Seine Kritiker nennen Baschar al-Assad einen Kriegstreiber, seine Befürworter sehen im syrischen Staatspräsidenten eine Chance für Stabilität im Bürgerkriegsland. Im Interview erklärt ein Nahost-Experte, an welcher These mehr dran ist und ob ein Frieden absehbar überhaupt realistisch ist.

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Donald Trump ist für recht exklusive Meinungen bekannt. Auch ein jüngster aussenpolitischer Vorstoss des Kandidaten für die US-Präsidentschaft sorgte für Aufsehen. Der Republikaner meinte, dass es möglich sein müsse, in Syrien auch mit Baschar al-Assad Frieden zu schliessen. Der Staatspräsident werde schliesslich von Russland unterstützt. Im Interview mit unserer Redaktion erklärt der Nahost-Experte Prof. Dr. Günter Meyer von der Universität Mainz, was an der These Trumps dran ist, ob ein Frieden im Bürgerkriegsland aktuell überhaupt realistisch ist und welche Rolle die USA spielen.

Herr Meyer, ist Frieden in Syrien absehbar realistisch?
Prof. Dr. Günter Meyer: Ein Frieden in Syrien ist auf absehbare Zeit höchst unwahrscheinlich. Sie haben auf der einen Seite das Regime, das von Russland und Iran unterstützt wird. Das Regime setzt auf die Eroberung des Ostteils von Aleppo. Jedoch kontrolliert diesen Teil von Aleppo die Nusra Front, der Ableger von Al-Kaida, gemeinsam mit anderen dschihadistischen Extremisten. Wir hören ständig davon, dass die Zivilbevölkerung von den Russen und dem Regime zerbombt wird. Es ist aber keine Rede davon, dass die Dschihadisten die Waffenruhe von Anfang an abgelehnt haben und die Zivilbevölkerung als menschliches Schutzschild missbraucht wird. Die Scharfschützen der Dschihadisten verhindern, dass sich die Einwohner im belagerten Ost-Aleppo über die von den Russen geöffneten Korridore in Sicherheit bringen können. Wir hören immer nur von bösen Russen. Von den bösen Extremisten der al-Qaida ist keine Rede.

Wenn wir von dschihadistischen Extremisten reden, sprechen wir von unvereinbaren ideologischen und religiösen Standpunkten oder nicht?
Die Dschihadisten geben für ihren Kampf religiöse Motive an. Sie wollen in Damaskus und Syrien ein islamistisches Regime etablieren, um danach die restliche arabische Welt bis einschliesslich Europa zu erobern. Allen anderen religiösen Gruppen, von denen die ideologischen Anforderungen der Dschihadisten nicht erfüllt werden, droht Tod oder Vertreibung. Das säkulare Assad-Regime wehrt sich mit russischer und iranischer Unterstützung gegen die Machtübernahme durch die religiösen Extremisten und will die Kontrolle über das Land zurückerobern. Eine Niederlage der von den USA unterstützten Rebellen in Ost-Aleppo wäre für Präsident Barack Obama eine riesige Demütigung. Deswegen setzt Washington alles daran, um das mit militärischen und propagandistischen Mitteln zu verhindern.

Klingt bedenklich.
Nehmen wir die Eroberung der nördlich von Aleppo gelegenen Stadt Manbij, ein strategisch wichtiges Zentrum des sogenannten Islamischen Staates. Zwei Monate lang bombardierte die US-geführte Allianz diese IS-Hochburg, ohne Rücksicht auf die dort lebenden etwa 50.000 Zivilisten, die als menschliche Schutzschilde von den Dschihadisten genutzt wurden. Dass dabei unter anderem eine klar erkennbare Grosswohnanlage von den Amerikanern bombardiert wurde, 95 Menschen getötet und zahlreiche andere verletzt wurden, war für die meisten Medien kein Thema.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, eine Partnerin der USA, zeigt sich derweil öffentlichkeitswirksam mit Putin, um zu zeigen, dass sie auf den Frieden hinwirkt.
Deutschland muss einerseits bündnistreu gegenüber den USA argumentieren. Andererseits versucht die Kanzlerin, die Spannungen zu Russland nicht noch weiter zu verschärfen. Nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen hat Deutschland kein Interesse daran, dass harte Sanktionen gegen Russland durchgesetzt werden. Deutsche Unternehmen haben viele Milliarden Euro in Russland investiert.

Versucht der Westen nicht vielmehr zu kitten, was er davor versäumt hat?
So wird von denjenigen argumentiert, die einen verschärften Militäreinsatz wollen. Das wäre nicht nur ein klarer Verstoss gegen das Völkerrecht. Die militärische Führung in den USA hatte schon 2013 davor gewarnt, dass mit einem Sturz von Assad ein Machtvakuum entsteht, das von den Dschihadisten ausgefüllt werden würde. Wir haben nun die Wahl zwischen dem Assad-Regime, das als einziges in der Lage ist, Stabilität zurückzubringen und auf eine Friedenslösung hinzuarbeiten. Und zwischen den Dschihadisten, die nach dem Sturz des Regimes die Herrschaft in Syrien an sich reissen würden.

Frieden in Syrien geht also nicht ohne, sondern nur über Assad?
Das ist genau der Punkt. Nur: Wir haben es mit Stellvertreter-Kriegen zu tun. Die ausländischen Mächte setzen alles daran, ihre eigenen politischen Interessen zu verwirklichen. Sie haben nur Interesse an einer friedlichen Lösung, wenn sie dadurch ihre eigenen Ziele erreichen können. Die USA wollen verhindern, dass die Russen als "Sieger" dastehen. Die türkische Regierung von Recep Tayyip Erdogan will verhindern, dass die Kurden im Norden Syriens ein eigenständiges Gebiet bekommen. Saudi-Arabien führt einen Stellvertreterkrieg gegen den Iran und will ein salafistisches Regime in Damaskus an die Macht bringen. Katar setzt sich ebenso wie Erdogan für die Herrschaft der Muslim-Bruderschaft in Syrien ein. Iran und Russland wiederum wollen das mit ihnen verbündete Assad-Regime stabilisieren. Angesichts der unterschiedlichen Interessen der von aussen agierenden Mächte, ist die Chance für einen zeitlich absehbaren Frieden extrem gering.

Prof. Dr. Günter Meyer, Jahrgang 1946, ist der Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz. Der Nahost-Experte ist zudem unter anderem der Vorsitzende der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient für gegenwartsbezogene Forschung und Dokumentation sowie Präsident der European Association for Middle Eastern Studies.
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