Der syrische Diktator Baschar al-Assad galt seit dem Bürgerkrieg 2011 als internationaler Paria. In den vergangenen Monaten ist ihm die Rückkehr auf die diplomatische Bühne gelungen. Was steckt dahinter?
Den Job als Pilot der syrischen Falcon 900 mit der Kennung "YK-ASC" durfte man sich in den letzten Jahren nicht als besonders aufregend vorstellen. Obwohl der Privatjet des französischen Herstellers Dassault für eine Reichweite von bis zu 8.000 Kilometern ausgelegt ist – das entspricht grob der Luftlinie von München nach Chicago – war der Reisekorridor für den Dreistrahler in den vergangenen zwölf Jahren doch sehr eingeschränkt. Der Grund: die dubiosen Besitzer der Maschine.
Zuletzt gehörte das Flugzeug der syrischen Regierung unter Diktator
Doch in den letzten Monaten haben sich die Luftstrassen zwischen Damaskus und den Nachbarstaaten Syriens wieder gefüllt. Im Februar flog Assad in den Oman, Ende März nach Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Wurde Assad dort bei seinem letzten Besuch im Jahr 2022 noch mit einem bescheidenen Zeremoniell empfangen, bereiteten die Scheichs ihm und seiner Frau Asma diesmal sogar einen offiziellen Staatsempfang.
Und auch zu Hause in Damaskus hatte Assad zuletzt so viele Gäste wie lange nicht mehr: Minister aus Bahrain, Armenien, Jordanien und der Türkei schauten vorbei, dazu kamen wichtige Telefonate wie mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi. Er hatte Assad seit Beginn des Krieges so intensiv gemieden wie wenige Staatschefs im Nahen Osten.
Assad kommt ohne Zugeständnisse auf die grosse Bühne zurück
Die Annäherung zeigt, dass Assad in den vergangenen Monaten etwas gelungen ist, was viele kaum für möglich gehalten hätten: die Rückkehr eines der brutalsten Schlächters der Welt auf die internationale Bühne. "In der arabischen Welt scheint sich die bittere Erkenntnis durchzusetzen: Assad is here to stay", sagt André Bank, Syrien-Experte am GIGA Institut für Nahost-Studien in Hamburg. Assad ist gekommen, um zu bleiben.
Damit kommt ein Regime aus der Isolation, das ohne Übertreibung als das Brutalste des 21. Jahrhunderts bezeichnet werden kann: Mehr als 300.000 Zivilisten wurden nach UN-Schätzungen im syrischen Bürgerkrieg getötet, den Assads Militär 2011 brutal niederschlug. Mehr als 130.000 Menschen gelten bis heute als vermisst, viele wurden nach Einschätzung internationaler Experten entführt, gefoltert und ermordet.
Mehr als 13 Millionen Menschen mussten fliehen, die meisten in Nachbarländer wie Jordanien und die Türkei. Mit tatkräftiger Unterstützung Russlands und des Iran konnte Assad bis heute rund zwei Drittel des Landes halten. Keine übermächtige Machtlage, aber eine, an der sich seit 2019 nicht viel geändert hat. Und die offenbar im Nahen Osten zu der Ansicht führt, man müsse sich mit Assad arrangieren.
Mit einigen arabischen Staaten, die im syrischen Bürgerkrieg die Opposition unterstützt hatten, gibt es bereits seit einiger Zeit erste Anzeichen einer Entspannung. Dies gilt beispielsweise für die Vereinigten Arabischen Emirate, die ihre Botschaft in Damaskus bereits 2018 wiedereröffnet haben. Überraschend ist jedoch, wie schnell sich auch Länder wie die Türkei, Jordanien oder Ägypten, die einst nichts unversucht liessen, um den Machthaber zu stürzen, auf Assad zubewegten. Und die Tatsache, dass die Annäherung nach allem, was man weiss, ausschliesslich von den arabischen Staaten ausgeht. Die syrische Seite scheint keinerlei Zugeständnisse zu machen.
Glaubt man den offiziellen Verlautbarungen, steckt hinter dem neuen Kurs eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen. Genannt werden Investitionen, die Beteiligung am wirtschaftlichen Wiederaufbau, ein grösserer Einfluss auf den staatlich kontrollierten Drogenschmuggel oder schlicht der richtige Zeitpunkt, um ein neues Kapitel in der Region aufzuschlagen. Doch die schlüssigste Erklärung lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Realpolitik.
Denn so schwach und zerstört Syrien auch sein mag, so bleibt das Land doch aufgrund seiner geopolitischen Lage zwischen der Türkei, Israel, dem Iran, dem Mittelmeer und der arabischen Welt ein Dreh- und Angelpunkt des Nahen Ostens. Da alle Sanktionen der EU und der USA und die Versuche, die Opposition zu ermächtigen, folgenlos blieben, setzt sich zwölf Jahre nach Beginn des Krieges offenbar die Ansicht durch, die Opposition stelle keine ernsthafte Alternative zum Regime mehr dar. Assad sei alternativlos.
Golfstaaten versprechen sich grössere Handlungsmacht
Diese Haltung fällt in eine Zeit, in der die Golfstaaten in der Region ohnehin mehr auf Verhandlungen und weniger auf militärische Durchsetzung setzen wollen, erklärt Syrien-Experte Bank. "Nach der Annäherung zwischen Israel und den arabischen Staaten gibt es grosse diplomatische Bewegungen in der Region und die Idee, nach dem Rückzug der USA und der Europäer insgesamt wieder mehr auf innernahöstliche Diplomatie zu setzen."
