Wieder einmal kann der UN-Sicherheitsrat sich nicht auf eine Resolution zu Syrien einigen. Die Blockade des Gremiums, das den Weltfrieden sichern soll, schädigt das Vertrauen in das Völkerrecht. Reformen sind dringend notwendig – aber mehr als unwahrscheinlich.
Es scheint, als hätte
Damals hatte Russland schon vier Resolutionen zu Syrien mit seinem Veto im Sicherheitsrat verhindert. Anderthalb Jahre und drei weitere Vetos später liess Trump Raketen sprechen.
Doch an der festgefahrenen Situation im Sicherheitsrat hat der Angriff auf die syrische Luftwaffe vor einer Woche nichts geändert. Am Mittwochabend scheiterte eine Resolution, die den Giftgasangriff auf Khan Sheikhoun verurteilen sollte. Es war Russlands achtes Veto, und es verstärkt den Eindruck, dass sich das zentrale Organ des Weltfriedens in Krisensituationen als nutzlos erweist.
Der bolivianische Delegierte Sacha Soliz bezeichnete die Abstimmung als unnötig, schliesslich habe das Ergebnis schon vorher festgestanden. Er sehe den Sicherheitsrat ohnehin nur als eine Schachfigur in den Verhandlungen zwischen Russland und den USA.
Die Diskussion um die dringende Reform des Sicherheitsrates, sie wird wieder lauter.
Die Krux mit dem Veto
Nichts habe der Sicherheitsrat in der Syrien-Frage bisher erreicht, kritisierte Kofi Annan schon Ende 2012. Die Mitglieder würden nur mit dem Finger auf die anderen zeigen, mehr nicht, sagte der ehemalige UN-Generalsekretär und Sonderbeauftragte für Syrien.
"Ich teile diese Verzweiflung über die aktuelle Unfähigkeit", sagt Lisa Heemann, die Generalsekretärin der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, im Gespräch mit diesem Portal. "Gleichzeitig glaube ich, dass der Sicherheitsrat besser ist als sein Ruf. Wenn es ihn nicht gäbe, würde es noch schlimmer aussehen. Es ist ein Forum, in dem Länder länger miteinander im Gespräch bleiben. Aber natürlich ist der Sicherheitsrat reformbedürftig."
Artikel 24 der UN-Charta überträgt dem Sicherheitsrat die "Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit". Das Sagen haben die fünf ständigen Mitglieder, die P5: Frankreich, Grossbritannien, Russland, China und die USA.
Die Charta gesteht jedem einzelnem dieser Länder ein Vetorecht zu, das Mehrheitsbeschlüsse der anderen vier und der zehn nichtständigen Mitglieder blockieren kann.
Genau das geschieht in den Sitzungen zu Syrien. In der gestrigen Sitzung stimmten zehn Mitglieder für den Resolutionsentwurf, drei enthielten sich, und zwei stimmten dagegen – neben Bolivien war das Russland, das mit seinem Veto die Annahme verhinderte.
Eine Übersicht über die Vetos der vergangenen Jahre zeigt: Vor allem Russland und China haben dieses Instrument zuletzt eingesetzt, zu Syrien und zur Ukraine. In den Jahren 2000 bis 2010 blockierten meist die Amerikaner Resolutionen, vor allem zu Israel.
Streit über Zahl der ständigen Mitglieder
Natürlich wird die Kritik immer dann lauter, wenn der Sicherheitsrat versagt. So wie im Fall von Ruanda 1994, als das Gremium sich nicht auf die Entsendung von Truppen in das Bürgerkriegsland einigen konnte.
Wenige Monate später waren Hunderttausende Menschen tot. So wie im Fall von Darfur, als China monatelang die Entsendung von Friedenstruppen in den Sudan verhinderte.
Auch zum 70-jährigen Geburtstag der UN 2015 hatten Reformvorschläge mal wieder Konjunktur, darunter auch die Abschaffung des Vetorechts. Doch das, sagt Lisa Heemann, liegt nicht im Interesse der Vetomächte. Und ohne ihre Zustimmung gibt es keine Änderung der Charta. "Ich halte eine rechtliche Änderung für unwahrscheinlich."
