In Deutschland demonstrieren tausende Kurden gegen die Gewalt der Terrormiliz der IS in Syrien. Dabei kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Ein Vertreter der kurdischen Gemeinde in Deutschland sprach mit unserem Portal über die Proteste und die aktuelle Lage in Syrien.

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Rund eine Millionen Kurden leben in Deutschland. Sie verfolgen, wie ihre Landsleute in Syrien mit allen Mitteln versuchen, die Grenzstadt Kobane gegen die vorrückende Terrormiliz des Islamischen Staats (IS) zu verteidigen. Die benachbarte Türkei und nahezu alle westlichen Länder greifen nicht ein. In mehreren deutschen Städten gingen deshalb Kurden auf die Strasse, um auf die Lage in Kobane aufmerksam zu machen. Wir sprachen mit Mehmet Tanriverdi, dem stellvertretenden Vorsitzenden der kurdischen Gemeinde in Deutschland, über die Demonstrationen und die Situation der Kurden in der Bundesrepublik und in Syrien.

Herr Tanriverdi, in den vergangenen Tagen demonstrierten tausende Kurden in Deutschland, um auf die Situation in Kobane aufmerksam zu machen. Worum ging es den Demonstranten dabei konkret?

Mehmet Tanriverdi: In erster Linie geht es darum, sich mit der Bevölkerung in Kurdistan zu solidarisieren. Andererseits möchte man auf die Geschehnisse aufmerksam machen. Und sicher geht es auch darum, bei der Bundesregierung und bei den Ländern der Europäischen Union um Unterstützung zu bitten. Vor allem dahingehend, dass sie Druck auf den Nato-Partner Türkei ausüben.

Wieso kam es dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, etwa in Hamburg?

Die Demonstrationen waren bis auf die Geschehnisse in Hamburg überwiegend friedlich. Die Kurden wollen, dass der Terror der Islamisten aufhört. In Hamburg trafen sie auf 100 bis 200 Salafisten, die organisiert waren und sehr aggressiv und teilweisse bewaffnet auftraten. Sie haben die Kurden auf offener Strasse angegriffen. Ich bestreite nicht, dass es auch in den Reihen der Kurden den einen oder anderen Gewaltbereiten gab. Die Gewalt ging jedoch von den Salafisten aus.

Nun zur Lage in Syrien: Stehen Sie mit Kurden in und um Kobane in Kontakt? Wie berichten diese über die aktuellen Zustände?

Die Entwicklungen in unserer zweiten Heimat machen uns fassungslos. Meine Geburtsstadt liegt etwa 100 Kilometer von Kobane entfernt auf türkischem Gebiet. Ich habe Verwandte, die an der Grenze zu Syrien leben. Wir haben auch Freunde aus Kobane. Es gibt Journalisten, die der kurdischen Gemeinde regelmässig telefonisch über die Situation berichten. Und ich kann sagen, die Lage in Kobane ist weiter sehr bedrohlich. Wir sind den Amerikanern dankbar, dass sie die IS-Terroristen in den vergangenen Tagen durch gezielte Luftangriffe zum Rückzug gezwungen haben. Wir haben Hoffnung, dass Kobane nicht fällt und die Flüchtlinge bald wieder in ihre Stadt zurückkehren können.

Tausende Kurden flüchten vor dem Terror des IS in die Türkei. Wie ergeht es diesen Flüchtlingen? Fühlen sie sich in der Türkei sicher?

Zunächst erschwert die Türkei den Zivilisten und den kämpfenden Truppen in und um die belagerte Stadt Kobane das Leben, indem sie Hilfe von Kurden aus der Türkei verhindert. Die Flüchtlinge wiederum finden hauptsächlich Schutz bei ihren Landsleuten in der Türkei. Doch diese Menschen sind arm und können nicht unendlich viele Flüchtlinge aufnehmen. Die Türkei hat zwar die Grenzen für die Flüchtlinge geöffnet, aber ich kann nicht von grosser Hilfe sprechen. Es gibt kaum Unterkünfte. Es wird nicht ausreichend humanitäre Hilfe geleistet.

Wie wird sich die Lage an der syrisch-türkischen Grenze weiterentwickeln?

Man muss unterscheiden: Die Situation im Nordirak ist eine ganz andere als in Syrien. Im Nordirak besteht eine kurdische Selbstverwaltung unter einer demokratischen Regierung. Die Kurden dort können sich durch Einnahmen aus dem Ölgeschäft ernähren und werden aus dem Ausland unterstützt. Die autonome Kurdenregion im Nordirak wird ihren Weg in die Unabhängigkeit gehen.

Das Problem in Syrien ist deutlich komplexer. Wir sprechen hier von 2,5 bis 3 Millionen Kurden, von denen viele geflüchtet sind. Wir haben in Damaskus einen Diktator, mit dem man keine gemeinsame Sache machen kann. Die Opposition ist zerstritten. Es gibt einerseits die Islamisten, die eine grosse Gefahr für die westliche Welt darstellen und andererseits als vierte oder fünfte Kraft die Kurden, die lange alleine gelassen wurden. Insgesamt also keine guten Zukunftsaussichten. Ich hoffe, dass die Vereinten Nationen eine Syrien-Konferenz einberufen, bei der die Kurden als eine Partei am Tisch sitzen und zumindest ihre kulturellen Rechte bekommen.

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