- Seit über 35 Jahren sind in Myanmar erstmals wieder Todesurteile vollstreckt worden.
- Das Entsetzen in der Weltgemeinschaft ist gross, die Handlungsmöglichkeiten aber begrenzt.
- Myanmar-Experte Hans-Bernd Zöllner erklärt, wie die Situation in dem südostasiatischen Land ist, was die Lage mit dem Ukraine-Krieg gemeinsam hat und welches Signal die vollstreckten Todesstrafen senden.
Die Hinrichtung von vier Dissidenten hat das kleine Land in Südostasien wieder in den internationalen Fokus gerückt: Erstmals seit 1990 hatte die Junta vor wenigen Tagen in vier Fällen die Todesstrafe vollstreckt.
Unter den Hingerichteten befand sich der prominente Demokratieaktivist Kyaw Min Yu, der Ende der 1980er Jahre zu den Köpfen der Studentenproteste gegen die damalige Militärjunta gehörte. Er soll in Online-Netzwerken zu Unruhen aufgerufen haben.
Über 2.000 Regimegegner getötet
Zu den Opfern zählt auch der frühere Parlamentsabgeordnete und Hip-Hop-Künstler Phyo Zeya Thaw, der Parteimitglied der "Nationalen Liga für Demokratie" unter der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi war. Ihre gewählte Regierung war im Februar vergangenen Jahres gestürzt worden, sie selbst sitzt in Haft.
Seit dem Putsch hat sich die Lage in Myanmar für Menschenrechtler und Demokratieaktivisten deutlich verschlechtert. Wiederholte Massenproteste, Streiks und Aktionen des zivilen Ungehorsams wurden von der Junta gewaltsam niedergeschlagen. Nach Angaben der Menschenrechtsvereinigung "Assistance Association for Political Prisoners" wurden bereits über 2.000 Regimegegner getötet und mehr als 14.000 festgenommen.
Unübersichtliche Lage
"Die Situation ist ziemlich unübersichtlich. Viele kleine und grössere Gruppen kämpfen gegen das Militär – teils seit Jahrzehnten, teils seit dem Sturz der Regierung", sagt Myanmar-Experte Hans-Bernd Zöllner. Es habe sich eine Gegenregierung gebildet, deren Mitglieder sich überwiegend in Thailand aufhielten. Die Bevölkerung Myanmars ist ethnisch vielfältig, zum Teil fordern die verschiedenen Gruppen politische Autonomie in bestimmten Regionen des Landes.
"Die Situation ist durch eine Kompromisslosigkeit auf beiden Seiten gekennzeichnet", meint der Experte. Beide Seiten hätten sich gegenseitig als terroristische Vereinigungen erklärt, die Nationale Einheitsregierung habe ebenfalls zum bewaffneten Widerstand zum gewaltsamen Sturz der Militärregierung aufgerufen.
"Menschenrechte werden auf beiden Seiten missachtet, wir erleben einen latenten Kriegszustand", erklärt Zöllner. Gewaltsame Auseinandersetzungen sind an der Tagesordnung.
Es gebe keine Regeln, an die sich beide Seiten hielten, auch Regimegegner ermordeten Soldaten, vermutlich auch zivile Anhänger des Regimes, so Zöllner. Die verschiedenen Widerstandsgruppen würden nicht miteinander kooperieren und hätten kein gemeinsames Konzept – ausser den Sturz der Militärregierung. "Die Härte der Konfrontation hat eine neue Dimension erreicht", meint Zöllner.
Neue Stufe der Härte
Die Hinrichtungen seien ein Zeichen für diese Form der Kompromisslosigkeit. Laut Medienberichten hatten die Familien erst nach der Vollstreckung von den Hinrichtungen erfahren.
Manny Maung von der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" sprach gegenüber der Nachrichtenagentur dpa von einer "schockierenden Geschwindigkeit, mit der die Todesurteile vollstreckt wurden" und forderte die Internationale Gemeinschaft zum Handeln auf. Die Junta wolle die Anti-Putsch-Protestbewegung zum Schweigen bringen.
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Kompromisslos wie in der Ukraine
"Die Situation ist ähnlich kompromisslos wie im Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Es ist nicht absehbar, wer vermitteln könnte – und das schon seit dem letzten Putsch von 1988", erklärt Zöllner. Trotz mehrfacher Versuche wären sich die unterschiedlichen Positionen im Grundsatz nicht nähergekommen.
Die Lage vor Ort ist desaströs: Tote und Verletzte unter der Zivilbevölkerung, Vertreibungen, zerstörte Häuser und Strassen. Die Zahl der Binnenvertriebenen und Flüchtlinge steigt weiter. Nach dem Militärputsch im vergangenen Jahr waren etwa 40.000 Menschen über die Grenzen geflohen, weitere 440.000 Menschen sind innerhalb des Landes auf der Flucht vor Gewalt.
Weltgemeinschaft spielt keine Rolle
"Die westliche Gemeinschaft hat sich dabei erfolgreich herausgekegelt, sie spielt kaum eine Rolle", beobachtet er. Der Westen verhalte sich in seiner Politik nicht stringent und habe wenig Sachkenntnis über die Hintergründe der Ereignisse von den Zuständen vor Ort. "Der Westen hat keine Ahnung, wie politische Kultur und Logik in Myanmar funktionieren", meint Zöllner.
In den Medien sei Aung San Suu Ky stets als Demokratieikone gehandelt worden. "Als sie den Völkermord der Rohingya abgestritten hat, hat man sie aber fallen lassen und als Feigenblatt für die Gräueltaten des Militärs dargestellt", sagt der Experte.
Die Rohingya sind eine muslimische Minderheit, die als eine der am stärksten verfolgten Minderheit der Welt gilt. Sie werden in Myanmar ausgegrenzt, angefeindet und verfolgt. "Die anderen asiatischen Staaten Südostasiens folgen dem Prinzip der Nichteinmischung. Sie haben aber auch kaum eine Möglichkeit, einzugreifen", sagt Zöllner. Zudem halten Staaten wie China und Russland schützend ihre Hand über die Junta.
Zöllner hält die Situation in Myanmar für den Westen für eine wichtige Lehrstunde: "Unsere Exportartikel wie Demokratie und Menschenrechte sind in vielen Ländern aufgrund der kulturellen Unterschiede nicht so angekommen, wie wir es uns gedacht haben", sagt Zöllner. Sie richteten teilweise mehr Unglück an, als dass sie etwas Gutes bringen würden. "Im westlichen Denken gibt es immer noch ein gutes Stück von nicht aufgearbeitetem Kolonialismus", ist er sich sicher.
Verwendete Quellen:
- UNO Flüchtlingshilfe: Gewalt und Chaos nach Militär-Putsch
- AAPP: Länderbericht Burma
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