Frankreich hat allerdings eine Initiative gestartet, um den P5 einen freiwilligen Verzicht auf das Vetorecht aufzuerlegen, wenn es um Massenverbrechen, Kriegsverbrechen oder Verbrechen an der Menschlichkeit geht. Feststellen soll das der UN-Generalsekretär auf Verlangen von mindestens 50 Staaten.
"Ich sehe den Charme der Idee", sagt Lisa Heemann. "Aber es bliebe eine politische Entscheidung."
Der ehemalige russische UN-Botschafter Witali Tschurkin hat vor einigen Jahren schon angedeutet, dass sich seine Regierung nicht mit dieser Regelung anfreunden könnte, weil dann jeder behaupten könnte, es gehe um massenhafte Gewalt. Derzeit zieht sich Russland bei seinen Vetos oft auf die Position zurück, die auch Frankreich als Ausnahme gelten lassen will: Nationale Interessen seien betroffen.
Das sei schon bei der Gründung der UN ein Zugeständnis an die Vetomächte gewesen, sagt Lisa Heemann. "Die lassen sich natürlich nicht auf eine allzu enge Definition ein, was nationales Interesse bedeutet."
Deutschland wirbt seit Jahren für eine andere Reform: die Erweiterung des Sicherheitsrates – mit einem ständigen Sitz für die Bundesrepublik. Unbestritten repräsentiert die Besetzung die Machtverhältnisse der Nachkriegszeit.
Da enden allerdings die Gemeinsamkeiten der restlichen UN-Mitglieder. Die afrikanischen Staaten verlangen einen Sitz, die Italiener einen Sitz für die EU statt für Deutschland, und von den P5 sind nur Grossbritannien und Frankreich wirklich gesprächsbereit. "Eine Erweiterung ist unwahrscheinlich", urteilt die Sicherheitsrats-Expertin Sophie Eisentraut in einem Papier für die Stiftung Wissenschaft und Politik, das sich mit dem Stand der Reformvorhaben in der UN beschäftigt.
"Ich teile das", sagt Lisa Heemann von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. "Reformen, die als Paukenschlag daherkommen, haben weniger Chancen als solche, die ohne grosse strukturelle Änderungen wirksam sein können."
Völkerrecht ist "beste Hoffnung, die wir haben"
Fraglich ist nur, was solche Reformen bringen können. Als gelungenes Beispiel für die Reformfähigkeit sieht Heemann die Auswahlprozedur des neuen Generalsekretärs António Guterres. Anders als früher gab es eine transparente Übersicht über die Kandidaten, die Zivilgesellschaft wurde in den Prozess einbezogen.
Im Ergebnis steht allerdings weiter ein Chef der Vereinten Nationen, der mehr Sekretär als General ist – und letztlich von den P5 bestimmt wird. "Es bleibt ein politisches Spiel, der Generalsekretär kann sich nur bedingt von den Vetomächten emanzipieren."
Die Aussichten auf eine grundlegende Reform des Sicherheitsrat sind also schlecht – kein gutes Omen für Syrien und alle Krisen der Zukunft. "Es bleibt dabei: Das Projekt UN und Weltfrieden ist sehr gross, oft genug klappt es, es scheitert aber auch immer wieder", sagt Heemann.
Steuern wir also auf eine Zeit zu, in der das Völkerrecht nichts mehr zählt, weil sein wichtigstes Organ nicht funktioniert? In der Raketen sprechen, statt Diplomaten?
Heeman sieht das nicht als gangbare Option. "Das Völkerrecht und die Friedens- und Sicherheitsarchitektur greifen insofern, als die grossen Mächte noch miteinander reden. Auch wenn die Situation in Syrien einen in die Verzweiflung treiben kann, ist das Prinzip des Völkerrechts – Gewaltfreiheit, Nichteinmischung – die beste Hoffnung, die wir haben."
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