Die Suche nach einem gangbaren Brexit-Modell beschäftigt weiter die Innenpolitik Grossbritanniens. Während Premierministerin Theresa May sich mit einer harten Linie gegen innerparteiliche Gegner rüstet, liebäugelt die Opposition mit der Rolle rückwärts. Auf dem Parteitag der Labour-Partei forderte die grosse Mehrheit der Delegierten ein zweites Referendum über den Austritt aus der EU.
Die britische Labour-Partei hält sich die Option auf ein zweites Referendum über den EU-Austritt des Landes offen. Das berichteten britische Medien am Montag nach einer nächtlichen Marathon-Sitzung von Delegierten auf dem Labour-Parteitag in Liverpool. Die Hoffnung vieler EU-Befürworter bei Labour, eine zweite Volksabstimmung zum Brexit könnte offizielle Parteilinie werden, wurde demnach aber enttäuscht.
Premierministerin Theresa
Der Brexit-Beauftragte des Europäischen Parlaments,
Abkommen nach kanadischem Vorbild?
Medienberichten zufolge wächst der Druck auf May auch innerhalb der Regierung, ihre umstrittenen Pläne für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Grossbritannien und der EU fallen zu lassen. Ein Regierungssprecher dementierte das. Die Pläne Mays hätten die "volle Unterstützung" des Kabinetts, hiess es.
Unterdessen stellte der erzkonservative Brexit-Befürworter und Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg alternative Pläne für die Wirtschaftsbeziehungen mit der EU vor. Ihm zufolge soll Grossbritannien ähnlich wie Kanada lediglich ein Handelsabkommen mit Brüssel schliessen. Die Pläne Mays lehnt er ab, wie Dutzende weitere konservative Abgeordnete.
Kein Brexit-Kompromiss in Aussicht
Auch die 27 bleibenden EU-Länder hatten bei einem Gipfel in Salzburg vorige Woche Mays Ideen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit nach dem Brexit zurückgewiesen. May wertete dies als Affront und verlangte in scharfen Worten mehr Respekt und neue Vorschläge aus Brüssel. EU-Ratschef Donald Tusk reagierte verwundert, da die Haltung der EU seit Wochen bekannt gewesen sei.
Wichtigster Streitpunkt bei den Brexit-Verhandlungen ist, wie künftig Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland vermieden werden könnten. May lehnt EU-Vorschläge dazu kategorisch ab. Stattdessen sieht sie ihr Modell für eine Freihandelszone ohne Zollkontrollen als Lösung für die Irland-Frage. Dazu wiederum sagt die EU Nein, weil Grossbritannien faktisch weiter Zugang zum EU-Binnenmarkt hätte, ohne die Spielregeln einzuhalten. Die Lage ist also verfahren, ein Kompromiss derzeit nicht erkennbar.
Sollte bis Ende März 2019 kein Abkommen stehen, droht Grossbritannien ein chaotischer Brexit mit fatalen Folgen. Noch am Montag wollte die Regierung in London Dokumente veröffentlichen, die auf mögliche Folgen eines so genannten No-Deal-Brexits hinweisen.
Option auf zweites Brexit-Referendum
Derzeit scheint auch sehr ungewiss, ob May für ein Abkommen mit Brüssel auf Grundlage ihrer Pläne eine Mehrheit im britischen Parlament bekommen würde. Sie regiert seit einer vorgezogenen Neuwahl im vergangenen Jahr nur noch mit hauchdünner Mehrheit. Auf die Unterstützung der oppositionellen Labour-Partei kann sie sich nicht verlassen.
Für den Fall, dass May mit einem Abkommen im britischen Parlament scheitert, werden Neuwahlen oder gar ein zweites Brexit-Referendum für möglich gehalten. Labour-Delegierte hatten sich Berichten zufolge am Sonntag auf einen Resolutionstext geeinigt, der ein zweites Brexit-Referendum als Option "auf dem Tisch" lässt, sollte sich eine Neuwahl als unmöglich erweisen. Abgestimmt werden soll darüber an diesem Dienstag.
Grosser Spielraum für Labour-Chef Corbyn
Einer Umfrage zufolge wünschen sich 86 Prozent der Labour-Mitglieder ein zweites Referendum zum finalen Brexit-Abkommen, nur acht Prozent wären dagegen. 90 Prozent würden heute für einen Verbleib Grossbritanniens in der EU stimmen, ergab eine YouGov-Befragung von 1000 Labour-Mitgliedern im Auftrag der Zeitung "The Observer". Grossbritannien will Ende März 2019 die Staatengemeinschaft verlassen.
Labour-Chef Jeremy Corbyn, der als EU-Skeptiker gilt, war zuletzt unter Druck geraten und hatte versprochen, sich dem Willen der Delegierten zu beugen. Mit der nun vereinbarten Resolution bleibt ihm viel Spielraum. Unklar ist bislang auch, was genau die Fragestellung eines zweiten Referendums sein könnte. Eine einfache Wiederholung der Volksabstimmung von 2016 gilt als höchst problematisch.
An dem viertägigen Parteitag in Liverpool nehmen 13 000 Delegierte teil. Tausende Anhänger der Europäischen Union demonstrierten bereits am Sonntag mit grossen EU-Fahnen für ein zweites Referendum. (mc/dpa)
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