Kanzlerin Angela Merkel lädt zum Libyen-Gipfel nach Berlin, um über die Zukunft des Landes zu verhandeln. Dabei spielt besonders er eine zentrale Rolle: General Khalifa Haftar, der gegen die anerkannte Regierung unter Premier Fayez Sarraj kämpft. Wer ist der 76-Jährige, dessen Einfluss immer weiter wächst? Orientwissenschaftler Fabian Felder erklärt Motive und Ziele des Abtrünnigen.
Noch steht nicht fest, ob er am Sonntag wirklich am Libyen-Gipfel in Berlin teilnehmen wird, seine grundsätzliche Bereitschaft soll er gegenüber Aussenminister
Es geht um den libyschen Warlord Khalifa Haftar, der eine Schlüsselrolle im dort tobenden Bürgerkrieg spielt und immer weiter an Macht gewinnt. Zuletzt lehnte der abtrünnige General einen Waffenstillstand bei Gesprächen in Moskau mit russischen und türkischen Diplomaten ab.
Machtversessen, rücksichtslos, aggressiv – immer wieder sind es diese Worte, die auftauchen, wenn es um den 76-jährigen General aus Nordafrika geht. Aber wer verbirgt sich hinter dem grossgewachsenen Warlord mit strengem Blick, dunklem Schnurrbart und buschigen Augenbrauen? Was sind die Ziele des Mannes, der einst al-Gaddafis Weggefährte war, ehe er an dessen Sturz mitarbeitete? Wer sind seine Verbündeten?
Khalifa Haftar einstiger Weggefährte al-Gaddafis
Der Orient- und Asienwissenschaftler Fabian Felder beobachtet den Offizier und seinen wachsenden Einfluss seit Langem. "Khalifa Haftar absolvierte in den 1960er Jahren eine Ausbildung zum Offizier an der königlich-libyschen Militärakademie. 1969 unterstützte er Muammar al-Gaddafi beim Putsch gegen König Idris und verhalf Gaddafi zum Sieg", sagt Felder.
Darauf sei Haftar zum Befehlshaber im Grenzkrieg mit dem Tschad in den 1980er Jahren ernannt worden, dort aber in Kriegsgefangenschaft geraten. Exil bekam er schliesslich in Amerika, wo er als CIA-Agent gearbeitet haben soll.
"Aus dem US-Exil und später aus Ägypten operierte Haftar jedenfalls gegen das Gaddafi-Regime und organisierte den oppositionellen Widerstand gegen seinen einstigen Weggefährten Gaddafi", sagt Felder.
2011, als in Libyen eine bewaffnete Revolution ausbrach, die NATO militärisch intervenierte und al-Gaddafi schliesslich gestürzt wurde, sah Haftar seine Stunde gekommen: Er kehrte in den Osten des Landes zurück, ursprünglich stammt er aus der dortigen Provinz Cyrenaika.
Osten und Süden des Landes unter Kontrolle
Die Legitimität der international anerkannten Regierung in Tripolis unter Premier Fayez Sarraj lehnt Haftar seitdem ab und macht ihr ihren Machtanspruch streitig. Erfolgreich ist er damit: "Die Verbündeten Haftars kontrollieren mittlerweile den gesamten Osten und Süden des Landes", beobachtet Felder.
Dort befinden sich auch eine Reihe an Ölfabriken, die dem General als Druckmittel dienen. Libyen ist traditionell ein wichtiger Öllieferant der Europäischen Union.
Die Unterstützerbandbreite Haftars ist ausserdem gross. "In Libyen hat Haftar es aufgrund seiner komplexen Machtstrukturen geschafft, lokale Stämme und Milizen hinter sich und seinen Verbänden zu vereinen, sodass er manche Stadt kampflos einnehmen konnte", sagt Felder.
Haftars Libysche Nationalarmee (LNA) bestehe aus ehemaligen übergelaufenen Regimesoldaten, Söldnern, Rebellen und lokalen Milizen. "In den letzten fünf Jahren konnte Haftar enorme militärische Erfolge verbuchen", weiss Felder.
Bereits 2017 habe er mit Hun und Sukra die wichtigsten Städte in der libyschen Südwüste kontrolliert, seit 2018 sei der gesamte Osten des Landes unter Kontrolle der LNA. "Im April 2019 starteten seine Verbände eine grossangelegte Offensive auf die Hauptstadt Tripolis, die bis heute andauert", erklärt der Orientkenner weiter.
Unterstützung aus dem Ausland
Und auch aus dem Ausland kann Haftar auf Hilfe hoffen. Bei der Konferenz in Berlin am Sonntag will
"Sie wollen, dass das Land wieder kontrollierbar wird in dem Sinne, dass man einen starken und kontrollierbaren Ansprechpartner in Libyen hat", glaubt Felder. Auch Frankreich unter Emmanuel Macron soll dem Oppositionellen indirekt helfen. An der Seite Sarrajs stehen die Türkei und Katar.
Doch was sind nun die Ziele des Rebellenführers? Sicher ist für Libyen-Kenner Felder nur eins: "Haftar hat mit Sicherheit in erster Linie kein Interesse an einer Waffenruhe, um die Gewalt in Libyen zu beenden oder die international anerkannte Regierung von
Ministerpräsident Sarraj zu legitimieren."
Vielmehr habe Haftar das Chaos der postrevolutionären Bürgerkriegsjahre ausgenutzt, um ein Vakuum zu füllen. Gegenüber Heiko Maas soll sich Haftar jedoch am 15. Januar zu einem Waffenstillstand bereit erklärt haben.
Ziel: Militärdiktatur installieren
Die Kampfansage Haftars gegen den islamistisch-dschihadistischen Terrorismus hält Felder indes für einen Vorwand, um eigentlich eine Militärdiktatur zu installieren. "So konnten wir es in Ägypten beobachten: Der "Kampf gegen den Terror" verschaffte dem heutigen allmächtigen Staatspräsidenten Abd al-Fattah al-Sisi nicht nur innenpolitisch, sondern auch aussenpolitisch ein Motiv, mit harter Hand gegen Kritiker, Milizen, Rebellen und Oppositionelle vorzugehen" erinnert Felder.
Heute herrscht in Ägypten in der Tat eine strenge Militärdiktatur - die Methode hat sich also bewährt. "Sie wird von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten mit denselben Intentionen für Haftar in Libyen angewendet", analysiert Felder.
"Schwer zu umschiffender Faktor"
Den künftigen Weg zeichnet Felder so: "Haftar hat mithilfe seiner innen- und aussenpolitischen Unterstützer den politischen Prozess in Libyen nach der Revolution zugunsten einer militärischen Eskalation geopfert und verfolgt diesen Weg konsequent", warnt Felder. Angesichts der Unterstützung durch Stämme und lokale Milizen sei Haftar in der Frage um Libyens Zukunft ein schwer zu umschiffender Faktor.
Aber: Weil im Libyen-Konflikt mit Haftar und Sarraj nicht nur innenpolitisch Widersacher gegeneinander kämpfen, gilt: "Mit Haftar Reden heisst gleichzeitig auch immer die Einbindung von Ägypten, der Vereinigten Arabischen Emirate und Russland", sagt Felder.
Sonst könnte das Land wieder zum Schauplatz eines Stellvertreter-Krieges werden. Ein wichtiger Transitstaat für Flüchtlinge ist es bereits.
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