für Russland einzigartig in der Region. Für den Flughafen in Hmeimim besteht ebenfalls ein 49 Jahre geltender Pachtvertrag seit 2017. Beide Basen – plus zwei kleinere Flugfelder – dienen nicht nur der Absicherung der russischen Präsenz in Syrien, sondern vor allem auch der militärischen Machtprojektionsfähigkeiten im Mittelmeer, Nordafrika, Sahel-Region und Zentralafrika. Ohne die Präsenz in Syrien wird es für Russland schwer, seine militärischen Einsätze in Libyen, Sahel-Region oder der Zentralafrikanischen Republik im bisherigen Umfang fortzuführen. Dafür gibt es keinen Ersatz.

Aktuell wird darüber diskutiert, ob Russland seine Flotte in Libyen stationiert…

Man könnte eine Hafen-Nutzungsvereinbarung mit Chalifa Haftar in Libyen anstreben oder im Sudan, aber das sind dann keine vollwertigen Basen. Es handelt sich dann lediglich um das Nutzungsrecht, aber ohne eigene Logistik-, Reparatur- und Versorgungseinrichtungen.

Das bedeutet, Putin hat ein grosses Interesse daran, mit der neuen syrischen Regierung ein Arrangement hierzu zu treffen?

Wenn er die beiden Basen behalten will und das tut er, dann muss er versuchen, mit der HTS in ein Übereinkommen zu kommen.

Wie sehr schadet Putin der Sturz von Assad?

Wenn man die russischen Medien verfolgt, sieht man, dass diese sehr offen über einen Schockzustand berichten und dass Russland überrascht wurde. Die Niederlage Assads schadet der russischen Position in der Region, weil der wichtigste Verbündete weg ist. Die Beziehungen zum Iran sind viel komplizierter und beinhalten neben gemeinsamen Interessen auch viel Konkurrenz. Zugleich ist der Iran jetzt geschwächter.

Lesen Sie auch

Ist es das Ende der russischen Präsenz in der Region?

Es ist zu früh, um wirklich das Ende zu besingen. Russlands Position ist in der Region aber geschwächt worden. Dazu kommt der Reputationsschaden. Russland hat sich als verlässliche Schutzmacht für seine Verbündeten stilisiert, was nun nicht mehr umgesetzt werden kann. Zudem zeigt der Fall Assads, dass autoritäre Herrschaft manchmal nach aussen stabiler wirkt als sie eigentlich ist.

Kann man bei Assads Niederlage in Syrien sogar von einem Afghanistan für Putin sprechen?

Das ist ein falscher Grössenvergleich. In Afghanistan war die Sowjetunion zehn Jahre lang militärisch präsent mit fast 15.000 toten Soldaten und einer grossen Zahl an Invaliden. Diese gesellschaftlichen Folgekosten hat Russland heute nicht wegen seines Syrien-Engagements, sondern wegen seiner Kriegsführung gegen die Ukraine. Die Zahl der getöteten russischen Soldaten in Syrien ist deutlich geringer. Auch die Zahl der dort eingesetzten Soldaten war geringer, weil Russlands Militärpräsenz primär auf die Luftwaffe fokussierte und nur wenig reguläre Bodentruppen eingesetzt waren. Auch von der innenpolitischen Bedeutung her ist die Niederlage in Syrien geringer. Syrien spielt für die normale Bevölkerung in Russland keine grosse Rolle.

Könnte die Niederlage andersherum auch ein Vorteil sein? Setzt der Abzug der Russen aus Syrien möglicherweise auch Kräfte frei, die in der Ukraine genutzt werden können?

Eher nein. Es gibt in Syrien wenig Bodentruppen, die man in die Ukraine verlegen könnte. Und man muss sie auch erst einmal dorthin bringen. Schon vor dem Fall Assads hat Russland seine Luftwaffenpräsenz in Syrien deutlich reduziert, ungefähr auf ein Viertel. Darüber hinaus haben die Rebellen manche der russischen Waffensysteme erbeutet, darunter wohl ein Pantsir-Luftabwehrsystem, einen Helikopter oder Mehrfach-Raketenwerfer. Wenn Russland zudem seine militärische Präsenz in der Region behalten will, darf es seine verbleibenden Kräfte nicht gänzlich abziehen.

Assad hatte mit der Niederlage in Aleppo vergangene Woche seinen Nimbus als starker Herrscher eingebüsst, das war der Beginn seines Endes. Könnte diese Niederlage in Syrien auch für Putin zum Malus werden, eben weil er nicht der starke Mann ist, als der er sich ausgibt?

Anders als Assad kann Putin sich weiterhin – nach Meinungsumfragen – auf eine hohe Popularität in der Bevölkerung sowie loyale Sicherheitsdienste und Militär stützen. Zwar gibt es auch in Russlands Elite Konflikte, die eskalierten – wie die Wagner-Meuterei oder aktuell der Streit zwischen dem tschetschenischen Präsidenten und dem Chef des Ermittlungskomitees. Aber wir haben keine bewaffneten Machtkämpfe im Inneren.

Zugleich hängt die Popularität von Putin auch davon ab, dass er in der Ukraine erfolgreich ist. Und deswegen kann diese Niederlage in Syrien umso mehr dazu führen, dass Putin sich in der Ukraine schnellstmöglich durchsetzen will. Dies trifft jetzt aber auf eine Perzeption von Schwäche Russlands, die Donald Trump gerade sehr klar angesprochen hat und die der designierte neue US-Präsident nutzen möchte, um Putin zu einer Verhandlungslösung zu bringen, die Trump als Erfolg seiner Aussenpolitik verkaufen kann.

Inwiefern ist die Niederlage Assads ein Sieg des Westens gegen die Achse IranRussland?

Man kann in der Region eigentlich nicht vom Westen an sich sprechen. Es gibt dort primär die USA, die nicht nur diplomatisch, sondern auch militärisch Präsenz zeigen.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.