Ein Interesse der Golfstaaten sei es, mehr "Agency" - also Handlungsmacht - in der Regionalpolitik zu erlangen, was sich etwa im Konflikt mit dem Iran zeige. Eine Annäherung an Assad könnte an dieser Front helfen, die enge Bindung Syriens an die verhassten Mullahs zu lösen, so zumindest die Hoffnung der Golfmonarchien. Ob sie sich erfüllt, ist mehr als fraglich.
Das Tempo, mit dem die diplomatische Aufwertung Assads vorangetrieben wird, dürfte auch durch jüngste Katastrophen wie die verheerende Cholera-Epidemie im vergangenen Jahr oder die Corona-Pandemie beschleunigt worden sein. Ein Katalysator, den Assad für sich zu nutzen wusste, war das verheerende Erdbeben in Syrien und der Türkei im Februar.
Dutzende von Nationen schickten Hilfsgüter nach Syrien und öffneten damit zwangsläufig Gesprächskanäle mit Damaskus weit über die arabische Welt hinaus. Eine Woche nach dem Erdbeben empfing Assad sogar den Direktor der Weltgesundheitsorganisation und den Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen.
Ein Treffen, das angesichts von 500.000 Toten, die das Assad-Regime zu verantworten hat, noch vor kurzem undenkbar schien. "Trotz dieser Gräuel haben viele Staaten nur auf einen günstigen Moment gewartet, um wieder Kontakt zu Assad aufzunehmen", sagt der ehemalige UN-Berater und Syrien-Experte Carsten Wieland.
"Das Erdbeben hat ihnen einen solchen Vorwand geliefert." Dass sich Assad bei einem "Solidaritätsbesuch" in den Erdbebengebieten wenige Tage nach der Katastrophe den Bildern nach mit bester Laune zeigte, dürfte auch mit der diplomatischen Aufwertung zu tun haben.
Nicht zuletzt dürfte aber auch die Innenpolitik bei der Annäherung eine Rolle spielen, vor allem wenn es um das schwankende Verhältnis zwischen dem türkischen Präsidenten Erdogan und Assad geht. Während beide im Sommer 2008 noch gemeinsam mit ihren Familien im türkischen Badeort Bodrum Urlaub machten, liess Erdogan während des Krieges nichts unversucht, um den syrischen Machthaber zu stürzen.
Bis heute beteuert er, politische Gegner Assads nicht fallen lassen zu wollen. Dass Erdogan nun ankündigte, sich mit Assad aussöhnen zu wollen, lässt sich daher vor allem mit den im Mai anstehenden Präsidentschaftswahlen erklären, die auch von der Frage geprägt sind, was mit den rund 3,6 Millionen syrischen Flüchtlingen im Land geschehen soll.
Die schutzbedürftigen Menschen werden angesichts der galoppierenden Inflation zu einer immer grösseren Belastung für den Staat, offenbar auch aus Sicht vieler türkischer Bürger. "Syriens Nachbarländer Jordanien, Libanon und die Türkei haben ein grosses Interesse daran, dass die syrischen Flüchtlingsgemeinschaften in ihren Ländern perspektivisch nach Syrien zurückkehren", sagt Syrien-Experte Bank. "Ohne den Austausch mit Assad ist das kaum möglich."
Gipfel der Arabischen Liga dürfte wegweisend für Assad sein
Angesichts dieser Entwicklungen dürfte sich Assad einen Tag in seinem Terminkalender besonders dick markiert haben: den 19. Mai. An diesem Tag trifft sich die Arabische Liga, so etwas wie die EU der arabischen Staaten, in Riad, um unter anderem über den Annäherungsprozess im Nahen Osten zu beraten. Vieles spricht dafür, dass Syrien, dessen Mitgliedschaft 2011 suspendiert wurde, in Riad erstmals wieder an dem Format teilnehmen darf. So hatte der saudische Aussenminister Prinz Faisal bin Farhan Mitte Februar bestätigt, dass es in der arabischen Welt einen wachsenden Konsens darüber gebe, dass es kein Interesse mehr an einer Isolierung Syriens gebe und ein Dialog mit Assad "zu einem bestimmten Zeitpunkt notwendig" sei.
Sollte nun mit Saudi-Arabien der wichtigste Akteur in der Region, der bisher auf Seiten der syrischen Opposition stand, auf den Zug der Annäherung aufspringen, hätten sich die arabischen Staaten wohl endgültig mit Assad arrangiert. "Das wird auch ein Signal an andere oder zukünftige Diktatoren sein: Es hat keine Konsequenzen, die eigene Bevölkerung zu massakrieren oder zu vertreiben, humanitäre Hilfe systematisch zu blockieren und zu manipulieren und gegen alle internationalen Normen der Kriegsführung und des humanitären Völkerrechts zu verstossen", so Syrien-Experte Wieland.
Wieland sieht vor allem zwei Verlierer der Annäherung: Den politischen Prozess der UN in Genf, der mit konditionierter Wiederaufbauhilfe politische Reformen und eine Verbesserung der Menschenrechtslage in Syrien erreichen wollte. "Wenn Assad jetzt alles umsonst und ohne Bedingungen bekommt, ist der Prozess praktisch tot", sagt Wieland. Und die syrische Bevölkerung, deren Schicksal weiter von Assad abhängt: "Das Land wird auf lange Sicht ein Sorgenfall bleiben, politisch zersplittert, korrupt und grausam".
Verwendete Quellen:
- qantara.de: Syriens Diktator und die Erdbebenhilfe
- swissinfo.ch: Saudischer Aussenminister: Arabische Länder brauchen einen neuen Ansatz gegenüber Syrien
- World Health Organisation (WHO): Visit of WHO Director-General to north-west Syria
- Europäischer Rat: Syrien: Sanktionen um ein weiteres Jahr verlängert
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