Die neue Kriminalstudie zu jungen Flüchtlingen zeigt: Die Zahl der Gewaltdelikte ist infolge der Zuwanderung gestiegen. Kriminologe Christian Pfeiffer, Co-Autor der Studie, mahnt deshalb zu Gewaltprävention und empfiehlt bestimmte Massnahmen. Die hält Bernd Mesovic von Pro Asyl für teils illusorisch. Im Interview erklärt er, welche Massnahmen aus seiner Sicht sinnvoll sind und welche nicht umsetzbar.
Herr Mesovic, überraschen Sie die Ergebnisse der neuen Studie?
Nein, denn sie baut auf früheren Studien von Professor Pfeiffer auf. Was aber wohl viele überrascht: Im Gegensatz zum allgemeinen Rückgang der Kriminalität in Deutschland haben die Gewaltdelikte von jungen Flüchtlingen zugenommen und wirken sich auf die Gesamtbilanz 2015/2016 aus.
Halten sie die Studie repräsentativ für Deutschland?
Es sind Unterschiede möglich – aber nur kleine. Denn allein durch den Verteilungsschlüssel könnte in einem Bundesland eine Gruppe stärker vorhanden sein als in anderen. Aber in der Tendenz wird es überall in Deutschland so sein wie in Niedersachsen.
Die Studie behauptet, "Frauenmangel" wirke sich negativ aus. Er erhöhe die Gefahr, dass sich junge Männer "an Gewalt legitimierenden Männlichkeitsnormen orientieren" …
Mit den Männlichkeitsnormen müssen sich die jungen Männer in erster Linie alleine und gegebenenfalls mit pädagogischer Unterstützung auseinandersetzen. Den Frauen die Rolle einer disziplinierenden Instanz zuzuweisen, legt sie einseitig auf eine Rolle fest und macht sie andererseits zum Objekt. Zudem muss man bedenken, dass auch Frauen in Flüchtlingsunterkünften Opfer von Gewalt wurden.
Kann der Familiennachzug, wie die Wissenschaftler vermuten, dazu beitragen, dass Flüchtlinge nicht kriminell werden?
Der Nachzug der engsten Angehörigen wäre für viele junge Männer sinnvoll. So können sie sich in einem Umfeld entwickeln, das sie vorher schon hatten. Denn viele der jungen Flüchtlinge haben sich nicht dazu entschieden, alleine zu fliehen, sondern mit der Hoffnung der Angehörigen, dass wenigsten einem die Flucht gelingen und er die Familie nachholen werde. Das sind belastende Erwartungen an die Jugendlichen.
Um den Trend aufzuhalten, müsse man auf Massnahmen setzen wie Sprachkurse, Sport und Betreuungskonzepte. Kann dies der Prävention dienen oder greift das zu kurz?
Alles, was den Tag strukturiert, ist positiv zu bewerten. In Richtung Integration kann man vor allem bei denen, die bleiben dürfen, mit pädagogischen Massnahmen viel erreichen. Angebote wie etwa Sport und Praktika sowie Betreuungskonzepte sind im Bereich der Jugendhilfe bereits Praxis.
Das könnte auch der Frage der Chancenlosigkeit entgegenwirken, die Herr Pfeiffer in seiner Studie angesprochen hat. Wir erleben etwa, dass viele junge Afghanen in Angst leben, einen Abschiebungsbescheid zu erhalten. Sobald der Abschiebebescheid ergeht, resignieren viele. Das hemmt den Willen auf Integration und damit auch das Lernverhalten – auch wenn die jungen Männer in einem späteren Verfahren als Flüchtling anerkannt werden.
Bei seinen anderen Vorschlägen zu Prävention geht Professor Pfeiffer aber über den Rahmen seiner Untersuchung hinaus.
Professor Pfeiffer spricht sich unter anderem für ein Rückkehrprogramm aus, das Länder finanziell belohnt, wenn sie ihre Landsleute zurücknehmen. Ausserdem sollen nicht anerkannte Flüchtlinge mit Sprachkursen und Lehrgängen unterstützt werden. Kann das funktionieren?
Hier meint Pfeiffer vor allem die Maghreb-Staaten – also Tunesien, Marokko und Algerien. Das Konzept hätte aber wenig Aussicht auf Erfolg. Denn diese Länder sind in grossem Masse mit Problemen wie Arbeitslosigkeit konfrontiert. Für die Jugendlichen gibt es dort kaum Perspektiven. Auch die Idee, die Jugendlichen im Touristikbereich auszubilden, macht wenig Sinn. Der Tourismus ist in diesen Ländern durch den islamistischen Terrorismus stark zurückgegangen.
Grundsätzlich ist es nicht verkehrt, strukturelle Massnahmen anzubieten und diese Staaten zu unterstützen – aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, die Probleme vor Ort durch Entwicklungshilfe lösen zu können – zumal die Beträge, die bereits im Bereich Rückkehrhilfen angeboten werden, extrem gering sind.
Professor Pfeiffer fordert mit Blick auf die nordafrikanischen Flüchtlinge, die europäischen Aussengrenzen sicherer zu machen – inwiefern kann das das Problem lösen ?
Diesbezüglich wechselt Professor Pfeiffer in die aktuelle politische Debatte. Dazu sollte er sich aber genauer mit dem Völkerecht befassen. Denn es ist schlicht unmöglich, jemanden an der EU-Aussengrenze ohne Prüfung von Asylgründen einfach umdrehen zu lassen. Selbst bei Staaten, die als sichere Herkunftsländer gelten, gibt es Verfahren unter rechtsstaatlichen Bedingungen.
Was halten Sie von dem geforderten Einwanderungsgesetz?
In einem Einwanderungsgesetzt schlägt das Interesse eines Staates durch, sich bestimmte Einwanderungsgruppen ins Land zu holen. Das heisst, Menschen werden nach bestimmten Kriterien ausgesucht. Da können auch humanitäre Aspekte eine Rolle spielen. Allerdings steht dahinter vielmehr eine von der Wirtschaft erwünschte Migration von Arbeitskräften aus dem Ausland. Jugendliche aus den Maghreb-Staaten blieben da mangels Qualifikation vermutlich aussen vor. Meine Kritik an Professor Pfeiffer ist, dass er in immer weiteren Kreisen Schlussfolgerungen aus seiner Studie zieht, die sie selbst gar nicht hergibt.
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