Wenn am Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt wird, sind viele Augen auf die AfD gerichtet. Die Partei könnte zweitstärkste Kraft werden - aber wäre sie regierungsfähig? Welche Konstellationen sind realistisch? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

Eine Analyse
von Johannes Werner
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Johannes Werner sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Eine denkwürdige Klatsche für die etablierten Parteien könnte es am 4. September bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern geben. Denn die rechtspopulistische AfD kommt jüngsten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag des Politik-Magazins "Cicero" zufolge auf rund 23 Prozent der Stimmen. Demnach wäre sie hinter der SPD (28 Prozent) zweitstärkste Kraft.

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Erst dahinter folgt die erneut abgefallene CDU (20 Prozent), die in Mecklenburg-Vorpommern bereits bei der Landtagswahl 2011 mit einem historischen Tief von damals 23 Prozent einen Erdrutsch hingelegt hatte. Nun dürfte die AfD bei dieser Wahl vor allem von der Unzufriedenheit mit Angela Merkels Flüchtlingspolitik profitieren.

Welche Regierungskonstellationen sind möglich?

"Vorausgesetzt, niemand koaliert mit der AfD, was bisher sehr stark anzunehmen ist, wären je nach Umfragewerten Rot-Rot, Rot-Rot-Grün, Schwarz-Grün-Rot oder die Grosse Koalition denkbar", erläutert Isabelle Borucki, Politikwissenschaftlerin an der Uni Trier, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Für einen Paukenschlag sorgte der frühere CDU-Wahlkampfmanager und Berliner Ex-Senator Peter Radunski mit seinem Vorschlag. Laut einem Bericht des "Tagesspiegels" rät er seiner Partei dazu, mit der AfD zu koalieren. Die Rechtspopulisten könnten seiner Meinung nach entzaubert werden, indem man sie in Regierungsverantwortung nehme.

Gegenüber "NDR Info" schloss der CDU-Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier, eine Koalition mit der AfD nach der Landtagswahl jedoch erneut aus. Auch Berlins CDU-Landeschef Frank Henkel lehnt einen Zusammenschluss mit den Rechtspopulisten kategorisch ab (die Berliner wählen am 18. September).

Politikwissenschaftlerin Borucki hält eine Koalition von CDU und AfD ebenfalls für sehr unwahrscheinlich: "Seitens der AfD dürfte mehr Bereitschaft bestehen als seitens der CDU. In einer Koalition mit der CDU müsste sich die AfD auch erst behaupten und von einer Protestpartei zu einer etablierten Partei werden." Vor allem müsse das Verhältnis der AfD zum Rechtsextremismus zunächst geklärt werden, bevor Überlegungen dieser Art überhaupt gemacht werden könnten.

Wäre die AfD überhaupt regierungsfähig?

Mehrere Politiker halten die AfD für nicht regierungsfähig. Darunter unter anderem FDP-Chef Christian Lindner. Das erklärte er bereits im Februar im "Bericht aus Berlin". Die AfD sei demnach eine Partei, die völkisch denke, Rasse-Politiker in ihren Reihen dulde und Krisen nicht löse, sondern herbeisehne. Laut Lindner sei die AfD eindeutig nicht staatstragend.

Selbst AfD-Vize Alexander Gauland sprach seiner Partei noch im Februar die Regierungsfähigkeit ab. Im Vorfeld der Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sagte Gauland gegenüber der "Welt", es sei "tödlich" für seine Partei, sich an einer Regierung zu beteiligen. Andere Parteien seien viel zu erfahren, als dass die AfD mithalten könnte, lautete seine Aussage vor sechs Monaten.

Und heute? "Die AfD ist bedingt regierungsfähig", sagt Borucki. Denn Regierungsfähigkeit leite sich nicht unbedingt aus der Anzahl der Stimmen und daraus resultierenden Mandaten ab. "Regieren stellt ganz andere Anforderungen an die interne Organisation und Kommunikation einer Partei.

Es muss klar sein, wer die Führungskräfte sind und welche politische Strategie diese verfolgen", erklärt die Politikwissenschaftlerin. Beides, gekoppelt mit dem entsprechend mehrheitsfähigen Programm, müsse innerhalb der Partei (also zwischen Basis und Führung) grösstenteils Konsens sein. Und genau danach sehe es bei der AfD in den vergangenen Monaten nicht aus.

Welche Aussagekraft hat diese Landtagswahl auf bundespolitischer Ebene?

Für die CDU könnte diese Wahl ein historisches Debakel werden. "Cicero" schreibt von einer "möglichen Kernschmelze der Union". Und das ausgerechnet in dem Bundesland, in dem der Wahlkreis der Kanzlerin liegt.

Schneidet die CDU also am Ende tatsächlich so schlecht ab, wie sie in den Umfragen gerade dasteht, dürfte das Auswirkungen haben. Auch die SPD hat in den Umfragen im Vergleich zur Landtagswahl 2011 bereits deutlich Federn gelassen. Der Trend, der auch bundespolitisch relevant sein dürfte: Die etablierten Parteien verlieren weiter an Boden.

Grundsätzlich sei die Aussagekraft der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern jedoch eher begrenzt, sagt Borucki. "Das ist ein besonderes Bundesland. Zum einen wegen der sozio-demografischen Struktur. Nirgendwo in Deutschland leben so wenige Menschen und sind so viele Probleme durch die Landflucht und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen wie dort", erklärt die Politikwissenschaftlerin. Zum anderen sei eine Wahlprognose in diesem Bundesland noch schwieriger einzuschätzen als ohnehin schon. Das läge an der momentan sehr emotionalisierten Lage, die unter anderem durch die Flüchtlingskrise aufgekommen sei. Diese Umfragen würden zudem nicht berücksichtigen, "dass sich der Wähler oftmals erst in der Wahlkabine vor dem Stimmzettel entscheidet."

Die Diskussionen um innere Sicherheit, Migration und die Bewältigung der Europakrise dürften laut Borucki jedoch auch bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr eine Rolle spielen. Dass die AfD jedoch stärkste Kraft im Bund werden könnte, bezweifelt die Politikwissenschaftlerin.

Doch genau das will die AfD zumindest am Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern erreichen. Unmöglich ist das nicht. Denn laut einem Online-Bericht der "Tagesschau" schnitt die AfD bei den vergangenen Landtagswahlen immer besser ab als die letzten Umfragen es vorhergesagt hatten.

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